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Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 3. Pesth, 1857.

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Schneefelder verfärbten sich zu einer schöneren und
anmuthigeren Farbe, als das Bleigrau war, mit dem
sie bisher bedeckt gewesen waren, und in der lichten
Stelle des Nebels begann ein Punkt zu glühen, der
immer größer wurde, und endlich in der Größe eines
Tellers schweben blieb, zwar trübroth aber so innig
glimmend wie der feurigste Rubin. Die Sonne war
es, die die niederen Berge überwunden hatte, und
den Nebel durchbrannte. Immer röthlicher wurde der
Schnee, immer deutlicher fast grünlich seine Schatten,
die hohen Felsen zu unserer Rechten, die im Westen
standen, spürten auch die sich nähernde Leuchte, und
rötheten sich. Sonst war nichts zu sehen, als der un¬
geheure dunkle ganz heitere Himmel über uns, und
in der einfachen großen Fläche, die die Natur hieher
gelegt hatte, standen nur die zwei Menschen, die da
winzig genug sein mußten. Der Nebel fing endlich
an seiner äußersten Grenze zu leuchten an wie ge¬
schmolzenes Metall, der Himmel lichtete sich, und
die Sonne quoll wie blizendes Erz aus ihrer Umhül¬
lung empor. Die Lichter schossen plözlich über den
Schnee zu unsern Füssen, und fingen sich an den Fel¬
sen. Der freudige Tag war da.

Wir banden uns die Stricke um den Leib, und

Stifter, Nachsommer. III. 11

Schneefelder verfärbten ſich zu einer ſchöneren und
anmuthigeren Farbe, als das Bleigrau war, mit dem
ſie bisher bedeckt geweſen waren, und in der lichten
Stelle des Nebels begann ein Punkt zu glühen, der
immer größer wurde, und endlich in der Größe eines
Tellers ſchweben blieb, zwar trübroth aber ſo innig
glimmend wie der feurigſte Rubin. Die Sonne war
es, die die niederen Berge überwunden hatte, und
den Nebel durchbrannte. Immer röthlicher wurde der
Schnee, immer deutlicher faſt grünlich ſeine Schatten,
die hohen Felſen zu unſerer Rechten, die im Weſten
ſtanden, ſpürten auch die ſich nähernde Leuchte, und
rötheten ſich. Sonſt war nichts zu ſehen, als der un¬
geheure dunkle ganz heitere Himmel über uns, und
in der einfachen großen Fläche, die die Natur hieher
gelegt hatte, ſtanden nur die zwei Menſchen, die da
winzig genug ſein mußten. Der Nebel fing endlich
an ſeiner äußerſten Grenze zu leuchten an wie ge¬
ſchmolzenes Metall, der Himmel lichtete ſich, und
die Sonne quoll wie blizendes Erz aus ihrer Umhül¬
lung empor. Die Lichter ſchoſſen plözlich über den
Schnee zu unſern Füſſen, und fingen ſich an den Fel¬
ſen. Der freudige Tag war da.

Wir banden uns die Stricke um den Leib, und

Stifter, Nachſommer. III. 11
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[161/0175] Schneefelder verfärbten ſich zu einer ſchöneren und anmuthigeren Farbe, als das Bleigrau war, mit dem ſie bisher bedeckt geweſen waren, und in der lichten Stelle des Nebels begann ein Punkt zu glühen, der immer größer wurde, und endlich in der Größe eines Tellers ſchweben blieb, zwar trübroth aber ſo innig glimmend wie der feurigſte Rubin. Die Sonne war es, die die niederen Berge überwunden hatte, und den Nebel durchbrannte. Immer röthlicher wurde der Schnee, immer deutlicher faſt grünlich ſeine Schatten, die hohen Felſen zu unſerer Rechten, die im Weſten ſtanden, ſpürten auch die ſich nähernde Leuchte, und rötheten ſich. Sonſt war nichts zu ſehen, als der un¬ geheure dunkle ganz heitere Himmel über uns, und in der einfachen großen Fläche, die die Natur hieher gelegt hatte, ſtanden nur die zwei Menſchen, die da winzig genug ſein mußten. Der Nebel fing endlich an ſeiner äußerſten Grenze zu leuchten an wie ge¬ ſchmolzenes Metall, der Himmel lichtete ſich, und die Sonne quoll wie blizendes Erz aus ihrer Umhül¬ lung empor. Die Lichter ſchoſſen plözlich über den Schnee zu unſern Füſſen, und fingen ſich an den Fel¬ ſen. Der freudige Tag war da. Wir banden uns die Stricke um den Leib, und Stifter, Nachſommer. III. 11

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Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 3. Pesth, 1857, S. 161. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer03_1857/175>, abgerufen am 24.11.2024.