Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 2. Pesth, 1857.

Bild:
<< vorherige Seite

stehen. Ihr Angesicht war so heiter und freundlich,
daß ich meinte, es nie so gesehen zu haben. Oder es
war wohl immer so, nur in meiner Erinnerung war
es ein wenig zurück getreten. Wirklich, so oft ich
Mathilden nach längerer Trennung sah, erschien sie
mir, obwohl sie eine alternde Frau war, immer lieb¬
licher und immer anmuthiger. Zwischen den Fältchen
des Alters und auf den Zügen, welche auf eine Reihe
von Jahren wiesen, wohnte eine Schönheit, welche
rührte, und Zutrauen erweckte. Und mehr als diese
Schönheit war es, wie ich wohl jezt erkannte, da ich
so viele Angesichter so genau betrachtet hatte, um sie
nachzubilden, die Seele, welche gütig und abgeschlos¬
sen sich darstellte, und auf die Menschen, die ihr
naheten, wirkte. Um die reine Stirne zog sich das
Weiß der Haubenkrause, und ähnliche weiße Streifen
waren um die feinen Hände. Auf dem Tische stand
ein Blumentopf mit einer dunkeln fast veilchenblauen
Rose. Sie lehnte sich in dem Rohrstuhle, auf dem
sie saß, zurück, faltete die Hände auf ihrem Schooße,
und sagte: "Wir werden in dem Sternenhofe ein
kleines Fest feiern. Ihr wißt, daß wir begonnen ha¬
ben, die Tünche, womit die großen Steinflächen,
die die Mauern unsers Hauses bekleiden, in frühe¬

ſtehen. Ihr Angeſicht war ſo heiter und freundlich,
daß ich meinte, es nie ſo geſehen zu haben. Oder es
war wohl immer ſo, nur in meiner Erinnerung war
es ein wenig zurück getreten. Wirklich, ſo oft ich
Mathilden nach längerer Trennung ſah, erſchien ſie
mir, obwohl ſie eine alternde Frau war, immer lieb¬
licher und immer anmuthiger. Zwiſchen den Fältchen
des Alters und auf den Zügen, welche auf eine Reihe
von Jahren wieſen, wohnte eine Schönheit, welche
rührte, und Zutrauen erweckte. Und mehr als dieſe
Schönheit war es, wie ich wohl jezt erkannte, da ich
ſo viele Angeſichter ſo genau betrachtet hatte, um ſie
nachzubilden, die Seele, welche gütig und abgeſchloſ¬
ſen ſich darſtellte, und auf die Menſchen, die ihr
naheten, wirkte. Um die reine Stirne zog ſich das
Weiß der Haubenkrauſe, und ähnliche weiße Streifen
waren um die feinen Hände. Auf dem Tiſche ſtand
ein Blumentopf mit einer dunkeln faſt veilchenblauen
Roſe. Sie lehnte ſich in dem Rohrſtuhle, auf dem
ſie ſaß, zurück, faltete die Hände auf ihrem Schooße,
und ſagte: „Wir werden in dem Sternenhofe ein
kleines Feſt feiern. Ihr wißt, daß wir begonnen ha¬
ben, die Tünche, womit die großen Steinflächen,
die die Mauern unſers Hauſes bekleiden, in frühe¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0308" n="294"/>
&#x017F;tehen. Ihr Ange&#x017F;icht war &#x017F;o heiter und freundlich,<lb/>
daß ich meinte, es nie &#x017F;o ge&#x017F;ehen zu haben. Oder es<lb/>
war wohl immer &#x017F;o, nur in meiner Erinnerung war<lb/>
es ein wenig zurück getreten. Wirklich, &#x017F;o oft ich<lb/>
Mathilden nach längerer Trennung &#x017F;ah, er&#x017F;chien &#x017F;ie<lb/>
mir, obwohl &#x017F;ie eine alternde Frau war, immer lieb¬<lb/>
licher und immer anmuthiger. Zwi&#x017F;chen den Fältchen<lb/>
des Alters und auf den Zügen, welche auf eine Reihe<lb/>
von Jahren wie&#x017F;en, wohnte eine Schönheit, welche<lb/>
rührte, und Zutrauen erweckte. Und mehr als die&#x017F;e<lb/>
Schönheit war es, wie ich wohl jezt erkannte, da ich<lb/>
&#x017F;o viele Ange&#x017F;ichter &#x017F;o genau betrachtet hatte, um &#x017F;ie<lb/>
nachzubilden, die Seele, welche gütig und abge&#x017F;chlo&#x017F;¬<lb/>
&#x017F;en &#x017F;ich dar&#x017F;tellte, und auf die Men&#x017F;chen, die ihr<lb/>
naheten, wirkte. Um die reine Stirne zog &#x017F;ich das<lb/>
Weiß der Haubenkrau&#x017F;e, und ähnliche weiße Streifen<lb/>
waren um die feinen Hände. Auf dem Ti&#x017F;che &#x017F;tand<lb/>
ein Blumentopf mit einer dunkeln fa&#x017F;t veilchenblauen<lb/>
Ro&#x017F;e. Sie lehnte &#x017F;ich in dem Rohr&#x017F;tuhle, auf dem<lb/>
&#x017F;ie &#x017F;aß, zurück, faltete die Hände auf ihrem Schooße,<lb/>
und &#x017F;agte: &#x201E;Wir werden in dem Sternenhofe ein<lb/>
kleines Fe&#x017F;t feiern. Ihr wißt, daß wir begonnen ha¬<lb/>
ben, die Tünche, womit die großen Steinflächen,<lb/>
die die Mauern un&#x017F;ers Hau&#x017F;es bekleiden, in frühe¬<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[294/0308] ſtehen. Ihr Angeſicht war ſo heiter und freundlich, daß ich meinte, es nie ſo geſehen zu haben. Oder es war wohl immer ſo, nur in meiner Erinnerung war es ein wenig zurück getreten. Wirklich, ſo oft ich Mathilden nach längerer Trennung ſah, erſchien ſie mir, obwohl ſie eine alternde Frau war, immer lieb¬ licher und immer anmuthiger. Zwiſchen den Fältchen des Alters und auf den Zügen, welche auf eine Reihe von Jahren wieſen, wohnte eine Schönheit, welche rührte, und Zutrauen erweckte. Und mehr als dieſe Schönheit war es, wie ich wohl jezt erkannte, da ich ſo viele Angeſichter ſo genau betrachtet hatte, um ſie nachzubilden, die Seele, welche gütig und abgeſchloſ¬ ſen ſich darſtellte, und auf die Menſchen, die ihr naheten, wirkte. Um die reine Stirne zog ſich das Weiß der Haubenkrauſe, und ähnliche weiße Streifen waren um die feinen Hände. Auf dem Tiſche ſtand ein Blumentopf mit einer dunkeln faſt veilchenblauen Roſe. Sie lehnte ſich in dem Rohrſtuhle, auf dem ſie ſaß, zurück, faltete die Hände auf ihrem Schooße, und ſagte: „Wir werden in dem Sternenhofe ein kleines Feſt feiern. Ihr wißt, daß wir begonnen ha¬ ben, die Tünche, womit die großen Steinflächen, die die Mauern unſers Hauſes bekleiden, in frühe¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer02_1857
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer02_1857/308
Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 2. Pesth, 1857, S. 294. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer02_1857/308>, abgerufen am 22.11.2024.