Brustlinnens, dünkt sie mich das Würdigste und Ernsteste."
"Und liebt ihr die Edelsteine als Schmuck?" fragte sie.
"Wenn die schönsten Steine ihrer Art ausgewählt werden," antwortete ich, "wenn sie in einer Fassung sind, welche richtigen Kunstgesezen entspricht, und wenn diese Fassung an der Stelle, wo sie ist, einen Zweck erfüllt, also nothwendig erscheint: dann ist wohl kein Schmuck des menschlichen Körpers feier¬ licher als der der Edelsteine."
Wir schwiegen nach diesen Worten, und ich konnte Natalien jezt erst ein wenig betrachten. Sie hatte ein mattes hellgraues Seidenkleid an, wie sie es über¬ haupt gerne trug. Das Kleid reichte, wie es bei ihr immer der Fall war, bis zum Halse und bis zu den Knöcheln der Hand. Von Schmuck hatte sie gar nichts an sich, nicht das Geringste, während ihr Körper doch so stimmend zu Edelsteinen gewesen wäre. Ohrge¬ hänge, welche damals alle Frauen und Mädchen trugen, hatte weder Mathilde je, seit ich sie kannte, getragen, noch trug sie Natalie.
In unserem Schweigen sahen wir gleichsam wie durch Verabredung gegen das rieselnde Wasser.
Stifter, Nachsommer. II. 26
Bruſtlinnens, dünkt ſie mich das Würdigſte und Ernſteſte.“
„Und liebt ihr die Edelſteine als Schmuck?“ fragte ſie.
„Wenn die ſchönſten Steine ihrer Art ausgewählt werden,“ antwortete ich, „wenn ſie in einer Faſſung ſind, welche richtigen Kunſtgeſezen entſpricht, und wenn dieſe Faſſung an der Stelle, wo ſie iſt, einen Zweck erfüllt, alſo nothwendig erſcheint: dann iſt wohl kein Schmuck des menſchlichen Körpers feier¬ licher als der der Edelſteine.“
Wir ſchwiegen nach dieſen Worten, und ich konnte Natalien jezt erſt ein wenig betrachten. Sie hatte ein mattes hellgraues Seidenkleid an, wie ſie es über¬ haupt gerne trug. Das Kleid reichte, wie es bei ihr immer der Fall war, bis zum Halſe und bis zu den Knöcheln der Hand. Von Schmuck hatte ſie gar nichts an ſich, nicht das Geringſte, während ihr Körper doch ſo ſtimmend zu Edelſteinen geweſen wäre. Ohrge¬ hänge, welche damals alle Frauen und Mädchen trugen, hatte weder Mathilde je, ſeit ich ſie kannte, getragen, noch trug ſie Natalie.
In unſerem Schweigen ſahen wir gleichſam wie durch Verabredung gegen das rieſelnde Waſſer.
Stifter, Nachſommer. II. 26
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0415"n="401"/>
Bruſtlinnens, dünkt ſie mich das Würdigſte und<lb/>
Ernſteſte.“</p><lb/><p>„Und liebt ihr die Edelſteine als Schmuck?“<lb/>
fragte ſie.</p><lb/><p>„Wenn die ſchönſten Steine ihrer Art ausgewählt<lb/>
werden,“ antwortete ich, „wenn ſie in einer Faſſung<lb/>ſind, welche richtigen Kunſtgeſezen entſpricht, und<lb/>
wenn dieſe Faſſung an der Stelle, wo ſie iſt, einen<lb/>
Zweck erfüllt, alſo nothwendig erſcheint: dann iſt<lb/>
wohl kein Schmuck des menſchlichen Körpers feier¬<lb/>
licher als der der Edelſteine.“</p><lb/><p>Wir ſchwiegen nach dieſen Worten, und ich konnte<lb/>
Natalien jezt erſt ein wenig betrachten. Sie hatte ein<lb/>
mattes hellgraues Seidenkleid an, wie ſie es über¬<lb/>
haupt gerne trug. Das Kleid reichte, wie es bei ihr<lb/>
immer der Fall war, bis zum Halſe und bis zu den<lb/>
Knöcheln der Hand. Von Schmuck hatte ſie gar nichts<lb/>
an ſich, nicht das Geringſte, während ihr Körper doch<lb/>ſo ſtimmend zu Edelſteinen geweſen wäre. Ohrge¬<lb/>
hänge, welche damals alle Frauen und Mädchen<lb/>
trugen, hatte weder Mathilde je, ſeit ich ſie kannte,<lb/>
getragen, noch trug ſie Natalie.</p><lb/><p>In unſerem Schweigen ſahen wir gleichſam wie<lb/>
durch Verabredung gegen das rieſelnde Waſſer.</p><lb/><fwplace="bottom"type="sig"><hirendition="#g">Stifter</hi>, Nachſommer. <hirendition="#aq">II</hi>. 26<lb/></fw></div></body></text></TEI>
[401/0415]
Bruſtlinnens, dünkt ſie mich das Würdigſte und
Ernſteſte.“
„Und liebt ihr die Edelſteine als Schmuck?“
fragte ſie.
„Wenn die ſchönſten Steine ihrer Art ausgewählt
werden,“ antwortete ich, „wenn ſie in einer Faſſung
ſind, welche richtigen Kunſtgeſezen entſpricht, und
wenn dieſe Faſſung an der Stelle, wo ſie iſt, einen
Zweck erfüllt, alſo nothwendig erſcheint: dann iſt
wohl kein Schmuck des menſchlichen Körpers feier¬
licher als der der Edelſteine.“
Wir ſchwiegen nach dieſen Worten, und ich konnte
Natalien jezt erſt ein wenig betrachten. Sie hatte ein
mattes hellgraues Seidenkleid an, wie ſie es über¬
haupt gerne trug. Das Kleid reichte, wie es bei ihr
immer der Fall war, bis zum Halſe und bis zu den
Knöcheln der Hand. Von Schmuck hatte ſie gar nichts
an ſich, nicht das Geringſte, während ihr Körper doch
ſo ſtimmend zu Edelſteinen geweſen wäre. Ohrge¬
hänge, welche damals alle Frauen und Mädchen
trugen, hatte weder Mathilde je, ſeit ich ſie kannte,
getragen, noch trug ſie Natalie.
In unſerem Schweigen ſahen wir gleichſam wie
durch Verabredung gegen das rieſelnde Waſſer.
Stifter, Nachſommer. II. 26
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 2. Pesth, 1857, S. 401. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer02_1857/415>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.