Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 2. Pesth, 1857.

Bild:
<< vorherige Seite

Leben erfüllt, diesem Leben eine einfache Gestalt geben
kann, abgelöst von allem Kleinlichen -- in der Wis¬
senschaft, wo ein großartiges Feld höchsten Erringens
vor dem Menschen liegt -- oder in der Klarheit und
Ruhe der Lebensanschauungen, die endlich Alles auf
einige ausgedehnte aber einfältige Grundlinien zurück
führt. Jedoch sind auch hier Maße und Abstufungen
wie in allen andern Dingen des Lebens."

"Von den zwei Hauptzeiträumen, welche das
menschliche Geschlecht betroffen haben," erwiederte
ich, "von dem sogenannten antiken und dem heutigen
dürfte wohl der griechisch-römische das Meiste von
dem Gesagten aufzuweisen haben."

"Wir wissen zulezt gar nicht, welche Zeiträume es
in der Geschichte gegeben hat," antwortete er. "Die
Griechen und Römer sind unserer Zeit am nächsten,
wir sind aus ihnen hervor gegangen, und wissen von
ihnen auch das Meiste. Wer weiß, wie viele Völker¬
abschnitte es gegeben hat, und wie viele unbekannte
Geschichtsquellen noch verborgen sind. Wenn einmal
ganze Reihen solcher Völkerzustände wie Griechen-
und Römerthum vorliegen, dann läßt sich eher über
unsere Frage etwas sagen. Oder sind etwa solche
Reihen nur dagewesen und vergessen worden, und

Leben erfüllt, dieſem Leben eine einfache Geſtalt geben
kann, abgelöſt von allem Kleinlichen — in der Wiſ¬
ſenſchaft, wo ein großartiges Feld höchſten Erringens
vor dem Menſchen liegt — oder in der Klarheit und
Ruhe der Lebensanſchauungen, die endlich Alles auf
einige ausgedehnte aber einfältige Grundlinien zurück
führt. Jedoch ſind auch hier Maße und Abſtufungen
wie in allen andern Dingen des Lebens.“

„Von den zwei Hauptzeiträumen, welche das
menſchliche Geſchlecht betroffen haben,“ erwiederte
ich, „von dem ſogenannten antiken und dem heutigen
dürfte wohl der griechiſch-römiſche das Meiſte von
dem Geſagten aufzuweiſen haben.“

„Wir wiſſen zulezt gar nicht, welche Zeiträume es
in der Geſchichte gegeben hat,“ antwortete er. „Die
Griechen und Römer ſind unſerer Zeit am nächſten,
wir ſind aus ihnen hervor gegangen, und wiſſen von
ihnen auch das Meiſte. Wer weiß, wie viele Völker¬
abſchnitte es gegeben hat, und wie viele unbekannte
Geſchichtsquellen noch verborgen ſind. Wenn einmal
ganze Reihen ſolcher Völkerzuſtände wie Griechen-
und Römerthum vorliegen, dann läßt ſich eher über
unſere Frage etwas ſagen. Oder ſind etwa ſolche
Reihen nur dageweſen und vergeſſen worden, und

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0365" n="351"/>
Leben erfüllt, die&#x017F;em Leben eine einfache Ge&#x017F;talt geben<lb/>
kann, abgelö&#x017F;t von allem Kleinlichen &#x2014; in der Wi&#x017F;¬<lb/>
&#x017F;en&#x017F;chaft, wo ein großartiges Feld höch&#x017F;ten Erringens<lb/>
vor dem Men&#x017F;chen liegt &#x2014; oder in der Klarheit und<lb/>
Ruhe der Lebensan&#x017F;chauungen, die endlich Alles auf<lb/>
einige ausgedehnte aber einfältige Grundlinien zurück<lb/>
führt. Jedoch &#x017F;ind auch hier Maße und Ab&#x017F;tufungen<lb/>
wie in allen andern Dingen des Lebens.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Von den zwei Hauptzeiträumen, welche das<lb/>
men&#x017F;chliche Ge&#x017F;chlecht betroffen haben,&#x201C; erwiederte<lb/>
ich, &#x201E;von dem &#x017F;ogenannten antiken und dem heutigen<lb/>
dürfte wohl der griechi&#x017F;ch-römi&#x017F;che das Mei&#x017F;te von<lb/>
dem Ge&#x017F;agten aufzuwei&#x017F;en haben.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Wir wi&#x017F;&#x017F;en zulezt gar nicht, welche Zeiträume es<lb/>
in der Ge&#x017F;chichte gegeben hat,&#x201C; antwortete er. &#x201E;Die<lb/>
Griechen und Römer &#x017F;ind un&#x017F;erer Zeit am näch&#x017F;ten,<lb/>
wir &#x017F;ind aus ihnen hervor gegangen, und wi&#x017F;&#x017F;en von<lb/>
ihnen auch das Mei&#x017F;te. Wer weiß, wie viele Völker¬<lb/>
ab&#x017F;chnitte es gegeben hat, und wie viele unbekannte<lb/>
Ge&#x017F;chichtsquellen noch verborgen &#x017F;ind. Wenn einmal<lb/>
ganze Reihen &#x017F;olcher Völkerzu&#x017F;tände wie Griechen-<lb/>
und Römerthum vorliegen, dann läßt &#x017F;ich eher über<lb/>
un&#x017F;ere Frage etwas &#x017F;agen. Oder &#x017F;ind etwa &#x017F;olche<lb/>
Reihen nur dagewe&#x017F;en und verge&#x017F;&#x017F;en worden, und<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[351/0365] Leben erfüllt, dieſem Leben eine einfache Geſtalt geben kann, abgelöſt von allem Kleinlichen — in der Wiſ¬ ſenſchaft, wo ein großartiges Feld höchſten Erringens vor dem Menſchen liegt — oder in der Klarheit und Ruhe der Lebensanſchauungen, die endlich Alles auf einige ausgedehnte aber einfältige Grundlinien zurück führt. Jedoch ſind auch hier Maße und Abſtufungen wie in allen andern Dingen des Lebens.“ „Von den zwei Hauptzeiträumen, welche das menſchliche Geſchlecht betroffen haben,“ erwiederte ich, „von dem ſogenannten antiken und dem heutigen dürfte wohl der griechiſch-römiſche das Meiſte von dem Geſagten aufzuweiſen haben.“ „Wir wiſſen zulezt gar nicht, welche Zeiträume es in der Geſchichte gegeben hat,“ antwortete er. „Die Griechen und Römer ſind unſerer Zeit am nächſten, wir ſind aus ihnen hervor gegangen, und wiſſen von ihnen auch das Meiſte. Wer weiß, wie viele Völker¬ abſchnitte es gegeben hat, und wie viele unbekannte Geſchichtsquellen noch verborgen ſind. Wenn einmal ganze Reihen ſolcher Völkerzuſtände wie Griechen- und Römerthum vorliegen, dann läßt ſich eher über unſere Frage etwas ſagen. Oder ſind etwa ſolche Reihen nur dageweſen und vergeſſen worden, und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer02_1857
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer02_1857/365
Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 2. Pesth, 1857, S. 351. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer02_1857/365>, abgerufen am 22.11.2024.