Entfernung vom Ufer ich mittelst einer Meßschnur be¬ zeichnete. Ich dachte, auf diese Weise könnte man annähernd die Gestalt des Seebeckens ergründen, könnte es zeichnen, und könnte das innere Becken von dem äußeren durch eine sanftere grünlichere Farbe un¬ terscheiden. Ich beschloß, bei einer ferneren Gelegen¬ heit die Messungen fortzusezen.
Diese Bestrebungen brachten mich auf die Be¬ trachtung der Seltsamkeiten unserer Erdgestaltungen. In dem Seegrunde sah ich ein Thal, in dessen Sohle, die sich bei andern Thälern mit dem vieltausendfachen Pflanzenreichthume und den niedergestürzten Gebirgs¬ theilen füllt, und so einen schönen Wechsel von Pflan¬ zen und Gestein darstellt, kein Pflanzengrund sich ent¬ wickelt, sondern das Gerölle sich sachte mehrt, der Boden sich hebt, und die ursprünglichen Klüftungen ausfüllt. Dazu kommen die Stücke, die unmittelbar von den Wänden in den See stürzen, dazu kommen die Hügel, die außer der gewöhnlichen Ordnung von bedeutenden Hochwassern in den See geschoben, und von dem nachträglichen Wellenschlage wieder abge¬ flacht werden. In Jahrtausenden und Jahrtausenden füllt sich das Becken immer mehr, bis einmal, mögen hundert oder noch mehr Jahrtausende vergangen sein,
Stifter, Nachsommer. II. 3
Entfernung vom Ufer ich mittelſt einer Meßſchnur be¬ zeichnete. Ich dachte, auf dieſe Weiſe könnte man annähernd die Geſtalt des Seebeckens ergründen, könnte es zeichnen, und könnte das innere Becken von dem äußeren durch eine ſanftere grünlichere Farbe un¬ terſcheiden. Ich beſchloß, bei einer ferneren Gelegen¬ heit die Meſſungen fortzuſezen.
Dieſe Beſtrebungen brachten mich auf die Be¬ trachtung der Seltſamkeiten unſerer Erdgeſtaltungen. In dem Seegrunde ſah ich ein Thal, in deſſen Sohle, die ſich bei andern Thälern mit dem vieltauſendfachen Pflanzenreichthume und den niedergeſtürzten Gebirgs¬ theilen füllt, und ſo einen ſchönen Wechſel von Pflan¬ zen und Geſtein darſtellt, kein Pflanzengrund ſich ent¬ wickelt, ſondern das Gerölle ſich ſachte mehrt, der Boden ſich hebt, und die urſprünglichen Klüftungen ausfüllt. Dazu kommen die Stücke, die unmittelbar von den Wänden in den See ſtürzen, dazu kommen die Hügel, die außer der gewöhnlichen Ordnung von bedeutenden Hochwaſſern in den See geſchoben, und von dem nachträglichen Wellenſchlage wieder abge¬ flacht werden. In Jahrtauſenden und Jahrtauſenden füllt ſich das Becken immer mehr, bis einmal, mögen hundert oder noch mehr Jahrtauſende vergangen ſein,
Stifter, Nachſommer. II. 3
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0047"n="33"/>
Entfernung vom Ufer ich mittelſt einer Meßſchnur be¬<lb/>
zeichnete. Ich dachte, auf dieſe Weiſe könnte man<lb/>
annähernd die Geſtalt des Seebeckens ergründen,<lb/>
könnte es zeichnen, und könnte das innere Becken von<lb/>
dem äußeren durch eine ſanftere grünlichere Farbe un¬<lb/>
terſcheiden. Ich beſchloß, bei einer ferneren Gelegen¬<lb/>
heit die Meſſungen fortzuſezen.</p><lb/><p>Dieſe Beſtrebungen brachten mich auf die Be¬<lb/>
trachtung der Seltſamkeiten unſerer Erdgeſtaltungen.<lb/>
In dem Seegrunde ſah ich ein Thal, in deſſen Sohle,<lb/>
die ſich bei andern Thälern mit dem vieltauſendfachen<lb/>
Pflanzenreichthume und den niedergeſtürzten Gebirgs¬<lb/>
theilen füllt, und ſo einen ſchönen Wechſel von Pflan¬<lb/>
zen und Geſtein darſtellt, kein Pflanzengrund ſich ent¬<lb/>
wickelt, ſondern das Gerölle ſich ſachte mehrt, der<lb/>
Boden ſich hebt, und die urſprünglichen Klüftungen<lb/>
ausfüllt. Dazu kommen die Stücke, die unmittelbar<lb/>
von den Wänden in den See ſtürzen, dazu kommen<lb/>
die Hügel, die außer der gewöhnlichen Ordnung von<lb/>
bedeutenden Hochwaſſern in den See geſchoben, und<lb/>
von dem nachträglichen Wellenſchlage wieder abge¬<lb/>
flacht werden. In Jahrtauſenden und Jahrtauſenden<lb/>
füllt ſich das Becken immer mehr, bis einmal, mögen<lb/>
hundert oder noch mehr Jahrtauſende vergangen ſein,<lb/><fwplace="bottom"type="sig"><hirendition="#g">Stifter</hi>, Nachſommer. <hirendition="#aq">II</hi>. 3<lb/></fw></p></div></body></text></TEI>
[33/0047]
Entfernung vom Ufer ich mittelſt einer Meßſchnur be¬
zeichnete. Ich dachte, auf dieſe Weiſe könnte man
annähernd die Geſtalt des Seebeckens ergründen,
könnte es zeichnen, und könnte das innere Becken von
dem äußeren durch eine ſanftere grünlichere Farbe un¬
terſcheiden. Ich beſchloß, bei einer ferneren Gelegen¬
heit die Meſſungen fortzuſezen.
Dieſe Beſtrebungen brachten mich auf die Be¬
trachtung der Seltſamkeiten unſerer Erdgeſtaltungen.
In dem Seegrunde ſah ich ein Thal, in deſſen Sohle,
die ſich bei andern Thälern mit dem vieltauſendfachen
Pflanzenreichthume und den niedergeſtürzten Gebirgs¬
theilen füllt, und ſo einen ſchönen Wechſel von Pflan¬
zen und Geſtein darſtellt, kein Pflanzengrund ſich ent¬
wickelt, ſondern das Gerölle ſich ſachte mehrt, der
Boden ſich hebt, und die urſprünglichen Klüftungen
ausfüllt. Dazu kommen die Stücke, die unmittelbar
von den Wänden in den See ſtürzen, dazu kommen
die Hügel, die außer der gewöhnlichen Ordnung von
bedeutenden Hochwaſſern in den See geſchoben, und
von dem nachträglichen Wellenſchlage wieder abge¬
flacht werden. In Jahrtauſenden und Jahrtauſenden
füllt ſich das Becken immer mehr, bis einmal, mögen
hundert oder noch mehr Jahrtauſende vergangen ſein,
Stifter, Nachſommer. II. 3
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 2. Pesth, 1857, S. 33. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer02_1857/47>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.