Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 2. Pesth, 1857.

Bild:
<< vorherige Seite

Als ich in Hinsicht der eben zugebrachten Tage
etwas über das Landleben sagte, und die Annehm¬
lichkeiten desselben berührte, und als wir eine Zeit
über diesen Gegenstand gesprochen hatten, sagte mein
Gastfreund: "Das gesellschaftliche Leben in den
Städten, wenn man es in dem Sinne nimmt, daß
man immer mit fremden Personen zusammen ist, bei
denen man entweder mit andern zum Besuche ist, oder
die mit andern bei uns sind, ist nicht ersprießlich.
Es ist das nehmliche Einerlei wie das Leben in Or¬
ten, die den großen Städten nahe sind. Man sehnt sich
ein anderes Einerlei aufzusuchen; denn wohl ist jedes
Leben und jede Äußerung einer Gegend ein Einerlei,
und es gewährt einen Abschluß, von dem einen Einer¬
lei in ein anderes über zu gehen. Aber es gibt auch
ein Einerlei, welches so erhaben ist, daß es als Fülle
die ganze Seele ergreift, und als Einfachheit das All
umschließt. Es sind erwählte Menschen, die zu diesem
kommen, und es zur Fassung ihres Lebens machen
können."

"In der Weltgeschichte kömmt wohl Ähnliches
vor," sagte ich.

"In der Weltgeschichte kömmt es vor," antwortete
er, "wo ein Mensch durch eine große That, die sein

Als ich in Hinſicht der eben zugebrachten Tage
etwas über das Landleben ſagte, und die Annehm¬
lichkeiten desſelben berührte, und als wir eine Zeit
über dieſen Gegenſtand geſprochen hatten, ſagte mein
Gaſtfreund: „Das geſellſchaftliche Leben in den
Städten, wenn man es in dem Sinne nimmt, daß
man immer mit fremden Perſonen zuſammen iſt, bei
denen man entweder mit andern zum Beſuche iſt, oder
die mit andern bei uns ſind, iſt nicht erſprießlich.
Es iſt das nehmliche Einerlei wie das Leben in Or¬
ten, die den großen Städten nahe ſind. Man ſehnt ſich
ein anderes Einerlei aufzuſuchen; denn wohl iſt jedes
Leben und jede Äußerung einer Gegend ein Einerlei,
und es gewährt einen Abſchluß, von dem einen Einer¬
lei in ein anderes über zu gehen. Aber es gibt auch
ein Einerlei, welches ſo erhaben iſt, daß es als Fülle
die ganze Seele ergreift, und als Einfachheit das All
umſchließt. Es ſind erwählte Menſchen, die zu dieſem
kommen, und es zur Faſſung ihres Lebens machen
können.“

„In der Weltgeſchichte kömmt wohl Ähnliches
vor,“ ſagte ich.

„In der Weltgeſchichte kömmt es vor,“ antwortete
er, „wo ein Menſch durch eine große That, die ſein

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0364" n="350"/>
        <p>Als ich in Hin&#x017F;icht der eben zugebrachten Tage<lb/>
etwas über das Landleben &#x017F;agte, und die Annehm¬<lb/>
lichkeiten des&#x017F;elben berührte, und als wir eine Zeit<lb/>
über die&#x017F;en Gegen&#x017F;tand ge&#x017F;prochen hatten, &#x017F;agte mein<lb/>
Ga&#x017F;tfreund: &#x201E;Das ge&#x017F;ell&#x017F;chaftliche Leben in den<lb/>
Städten, wenn man es in dem Sinne nimmt, daß<lb/>
man immer mit fremden Per&#x017F;onen zu&#x017F;ammen i&#x017F;t, bei<lb/>
denen man entweder mit andern zum Be&#x017F;uche i&#x017F;t, oder<lb/>
die mit andern bei uns &#x017F;ind, i&#x017F;t nicht er&#x017F;prießlich.<lb/>
Es i&#x017F;t das nehmliche Einerlei wie das Leben in Or¬<lb/>
ten, die den großen Städten nahe &#x017F;ind. Man &#x017F;ehnt &#x017F;ich<lb/>
ein anderes Einerlei aufzu&#x017F;uchen; denn wohl i&#x017F;t jedes<lb/>
Leben und jede Äußerung einer Gegend ein Einerlei,<lb/>
und es gewährt einen Ab&#x017F;chluß, von dem einen Einer¬<lb/>
lei in ein anderes über zu gehen. Aber es gibt auch<lb/>
ein Einerlei, welches &#x017F;o erhaben i&#x017F;t, daß es als Fülle<lb/>
die ganze Seele ergreift, und als Einfachheit das All<lb/>
um&#x017F;chließt. Es &#x017F;ind erwählte Men&#x017F;chen, die zu die&#x017F;em<lb/>
kommen, und es zur Fa&#x017F;&#x017F;ung ihres Lebens machen<lb/>
können.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;In der Weltge&#x017F;chichte kömmt wohl Ähnliches<lb/>
vor,&#x201C; &#x017F;agte ich.</p><lb/>
        <p>&#x201E;In der Weltge&#x017F;chichte kömmt es vor,&#x201C; antwortete<lb/>
er, &#x201E;wo ein Men&#x017F;ch durch eine große That, die &#x017F;ein<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[350/0364] Als ich in Hinſicht der eben zugebrachten Tage etwas über das Landleben ſagte, und die Annehm¬ lichkeiten desſelben berührte, und als wir eine Zeit über dieſen Gegenſtand geſprochen hatten, ſagte mein Gaſtfreund: „Das geſellſchaftliche Leben in den Städten, wenn man es in dem Sinne nimmt, daß man immer mit fremden Perſonen zuſammen iſt, bei denen man entweder mit andern zum Beſuche iſt, oder die mit andern bei uns ſind, iſt nicht erſprießlich. Es iſt das nehmliche Einerlei wie das Leben in Or¬ ten, die den großen Städten nahe ſind. Man ſehnt ſich ein anderes Einerlei aufzuſuchen; denn wohl iſt jedes Leben und jede Äußerung einer Gegend ein Einerlei, und es gewährt einen Abſchluß, von dem einen Einer¬ lei in ein anderes über zu gehen. Aber es gibt auch ein Einerlei, welches ſo erhaben iſt, daß es als Fülle die ganze Seele ergreift, und als Einfachheit das All umſchließt. Es ſind erwählte Menſchen, die zu dieſem kommen, und es zur Faſſung ihres Lebens machen können.“ „In der Weltgeſchichte kömmt wohl Ähnliches vor,“ ſagte ich. „In der Weltgeſchichte kömmt es vor,“ antwortete er, „wo ein Menſch durch eine große That, die ſein

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer02_1857
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer02_1857/364
Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 2. Pesth, 1857, S. 350. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer02_1857/364>, abgerufen am 22.11.2024.