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Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 3. Pesth, 1857.

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ein Wetterstrahl getroffen. Ich ging wieder in die
Büsche. Es waren Flieder in jener Gegend, die eine
Strecke Rasen säumten, und in ihrer Mitte eine Bank
hatten, um im Schatten ruhen zu können. Zu dieser
Bank ging ich immer wieder zurück. Dann ging ich
wieder auf ein Fleckchen Rasen, und sah gegen die
Fenster. Sie beugte sich wieder heraus. Dies thaten
wir ungezählte Male, bis der Flieder in dem Roth
der Abendröthe schwamm, und die Fenster wie Rubi¬
nen glänzten. Es war zauberhaft, ein süsses Geheim¬
niß mit einander zu haben, sich seiner bewußt zu sein,
und es als Glut im Herzen zu hegen. Ich trug es
entzückt in meine Wohnung."

"Als wir zum Abendessen zusammen kamen, fragte
mich Mathildens Mutter: ""Warum seid ihr denn
heute, da ihr mit den Kindern aus dem Garten zurück¬
gekehrt waret, nicht mehr zu mir gegangen?""

"Ich vermochte auf diese Frage nicht ein Wort zu
antworten; es wurde aber nicht beachtet."

"Ich schlief in der ganzen Nacht kaum einige Au¬
genblicke. Ich freute mich schon auf den Morgen, an
dem ich sie wieder sehen würde. Wir trafen alle in
dem Speisesaale zu dem Frühmahle zusammen. Ein
Blick ein leichtes Erröthen sagte alles, sie sagten, daß

ein Wetterſtrahl getroffen. Ich ging wieder in die
Büſche. Es waren Flieder in jener Gegend, die eine
Strecke Raſen ſäumten, und in ihrer Mitte eine Bank
hatten, um im Schatten ruhen zu können. Zu dieſer
Bank ging ich immer wieder zurück. Dann ging ich
wieder auf ein Fleckchen Raſen, und ſah gegen die
Fenſter. Sie beugte ſich wieder heraus. Dies thaten
wir ungezählte Male, bis der Flieder in dem Roth
der Abendröthe ſchwamm, und die Fenſter wie Rubi¬
nen glänzten. Es war zauberhaft, ein ſüſſes Geheim¬
niß mit einander zu haben, ſich ſeiner bewußt zu ſein,
und es als Glut im Herzen zu hegen. Ich trug es
entzückt in meine Wohnung.“

„Als wir zum Abendeſſen zuſammen kamen, fragte
mich Mathildens Mutter: „„Warum ſeid ihr denn
heute, da ihr mit den Kindern aus dem Garten zurück¬
gekehrt waret, nicht mehr zu mir gegangen?““

„Ich vermochte auf dieſe Frage nicht ein Wort zu
antworten; es wurde aber nicht beachtet.“

„Ich ſchlief in der ganzen Nacht kaum einige Au¬
genblicke. Ich freute mich ſchon auf den Morgen, an
dem ich ſie wieder ſehen würde. Wir trafen alle in
dem Speiſeſaale zu dem Frühmahle zuſammen. Ein
Blick ein leichtes Erröthen ſagte alles, ſie ſagten, daß

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[293/0307] ein Wetterſtrahl getroffen. Ich ging wieder in die Büſche. Es waren Flieder in jener Gegend, die eine Strecke Raſen ſäumten, und in ihrer Mitte eine Bank hatten, um im Schatten ruhen zu können. Zu dieſer Bank ging ich immer wieder zurück. Dann ging ich wieder auf ein Fleckchen Raſen, und ſah gegen die Fenſter. Sie beugte ſich wieder heraus. Dies thaten wir ungezählte Male, bis der Flieder in dem Roth der Abendröthe ſchwamm, und die Fenſter wie Rubi¬ nen glänzten. Es war zauberhaft, ein ſüſſes Geheim¬ niß mit einander zu haben, ſich ſeiner bewußt zu ſein, und es als Glut im Herzen zu hegen. Ich trug es entzückt in meine Wohnung.“ „Als wir zum Abendeſſen zuſammen kamen, fragte mich Mathildens Mutter: „„Warum ſeid ihr denn heute, da ihr mit den Kindern aus dem Garten zurück¬ gekehrt waret, nicht mehr zu mir gegangen?““ „Ich vermochte auf dieſe Frage nicht ein Wort zu antworten; es wurde aber nicht beachtet.“ „Ich ſchlief in der ganzen Nacht kaum einige Au¬ genblicke. Ich freute mich ſchon auf den Morgen, an dem ich ſie wieder ſehen würde. Wir trafen alle in dem Speiſeſaale zu dem Frühmahle zuſammen. Ein Blick ein leichtes Erröthen ſagte alles, ſie ſagten, daß

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Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 3. Pesth, 1857, S. 293. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer03_1857/307>, abgerufen am 22.11.2024.