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Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 2. Pesth, 1857.

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richtigte das, was ich schuldig geworden, sagte, daß ich
wieder kommen werde, daß man mir das Dagelassene
unterdessen gut bewahren möge, und fuhr in einem
einspännigen Gebirgswäglein durch den tiefen Weg,
der von dem rauschenden Bache des Tannwirthshau¬
ses waldaufwärts führt, davon. Als ich die Heer¬
straße erreicht hatte, sendete ich meinen Fuhrmann
zurück, und wählte für die weitere Fahrt einen Plaz
im Postwagen. Die Strecke von der lezten Post zu
meinem Freunde legte ich zu Fuße zurück. Für Nach¬
sendung meines Gepäckes trug ich Sorge.

Ich war später gekommen, als ich eigentlich beab¬
sichtigt hatte. In der tiefen Abgeschiedenheit und in
der hohen kühlen Lage der Tann hatte ich mich über
das, was draußen geschah, getäuscht. In dem freie¬
ren Lande war ein warmer Frühling und ein sehr
warmer Frühsommer gewesen, was ich in den Bergen
nicht so genau hatte ermessen können. Darum blühten
schon die Rosen mit freudiger Fülle in allen Gärten,
an denen ich vorüber kam. In schöner Vollkommen¬
heit schauten die untadeligen Laubkronen meines Gast¬
freundes über das dunkle Dach des Hauses und stan¬
den an den beiden Flügeln des Gartengitters, als ich
den Hügel hinan stieg. Die Fenstervorhänge, welche

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richtigte das, was ich ſchuldig geworden, ſagte, daß ich
wieder kommen werde, daß man mir das Dagelaſſene
unterdeſſen gut bewahren möge, und fuhr in einem
einſpännigen Gebirgswäglein durch den tiefen Weg,
der von dem rauſchenden Bache des Tannwirthshau¬
ſes waldaufwärts führt, davon. Als ich die Heer¬
ſtraße erreicht hatte, ſendete ich meinen Fuhrmann
zurück, und wählte für die weitere Fahrt einen Plaz
im Poſtwagen. Die Strecke von der lezten Poſt zu
meinem Freunde legte ich zu Fuße zurück. Für Nach¬
ſendung meines Gepäckes trug ich Sorge.

Ich war ſpäter gekommen, als ich eigentlich beab¬
ſichtigt hatte. In der tiefen Abgeſchiedenheit und in
der hohen kühlen Lage der Tann hatte ich mich über
das, was draußen geſchah, getäuſcht. In dem freie¬
ren Lande war ein warmer Frühling und ein ſehr
warmer Frühſommer geweſen, was ich in den Bergen
nicht ſo genau hatte ermeſſen können. Darum blühten
ſchon die Roſen mit freudiger Fülle in allen Gärten,
an denen ich vorüber kam. In ſchöner Vollkommen¬
heit ſchauten die untadeligen Laubkronen meines Gaſt¬
freundes über das dunkle Dach des Hauſes und ſtan¬
den an den beiden Flügeln des Gartengitters, als ich
den Hügel hinan ſtieg. Die Fenſtervorhänge, welche

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[291/0305] richtigte das, was ich ſchuldig geworden, ſagte, daß ich wieder kommen werde, daß man mir das Dagelaſſene unterdeſſen gut bewahren möge, und fuhr in einem einſpännigen Gebirgswäglein durch den tiefen Weg, der von dem rauſchenden Bache des Tannwirthshau¬ ſes waldaufwärts führt, davon. Als ich die Heer¬ ſtraße erreicht hatte, ſendete ich meinen Fuhrmann zurück, und wählte für die weitere Fahrt einen Plaz im Poſtwagen. Die Strecke von der lezten Poſt zu meinem Freunde legte ich zu Fuße zurück. Für Nach¬ ſendung meines Gepäckes trug ich Sorge. Ich war ſpäter gekommen, als ich eigentlich beab¬ ſichtigt hatte. In der tiefen Abgeſchiedenheit und in der hohen kühlen Lage der Tann hatte ich mich über das, was draußen geſchah, getäuſcht. In dem freie¬ ren Lande war ein warmer Frühling und ein ſehr warmer Frühſommer geweſen, was ich in den Bergen nicht ſo genau hatte ermeſſen können. Darum blühten ſchon die Roſen mit freudiger Fülle in allen Gärten, an denen ich vorüber kam. In ſchöner Vollkommen¬ heit ſchauten die untadeligen Laubkronen meines Gaſt¬ freundes über das dunkle Dach des Hauſes und ſtan¬ den an den beiden Flügeln des Gartengitters, als ich den Hügel hinan ſtieg. Die Fenſtervorhänge, welche 19 *

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Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 2. Pesth, 1857, S. 291. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer02_1857/305>, abgerufen am 22.11.2024.