im vorigen Jahre gesendeten Zeichnungen gewesen. Deßohngeachtet war es ihm sehr angenehm, die Zeich¬ nung zu besizen, und sie öfter und nach Muße betrach¬ ten zu können. Er machte mich auf mehrere Dinge aufmerksam, die er nach wiederholter Betrachtung ent¬ deckt hatte. Zuerst sah er, daß der Altar viel reicher und manigfaltiger sei, als da er ihn in noch unverbessertem Zustande vor vielen Jahren in Wirklichkeit gesehen hatte; dann machte er mich darauf aufmerksam, daß dieses Werk schon die Rundlinien habe, daß die Thürmchen durch gewundene Stäbe in Gestalten von Piramiden gebildet, und daß die menschlichen Gestalten schon sehr durchgearbeitet seien, was alles darauf hindeute, daß das Werk nicht mehr der Zeit der strengen gothischen Bauart angehöre, sondern derjenigen, wo diese Art sich schon zu verwandeln begonnen hatte. Auch zeigte er mir, daß Theile der Verzierungen im Laufe der Zeiten an andere Orte gestellt worden seien, als an die sie gehören, daß die Büsten sich nicht an dem rechten Plaze befinden, und daß menschliche Gestalten verloren gegangen sein müs¬ sen. Er holte Bücher aus seinem Bücherschreine her¬ bei, in denen Abbildungen waren, und aus denen er mir die Wahrheit dessen bewies, was er behauptete.
im vorigen Jahre geſendeten Zeichnungen geweſen. Deßohngeachtet war es ihm ſehr angenehm, die Zeich¬ nung zu beſizen, und ſie öfter und nach Muße betrach¬ ten zu können. Er machte mich auf mehrere Dinge aufmerkſam, die er nach wiederholter Betrachtung ent¬ deckt hatte. Zuerſt ſah er, daß der Altar viel reicher und manigfaltiger ſei, als da er ihn in noch unverbeſſertem Zuſtande vor vielen Jahren in Wirklichkeit geſehen hatte; dann machte er mich darauf aufmerkſam, daß dieſes Werk ſchon die Rundlinien habe, daß die Thürmchen durch gewundene Stäbe in Geſtalten von Piramiden gebildet, und daß die menſchlichen Geſtalten ſchon ſehr durchgearbeitet ſeien, was alles darauf hindeute, daß das Werk nicht mehr der Zeit der ſtrengen gothiſchen Bauart angehöre, ſondern derjenigen, wo dieſe Art ſich ſchon zu verwandeln begonnen hatte. Auch zeigte er mir, daß Theile der Verzierungen im Laufe der Zeiten an andere Orte geſtellt worden ſeien, als an die ſie gehören, daß die Büſten ſich nicht an dem rechten Plaze befinden, und daß menſchliche Geſtalten verloren gegangen ſein müſ¬ ſen. Er holte Bücher aus ſeinem Bücherſchreine her¬ bei, in denen Abbildungen waren, und aus denen er mir die Wahrheit deſſen bewies, was er behauptete.
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0382"n="368"/>
im vorigen Jahre geſendeten Zeichnungen geweſen.<lb/>
Deßohngeachtet war es ihm ſehr angenehm, die Zeich¬<lb/>
nung zu beſizen, und ſie öfter und nach Muße betrach¬<lb/>
ten zu können. Er machte mich auf mehrere Dinge<lb/>
aufmerkſam, die er nach wiederholter Betrachtung ent¬<lb/>
deckt hatte. Zuerſt ſah er, daß der Altar viel reicher und<lb/>
manigfaltiger ſei, als da er ihn in noch unverbeſſertem<lb/>
Zuſtande vor vielen Jahren in Wirklichkeit geſehen<lb/>
hatte; dann machte er mich darauf aufmerkſam, daß<lb/>
dieſes Werk ſchon die Rundlinien habe, daß die<lb/>
Thürmchen durch gewundene Stäbe in Geſtalten<lb/>
von Piramiden gebildet, und daß die menſchlichen<lb/>
Geſtalten ſchon ſehr durchgearbeitet ſeien, was alles<lb/>
darauf hindeute, daß das Werk nicht mehr der Zeit<lb/>
der ſtrengen gothiſchen Bauart angehöre, ſondern<lb/>
derjenigen, wo dieſe Art ſich ſchon zu verwandeln<lb/>
begonnen hatte. Auch zeigte er mir, daß Theile der<lb/>
Verzierungen im Laufe der Zeiten an andere Orte<lb/>
geſtellt worden ſeien, als an die ſie gehören, daß die<lb/>
Büſten ſich nicht an dem rechten Plaze befinden, und<lb/>
daß menſchliche Geſtalten verloren gegangen ſein müſ¬<lb/>ſen. Er holte Bücher aus ſeinem Bücherſchreine her¬<lb/>
bei, in denen Abbildungen waren, und aus denen er<lb/>
mir die Wahrheit deſſen bewies, was er behauptete.<lb/></p></div></body></text></TEI>
[368/0382]
im vorigen Jahre geſendeten Zeichnungen geweſen.
Deßohngeachtet war es ihm ſehr angenehm, die Zeich¬
nung zu beſizen, und ſie öfter und nach Muße betrach¬
ten zu können. Er machte mich auf mehrere Dinge
aufmerkſam, die er nach wiederholter Betrachtung ent¬
deckt hatte. Zuerſt ſah er, daß der Altar viel reicher und
manigfaltiger ſei, als da er ihn in noch unverbeſſertem
Zuſtande vor vielen Jahren in Wirklichkeit geſehen
hatte; dann machte er mich darauf aufmerkſam, daß
dieſes Werk ſchon die Rundlinien habe, daß die
Thürmchen durch gewundene Stäbe in Geſtalten
von Piramiden gebildet, und daß die menſchlichen
Geſtalten ſchon ſehr durchgearbeitet ſeien, was alles
darauf hindeute, daß das Werk nicht mehr der Zeit
der ſtrengen gothiſchen Bauart angehöre, ſondern
derjenigen, wo dieſe Art ſich ſchon zu verwandeln
begonnen hatte. Auch zeigte er mir, daß Theile der
Verzierungen im Laufe der Zeiten an andere Orte
geſtellt worden ſeien, als an die ſie gehören, daß die
Büſten ſich nicht an dem rechten Plaze befinden, und
daß menſchliche Geſtalten verloren gegangen ſein müſ¬
ſen. Er holte Bücher aus ſeinem Bücherſchreine her¬
bei, in denen Abbildungen waren, und aus denen er
mir die Wahrheit deſſen bewies, was er behauptete.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 2. Pesth, 1857, S. 368. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer02_1857/382>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.