Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 2. Pesth, 1857.

Bild:
<< vorherige Seite

jezt auch, den ganzen Blick, in dem ein Hinterein¬
anderstehendes im Dufte Schwebendes vom Himmel
sich Abhebendes enthalten war, auf Papier oder Lein¬
wand zu zeichnen und mit Öhlfarben zu malen. Das
sah ich sogleich, daß es weit schwerer war als meine frü¬
heren Bestrebungen, weil es sich hier darum handelte,
ein Räumliches, das sich nicht in gegebenen Abmessun¬
gen und mit seinen Naturfarben sondern gleichsam als
die Seele eines Ganzen darstellte, zu erfassen, wäh¬
rend ich früher nur einen Gegenstand mit bekannten
Linienverhältnissen und seiner ihm eigenthümlichen
Farbe in die Mappe zu übertragen hatte. Die ersten
Versuche mißlangen gänzlich. Dieses schreckte mich
aber nicht ab, sondern eiferte mich vielmehr noch im¬
mer stärker an. Ich versuchte wieder und immer wie¬
der. Endlich vertilgte ich die Versuche nicht mehr, wie
ich früher gethan hatte, sondern bewahrte sie zur Ver¬
gleichung auf. Diese Vergleichung zeigte mir nach
und nach, daß sich die Versuche besserten, und die
Zeichnung leichter und natürlicher wurde. Es war ein
gewaltiger Reiz für das Herz, das Unnennbare, was
in den Dingen vor mir lag, zu ergreifen, und je mehr
ich nach dem Ergreifen strebte, desto schöner wurde auch
dieses Unnennbare vor mir selbst.

jezt auch, den ganzen Blick, in dem ein Hinterein¬
anderſtehendes im Dufte Schwebendes vom Himmel
ſich Abhebendes enthalten war, auf Papier oder Lein¬
wand zu zeichnen und mit Öhlfarben zu malen. Das
ſah ich ſogleich, daß es weit ſchwerer war als meine frü¬
heren Beſtrebungen, weil es ſich hier darum handelte,
ein Räumliches, das ſich nicht in gegebenen Abmeſſun¬
gen und mit ſeinen Naturfarben ſondern gleichſam als
die Seele eines Ganzen darſtellte, zu erfaſſen, wäh¬
rend ich früher nur einen Gegenſtand mit bekannten
Linienverhältniſſen und ſeiner ihm eigenthümlichen
Farbe in die Mappe zu übertragen hatte. Die erſten
Verſuche mißlangen gänzlich. Dieſes ſchreckte mich
aber nicht ab, ſondern eiferte mich vielmehr noch im¬
mer ſtärker an. Ich verſuchte wieder und immer wie¬
der. Endlich vertilgte ich die Verſuche nicht mehr, wie
ich früher gethan hatte, ſondern bewahrte ſie zur Ver¬
gleichung auf. Dieſe Vergleichung zeigte mir nach
und nach, daß ſich die Verſuche beſſerten, und die
Zeichnung leichter und natürlicher wurde. Es war ein
gewaltiger Reiz für das Herz, das Unnennbare, was
in den Dingen vor mir lag, zu ergreifen, und je mehr
ich nach dem Ergreifen ſtrebte, deſto ſchöner wurde auch
dieſes Unnennbare vor mir ſelbſt.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0056" n="42"/>
jezt auch, den ganzen Blick, in dem ein Hinterein¬<lb/>
ander&#x017F;tehendes im Dufte Schwebendes vom Himmel<lb/>
&#x017F;ich Abhebendes enthalten war, auf Papier oder Lein¬<lb/>
wand zu zeichnen und mit Öhlfarben zu malen. Das<lb/>
&#x017F;ah ich &#x017F;ogleich, daß es weit &#x017F;chwerer war als meine frü¬<lb/>
heren Be&#x017F;trebungen, weil es &#x017F;ich hier darum handelte,<lb/>
ein Räumliches, das &#x017F;ich nicht in gegebenen Abme&#x017F;&#x017F;un¬<lb/>
gen und mit &#x017F;einen Naturfarben &#x017F;ondern gleich&#x017F;am als<lb/>
die Seele eines Ganzen dar&#x017F;tellte, zu erfa&#x017F;&#x017F;en, wäh¬<lb/>
rend ich früher nur einen Gegen&#x017F;tand mit bekannten<lb/>
Linienverhältni&#x017F;&#x017F;en und &#x017F;einer ihm eigenthümlichen<lb/>
Farbe in die Mappe zu übertragen hatte. Die er&#x017F;ten<lb/>
Ver&#x017F;uche mißlangen gänzlich. Die&#x017F;es &#x017F;chreckte mich<lb/>
aber nicht ab, &#x017F;ondern eiferte mich vielmehr noch im¬<lb/>
mer &#x017F;tärker an. Ich ver&#x017F;uchte wieder und immer wie¬<lb/>
der. Endlich vertilgte ich die Ver&#x017F;uche nicht mehr, wie<lb/>
ich früher gethan hatte, &#x017F;ondern bewahrte &#x017F;ie zur Ver¬<lb/>
gleichung auf. Die&#x017F;e Vergleichung zeigte mir nach<lb/>
und nach, daß &#x017F;ich die Ver&#x017F;uche be&#x017F;&#x017F;erten, und die<lb/>
Zeichnung leichter und natürlicher wurde. Es war ein<lb/>
gewaltiger Reiz für das Herz, das Unnennbare, was<lb/>
in den Dingen vor mir lag, zu ergreifen, und je mehr<lb/>
ich nach dem Ergreifen &#x017F;trebte, de&#x017F;to &#x017F;chöner wurde auch<lb/>
die&#x017F;es Unnennbare vor mir &#x017F;elb&#x017F;t.</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[42/0056] jezt auch, den ganzen Blick, in dem ein Hinterein¬ anderſtehendes im Dufte Schwebendes vom Himmel ſich Abhebendes enthalten war, auf Papier oder Lein¬ wand zu zeichnen und mit Öhlfarben zu malen. Das ſah ich ſogleich, daß es weit ſchwerer war als meine frü¬ heren Beſtrebungen, weil es ſich hier darum handelte, ein Räumliches, das ſich nicht in gegebenen Abmeſſun¬ gen und mit ſeinen Naturfarben ſondern gleichſam als die Seele eines Ganzen darſtellte, zu erfaſſen, wäh¬ rend ich früher nur einen Gegenſtand mit bekannten Linienverhältniſſen und ſeiner ihm eigenthümlichen Farbe in die Mappe zu übertragen hatte. Die erſten Verſuche mißlangen gänzlich. Dieſes ſchreckte mich aber nicht ab, ſondern eiferte mich vielmehr noch im¬ mer ſtärker an. Ich verſuchte wieder und immer wie¬ der. Endlich vertilgte ich die Verſuche nicht mehr, wie ich früher gethan hatte, ſondern bewahrte ſie zur Ver¬ gleichung auf. Dieſe Vergleichung zeigte mir nach und nach, daß ſich die Verſuche beſſerten, und die Zeichnung leichter und natürlicher wurde. Es war ein gewaltiger Reiz für das Herz, das Unnennbare, was in den Dingen vor mir lag, zu ergreifen, und je mehr ich nach dem Ergreifen ſtrebte, deſto ſchöner wurde auch dieſes Unnennbare vor mir ſelbſt.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer02_1857
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer02_1857/56
Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 2. Pesth, 1857, S. 42. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer02_1857/56>, abgerufen am 21.11.2024.