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Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 3. Pesth, 1857.

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wir uns besaßen, und daß wir es wußten. Den gan¬
zen Morgen brachte ich mit Alfred im eifrigen Lernen
zu. Gegen Mittag, als Gräser und Laubblätter ge¬
trocknet waren, gingen wir in den Garten. Mathilde
flog mit einem Buche, in dem sie eben gelesen hatte,
aus dem Hause, sie eilte auf uns zu, und wir
tauschten den Blick der Einigung. Sie sah mich
innig an, und ich fühlte, wie meine Empfindung aus
meinen Augen strömte. Wir gingen durch den Blu¬
mengarten und durch den Gemüsegarten auf den Wein¬
laubengang zu. Es war, als hätten wir uns verab¬
redet, dorthin zu gehn. Mathilde und ich sprachen
gewöhnliche Dinge, und in den gewöhnlichen Dingen
lag ein Sinn, den wir verstanden. Sie gab mir ein
Weinblatt, und ich verbarg das Weinblatt an meinem
Herzen. Ich reichte ihr ein Blümchen, und sie steckte
das Blümchen in ihren Busen. Ich nahm ihr das
Papierstreifchen, welches als Merkmal in ihrem Buche
steckte, und behielt es bei mir. Sie wollte es wieder
haben, ich gab es nicht, und sie lächelte, und ließ es
mir. Wir kamen in das Haselgebüsch, durchstreiften
es, und traten vor die Rosen des Gartenhauses. Sie
nahm einige welke Blätter ab, und reinigte dadurch
den Zweig. Ich that das nehmliche mit dem Nachbar¬

wir uns beſaßen, und daß wir es wußten. Den gan¬
zen Morgen brachte ich mit Alfred im eifrigen Lernen
zu. Gegen Mittag, als Gräſer und Laubblätter ge¬
trocknet waren, gingen wir in den Garten. Mathilde
flog mit einem Buche, in dem ſie eben geleſen hatte,
aus dem Hauſe, ſie eilte auf uns zu, und wir
tauſchten den Blick der Einigung. Sie ſah mich
innig an, und ich fühlte, wie meine Empfindung aus
meinen Augen ſtrömte. Wir gingen durch den Blu¬
mengarten und durch den Gemüſegarten auf den Wein¬
laubengang zu. Es war, als hätten wir uns verab¬
redet, dorthin zu gehn. Mathilde und ich ſprachen
gewöhnliche Dinge, und in den gewöhnlichen Dingen
lag ein Sinn, den wir verſtanden. Sie gab mir ein
Weinblatt, und ich verbarg das Weinblatt an meinem
Herzen. Ich reichte ihr ein Blümchen, und ſie ſteckte
das Blümchen in ihren Buſen. Ich nahm ihr das
Papierſtreifchen, welches als Merkmal in ihrem Buche
ſteckte, und behielt es bei mir. Sie wollte es wieder
haben, ich gab es nicht, und ſie lächelte, und ließ es
mir. Wir kamen in das Haſelgebüſch, durchſtreiften
es, und traten vor die Roſen des Gartenhauſes. Sie
nahm einige welke Blätter ab, und reinigte dadurch
den Zweig. Ich that das nehmliche mit dem Nachbar¬

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[294/0308] wir uns beſaßen, und daß wir es wußten. Den gan¬ zen Morgen brachte ich mit Alfred im eifrigen Lernen zu. Gegen Mittag, als Gräſer und Laubblätter ge¬ trocknet waren, gingen wir in den Garten. Mathilde flog mit einem Buche, in dem ſie eben geleſen hatte, aus dem Hauſe, ſie eilte auf uns zu, und wir tauſchten den Blick der Einigung. Sie ſah mich innig an, und ich fühlte, wie meine Empfindung aus meinen Augen ſtrömte. Wir gingen durch den Blu¬ mengarten und durch den Gemüſegarten auf den Wein¬ laubengang zu. Es war, als hätten wir uns verab¬ redet, dorthin zu gehn. Mathilde und ich ſprachen gewöhnliche Dinge, und in den gewöhnlichen Dingen lag ein Sinn, den wir verſtanden. Sie gab mir ein Weinblatt, und ich verbarg das Weinblatt an meinem Herzen. Ich reichte ihr ein Blümchen, und ſie ſteckte das Blümchen in ihren Buſen. Ich nahm ihr das Papierſtreifchen, welches als Merkmal in ihrem Buche ſteckte, und behielt es bei mir. Sie wollte es wieder haben, ich gab es nicht, und ſie lächelte, und ließ es mir. Wir kamen in das Haſelgebüſch, durchſtreiften es, und traten vor die Roſen des Gartenhauſes. Sie nahm einige welke Blätter ab, und reinigte dadurch den Zweig. Ich that das nehmliche mit dem Nachbar¬

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Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 3. Pesth, 1857, S. 294. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer03_1857/308>, abgerufen am 22.11.2024.