Glanze und die Erinnerung der eben gesehenen Ge¬ stalt in mir wirken.
Nach einer Zeit trat ich durch die Thür, welche in das Bilderzimmer führt. Die Bilder hingen in dem düsteren Glanze des Tages da, und konnten selbst dort, wo der Künstler die kraftvollsten Mittel des Lichtes und Schattens angewendet hatte, nicht zur vollen Wirksamkeit gelangen, weil das, was die Bil¬ der erst recht malen hilft, fehlte, die Macht eines son¬ nigen und heiteren Tages. Selbst als ich zu einigen, die ich besonders liebte, näher getreten war, selbst als ich vor einem Guido, der auf der Staffelei stand, die nahe an das Fenster und in das beste Licht gerückt worden war, niedersaß, um ihn zu betrachten, konnte die Empfindung, die sonst diese Werke in mir erreg¬ ten, nicht emporkeimen. Ich erkannte bald die Ur¬ sache, welche darin bestand, daß ohnehin eine viel höhere in meinem Gemüthe waltete, welche durch die Gestalt des Alterthums in mir hervorgerufen worden war. Die Gemälde erschienen mir beinahe klein. Ich ging in das Bücherzimmer, nahm mir Odysseus aus seinem Schreine, begab mich in das Lesezimmer, in welchem die gesellige Flamme die Freundin des Men¬ schen, die ihm in der Finsterniß Licht und im Winter
Glanze und die Erinnerung der eben geſehenen Ge¬ ſtalt in mir wirken.
Nach einer Zeit trat ich durch die Thür, welche in das Bilderzimmer führt. Die Bilder hingen in dem düſteren Glanze des Tages da, und konnten ſelbſt dort, wo der Künſtler die kraftvollſten Mittel des Lichtes und Schattens angewendet hatte, nicht zur vollen Wirkſamkeit gelangen, weil das, was die Bil¬ der erſt recht malen hilft, fehlte, die Macht eines ſon¬ nigen und heiteren Tages. Selbſt als ich zu einigen, die ich beſonders liebte, näher getreten war, ſelbſt als ich vor einem Guido, der auf der Staffelei ſtand, die nahe an das Fenſter und in das beſte Licht gerückt worden war, niederſaß, um ihn zu betrachten, konnte die Empfindung, die ſonſt dieſe Werke in mir erreg¬ ten, nicht emporkeimen. Ich erkannte bald die Ur¬ ſache, welche darin beſtand, daß ohnehin eine viel höhere in meinem Gemüthe waltete, welche durch die Geſtalt des Alterthums in mir hervorgerufen worden war. Die Gemälde erſchienen mir beinahe klein. Ich ging in das Bücherzimmer, nahm mir Odyſſeus aus ſeinem Schreine, begab mich in das Leſezimmer, in welchem die geſellige Flamme die Freundin des Men¬ ſchen, die ihm in der Finſterniß Licht und im Winter
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0208"n="194"/>
Glanze und die Erinnerung der eben geſehenen Ge¬<lb/>ſtalt in mir wirken.</p><lb/><p>Nach einer Zeit trat ich durch die Thür, welche<lb/>
in das Bilderzimmer führt. Die Bilder hingen in dem<lb/>
düſteren Glanze des Tages da, und konnten ſelbſt<lb/>
dort, wo der Künſtler die kraftvollſten Mittel des<lb/>
Lichtes und Schattens angewendet hatte, nicht zur<lb/>
vollen Wirkſamkeit gelangen, weil das, was die Bil¬<lb/>
der erſt recht malen hilft, fehlte, die Macht eines ſon¬<lb/>
nigen und heiteren Tages. Selbſt als ich zu einigen,<lb/>
die ich beſonders liebte, näher getreten war, ſelbſt als<lb/>
ich vor einem Guido, der auf der Staffelei ſtand, die<lb/>
nahe an das Fenſter und in das beſte Licht gerückt<lb/>
worden war, niederſaß, um ihn zu betrachten, konnte<lb/>
die Empfindung, die ſonſt dieſe Werke in mir erreg¬<lb/>
ten, nicht emporkeimen. Ich erkannte bald die Ur¬<lb/>ſache, welche darin beſtand, daß ohnehin eine viel<lb/>
höhere in meinem Gemüthe waltete, welche durch die<lb/>
Geſtalt des Alterthums in mir hervorgerufen worden<lb/>
war. Die Gemälde erſchienen mir beinahe klein. Ich<lb/>
ging in das Bücherzimmer, nahm mir Odyſſeus aus<lb/>ſeinem Schreine, begab mich in das Leſezimmer, in<lb/>
welchem die geſellige Flamme die Freundin des Men¬<lb/>ſchen, die ihm in der Finſterniß Licht und im Winter<lb/></p></div></body></text></TEI>
[194/0208]
Glanze und die Erinnerung der eben geſehenen Ge¬
ſtalt in mir wirken.
Nach einer Zeit trat ich durch die Thür, welche
in das Bilderzimmer führt. Die Bilder hingen in dem
düſteren Glanze des Tages da, und konnten ſelbſt
dort, wo der Künſtler die kraftvollſten Mittel des
Lichtes und Schattens angewendet hatte, nicht zur
vollen Wirkſamkeit gelangen, weil das, was die Bil¬
der erſt recht malen hilft, fehlte, die Macht eines ſon¬
nigen und heiteren Tages. Selbſt als ich zu einigen,
die ich beſonders liebte, näher getreten war, ſelbſt als
ich vor einem Guido, der auf der Staffelei ſtand, die
nahe an das Fenſter und in das beſte Licht gerückt
worden war, niederſaß, um ihn zu betrachten, konnte
die Empfindung, die ſonſt dieſe Werke in mir erreg¬
ten, nicht emporkeimen. Ich erkannte bald die Ur¬
ſache, welche darin beſtand, daß ohnehin eine viel
höhere in meinem Gemüthe waltete, welche durch die
Geſtalt des Alterthums in mir hervorgerufen worden
war. Die Gemälde erſchienen mir beinahe klein. Ich
ging in das Bücherzimmer, nahm mir Odyſſeus aus
ſeinem Schreine, begab mich in das Leſezimmer, in
welchem die geſellige Flamme die Freundin des Men¬
ſchen, die ihm in der Finſterniß Licht und im Winter
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 3. Pesth, 1857, S. 194. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer03_1857/208>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.