Rose frisch blühen, obwohl im Asperhofe weder auf dem Gitter noch im Garten eine zu erblicken gewesen war, außer mancher welken und gerunzelten Blume, die man abzunehmen vergessen hatte. Auch auf der Anhöhe, die zu dem Schlosse empor leitete, waren an Rosenbüschen, die gelegentlich den Rasen säumten, weil man im Sternenhofe die Rosen nicht eigens pflegte, sondern sie nur wie gewöhnlich als schönen Gartenschmuck zog, noch Knospen, die ihres Auf¬ brechens harrten. Diese Thatsache mag daher kom¬ men, weil der Sternenhof näher an den Gebirgen und höher liegt als das Rosenhaus meines Freundes.
In dem Hofe des Hauses nahmen die Leute mein Gepäck und die Pferde in Empfang, und wiesen mich die große Treppe hinan. Da ich gemeldet worden war, wurde ich in Mathildens Zimmer ge¬ führt, und fand sie in demselben allein. Sie ging mir fast bis zu der Thür entgegen, und empfing mich mit derselben offenen Herzlichkeit und Freundlichkeit, die ihr immer eigen war. Sie führte mich zu dem Tische, der an einem mit Blumen geschmückten Fenster stand, wo sie gerne saß, und wies mir ihr gegenüber einen Stuhl an dem Tische an. Als wir uns gesezt hatten, sagte sie: "Es freut mich sehr, daß ihr noch
Roſe friſch blühen, obwohl im Asperhofe weder auf dem Gitter noch im Garten eine zu erblicken geweſen war, außer mancher welken und gerunzelten Blume, die man abzunehmen vergeſſen hatte. Auch auf der Anhöhe, die zu dem Schloſſe empor leitete, waren an Roſenbüſchen, die gelegentlich den Raſen ſäumten, weil man im Sternenhofe die Roſen nicht eigens pflegte, ſondern ſie nur wie gewöhnlich als ſchönen Gartenſchmuck zog, noch Knoſpen, die ihres Auf¬ brechens harrten. Dieſe Thatſache mag daher kom¬ men, weil der Sternenhof näher an den Gebirgen und höher liegt als das Roſenhaus meines Freundes.
In dem Hofe des Hauſes nahmen die Leute mein Gepäck und die Pferde in Empfang, und wieſen mich die große Treppe hinan. Da ich gemeldet worden war, wurde ich in Mathildens Zimmer ge¬ führt, und fand ſie in demſelben allein. Sie ging mir faſt bis zu der Thür entgegen, und empfing mich mit derſelben offenen Herzlichkeit und Freundlichkeit, die ihr immer eigen war. Sie führte mich zu dem Tiſche, der an einem mit Blumen geſchmückten Fenſter ſtand, wo ſie gerne ſaß, und wies mir ihr gegenüber einen Stuhl an dem Tiſche an. Als wir uns geſezt hatten, ſagte ſie: „Es freut mich ſehr, daß ihr noch
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0397"n="383"/>
Roſe friſch blühen, obwohl im Asperhofe weder auf<lb/>
dem Gitter noch im Garten eine zu erblicken geweſen<lb/>
war, außer mancher welken und gerunzelten Blume,<lb/>
die man abzunehmen vergeſſen hatte. Auch auf der<lb/>
Anhöhe, die zu dem Schloſſe empor leitete, waren an<lb/>
Roſenbüſchen, die gelegentlich den Raſen ſäumten,<lb/>
weil man im Sternenhofe die Roſen nicht eigens<lb/>
pflegte, ſondern ſie nur wie gewöhnlich als ſchönen<lb/>
Gartenſchmuck zog, noch Knoſpen, die ihres Auf¬<lb/>
brechens harrten. Dieſe Thatſache mag daher kom¬<lb/>
men, weil der Sternenhof näher an den Gebirgen<lb/>
und höher liegt als das Roſenhaus meines Freundes.</p><lb/><p>In dem Hofe des Hauſes nahmen die Leute<lb/>
mein Gepäck und die Pferde in Empfang, und wieſen<lb/>
mich die große Treppe hinan. Da ich gemeldet<lb/>
worden war, wurde ich in Mathildens Zimmer ge¬<lb/>
führt, und fand ſie in demſelben allein. Sie ging<lb/>
mir faſt bis zu der Thür entgegen, und empfing mich<lb/>
mit derſelben offenen Herzlichkeit und Freundlichkeit,<lb/>
die ihr immer eigen war. Sie führte mich zu dem<lb/>
Tiſche, der an einem mit Blumen geſchmückten Fenſter<lb/>ſtand, wo ſie gerne ſaß, und wies mir ihr gegenüber<lb/>
einen Stuhl an dem Tiſche an. Als wir uns geſezt<lb/>
hatten, ſagte ſie: „Es freut mich ſehr, daß ihr noch<lb/></p></div></body></text></TEI>
[383/0397]
Roſe friſch blühen, obwohl im Asperhofe weder auf
dem Gitter noch im Garten eine zu erblicken geweſen
war, außer mancher welken und gerunzelten Blume,
die man abzunehmen vergeſſen hatte. Auch auf der
Anhöhe, die zu dem Schloſſe empor leitete, waren an
Roſenbüſchen, die gelegentlich den Raſen ſäumten,
weil man im Sternenhofe die Roſen nicht eigens
pflegte, ſondern ſie nur wie gewöhnlich als ſchönen
Gartenſchmuck zog, noch Knoſpen, die ihres Auf¬
brechens harrten. Dieſe Thatſache mag daher kom¬
men, weil der Sternenhof näher an den Gebirgen
und höher liegt als das Roſenhaus meines Freundes.
In dem Hofe des Hauſes nahmen die Leute
mein Gepäck und die Pferde in Empfang, und wieſen
mich die große Treppe hinan. Da ich gemeldet
worden war, wurde ich in Mathildens Zimmer ge¬
führt, und fand ſie in demſelben allein. Sie ging
mir faſt bis zu der Thür entgegen, und empfing mich
mit derſelben offenen Herzlichkeit und Freundlichkeit,
die ihr immer eigen war. Sie führte mich zu dem
Tiſche, der an einem mit Blumen geſchmückten Fenſter
ſtand, wo ſie gerne ſaß, und wies mir ihr gegenüber
einen Stuhl an dem Tiſche an. Als wir uns geſezt
hatten, ſagte ſie: „Es freut mich ſehr, daß ihr noch
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 2. Pesth, 1857, S. 383. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer02_1857/397>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.