Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 2. Pesth, 1857.

Bild:
<< vorherige Seite

"Mir ist immer, wenn ich ihn lange betrachte,"
sagte sie, "als hätte er eine sehr große Tiefe, als sollte
man in ihn eindringen können, und als wäre er durch¬
sichtig, was er nicht ist. Er hält eine reine Fläche
den Augen entgegen, die so zart ist, daß sie kaum
Widerstand leistet, und in der man als Anhaltspunkte
nur die vielen feinen Splitter funkeln sieht."

"Der Stein ist auch durchsichtig," antwortete ich,
"nur muß man eine dünne Schichte haben, durch die
man sehen will. Dann scheint die Welt fast gold¬
artig, wenn man sie durch ihn ansieht. Wenn meh¬
rere Schichten übereinander liegen, so werden sie in
ihrem Anblicke von Außen weiß, wie der Schnee, der
auch aus lauter durchsichtigen kleinen Eisnadeln be¬
steht, weiß wird, wenn Millionen solcher Nadeln auf
einander liegen."

"So habe ich nicht unrecht empfunden," sagte sie.

"Nein," erwiederte ich, "ihr habt recht geahnt."

"Wenn die Edelsteine nicht nach dem geachtet wer¬
den, was sie kosten," sagte sie, "sondern nach dem, wie
sie edel sind, so gehört der Marmor gewiß unter die
Edelsteine."

"Er gehört unter dieselben, er gehört gewißlich
unter dieselben," erwiederte ich. "Wenn er auch als

„Mir iſt immer, wenn ich ihn lange betrachte,“
ſagte ſie, „als hätte er eine ſehr große Tiefe, als ſollte
man in ihn eindringen können, und als wäre er durch¬
ſichtig, was er nicht iſt. Er hält eine reine Fläche
den Augen entgegen, die ſo zart iſt, daß ſie kaum
Widerſtand leiſtet, und in der man als Anhaltspunkte
nur die vielen feinen Splitter funkeln ſieht.“

„Der Stein iſt auch durchſichtig,“ antwortete ich,
„nur muß man eine dünne Schichte haben, durch die
man ſehen will. Dann ſcheint die Welt faſt gold¬
artig, wenn man ſie durch ihn anſieht. Wenn meh¬
rere Schichten übereinander liegen, ſo werden ſie in
ihrem Anblicke von Außen weiß, wie der Schnee, der
auch aus lauter durchſichtigen kleinen Eisnadeln be¬
ſteht, weiß wird, wenn Millionen ſolcher Nadeln auf
einander liegen.“

„So habe ich nicht unrecht empfunden,“ ſagte ſie.

„Nein,“ erwiederte ich, „ihr habt recht geahnt.“

„Wenn die Edelſteine nicht nach dem geachtet wer¬
den, was ſie koſten,“ ſagte ſie, „ſondern nach dem, wie
ſie edel ſind, ſo gehört der Marmor gewiß unter die
Edelſteine.“

„Er gehört unter dieſelben, er gehört gewißlich
unter dieſelben,“ erwiederte ich. „Wenn er auch als

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0411" n="397"/>
        <p>&#x201E;Mir i&#x017F;t immer, wenn ich ihn lange betrachte,&#x201C;<lb/>
&#x017F;agte &#x017F;ie, &#x201E;als hätte er eine &#x017F;ehr große Tiefe, als &#x017F;ollte<lb/>
man in ihn eindringen können, und als wäre er durch¬<lb/>
&#x017F;ichtig, was er nicht i&#x017F;t. Er hält eine reine Fläche<lb/>
den Augen entgegen, die &#x017F;o zart i&#x017F;t, daß &#x017F;ie kaum<lb/>
Wider&#x017F;tand lei&#x017F;tet, und in der man als Anhaltspunkte<lb/>
nur die vielen feinen Splitter funkeln &#x017F;ieht.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Der Stein i&#x017F;t auch durch&#x017F;ichtig,&#x201C; antwortete ich,<lb/>
&#x201E;nur muß man eine dünne Schichte haben, durch die<lb/>
man &#x017F;ehen will. Dann &#x017F;cheint die Welt fa&#x017F;t gold¬<lb/>
artig, wenn man &#x017F;ie durch ihn an&#x017F;ieht. Wenn meh¬<lb/>
rere Schichten übereinander liegen, &#x017F;o werden &#x017F;ie in<lb/>
ihrem Anblicke von Außen weiß, wie der Schnee, der<lb/>
auch aus lauter durch&#x017F;ichtigen kleinen Eisnadeln be¬<lb/>
&#x017F;teht, weiß wird, wenn Millionen &#x017F;olcher Nadeln auf<lb/>
einander liegen.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;So habe ich nicht unrecht empfunden,&#x201C; &#x017F;agte &#x017F;ie.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Nein,&#x201C; erwiederte ich, &#x201E;ihr habt recht geahnt.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Wenn die Edel&#x017F;teine nicht nach dem geachtet wer¬<lb/>
den, was &#x017F;ie ko&#x017F;ten,&#x201C; &#x017F;agte &#x017F;ie, &#x201E;&#x017F;ondern nach dem, wie<lb/>
&#x017F;ie edel &#x017F;ind, &#x017F;o gehört der Marmor gewiß unter die<lb/>
Edel&#x017F;teine.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Er gehört unter die&#x017F;elben, er gehört gewißlich<lb/>
unter die&#x017F;elben,&#x201C; erwiederte ich. &#x201E;Wenn er auch als<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[397/0411] „Mir iſt immer, wenn ich ihn lange betrachte,“ ſagte ſie, „als hätte er eine ſehr große Tiefe, als ſollte man in ihn eindringen können, und als wäre er durch¬ ſichtig, was er nicht iſt. Er hält eine reine Fläche den Augen entgegen, die ſo zart iſt, daß ſie kaum Widerſtand leiſtet, und in der man als Anhaltspunkte nur die vielen feinen Splitter funkeln ſieht.“ „Der Stein iſt auch durchſichtig,“ antwortete ich, „nur muß man eine dünne Schichte haben, durch die man ſehen will. Dann ſcheint die Welt faſt gold¬ artig, wenn man ſie durch ihn anſieht. Wenn meh¬ rere Schichten übereinander liegen, ſo werden ſie in ihrem Anblicke von Außen weiß, wie der Schnee, der auch aus lauter durchſichtigen kleinen Eisnadeln be¬ ſteht, weiß wird, wenn Millionen ſolcher Nadeln auf einander liegen.“ „So habe ich nicht unrecht empfunden,“ ſagte ſie. „Nein,“ erwiederte ich, „ihr habt recht geahnt.“ „Wenn die Edelſteine nicht nach dem geachtet wer¬ den, was ſie koſten,“ ſagte ſie, „ſondern nach dem, wie ſie edel ſind, ſo gehört der Marmor gewiß unter die Edelſteine.“ „Er gehört unter dieſelben, er gehört gewißlich unter dieſelben,“ erwiederte ich. „Wenn er auch als

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer02_1857
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer02_1857/411
Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 2. Pesth, 1857, S. 397. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer02_1857/411>, abgerufen am 21.11.2024.