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Stifter, Adalbert: Bunte Steine. Bd. 1. Pest u. a., 1853.

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Eines Tages war in den Steinen eine besondere
Hize. Die Sonne hatte zwar den ganzen Tag nicht
ausgeschienen, aber dennoch hatte sie den matten
Schleier, der den ganzen Himmel bedekte, so weit
durchdrungen, daß man ihr blasses Bild immer sehen
konnte, daß um alle Gegenstände des Steinlandes
ein wesenloses Licht lag, dem kein Schatten beigegeben
war, und daß die Blätter der wenigen Gewächse, die
zu sehen waren, herab hingen; denn obgleich kaum
ein halbes Sonnenlicht durch die Nebelschichte der
Kuppel drang, war doch eine Hize, als wären drei
Tropensonnen an heiterem Himmel, und brennten
alle drei nieder. Wir hatten sehr viel gelitten, so daß
ich meine Leute kurz nach zwei Uhr entließ. Ich sezte
mich unter einen Steinüberhang, der eine Art Höhle
bildete, in welcher es bedeutend kühler war, als
draußen in der freien Luft. Ich verzehrte dort mein
Mittagmal, trank meinen eingekühlten Wein, und
las dann. Gegen Abend wurde die Wolkenschichte
nicht zerrissen, wie es doch an solchen Tagen sehr
häufig geschieht, sie wurde auch nicht dichter, sondern
lag in derselben gleichmäßigen Art wie den ganzen
Tag über den Himmel. Ich ging daher sehr spät aus
der Höhle; denn so wie die Schleierdeke am Himmel
sich nicht geändert hatte, so war die Hize auch kaum

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Eines Tages war in den Steinen eine beſondere
Hize. Die Sonne hatte zwar den ganzen Tag nicht
ausgeſchienen, aber dennoch hatte ſie den matten
Schleier, der den ganzen Himmel bedekte, ſo weit
durchdrungen, daß man ihr blaſſes Bild immer ſehen
konnte, daß um alle Gegenſtände des Steinlandes
ein weſenloſes Licht lag, dem kein Schatten beigegeben
war, und daß die Blätter der wenigen Gewächſe, die
zu ſehen waren, herab hingen; denn obgleich kaum
ein halbes Sonnenlicht durch die Nebelſchichte der
Kuppel drang, war doch eine Hize, als wären drei
Tropenſonnen an heiterem Himmel, und brennten
alle drei nieder. Wir hatten ſehr viel gelitten, ſo daß
ich meine Leute kurz nach zwei Uhr entließ. Ich ſezte
mich unter einen Steinüberhang, der eine Art Höhle
bildete, in welcher es bedeutend kühler war, als
draußen in der freien Luft. Ich verzehrte dort mein
Mittagmal, trank meinen eingekühlten Wein, und
las dann. Gegen Abend wurde die Wolkenſchichte
nicht zerriſſen, wie es doch an ſolchen Tagen ſehr
häufig geſchieht, ſie wurde auch nicht dichter, ſondern
lag in derſelben gleichmäßigen Art wie den ganzen
Tag über den Himmel. Ich ging daher ſehr ſpät aus
der Höhle; denn ſo wie die Schleierdeke am Himmel
ſich nicht geändert hatte, ſo war die Hize auch kaum

7*
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[99/0112] Eines Tages war in den Steinen eine beſondere Hize. Die Sonne hatte zwar den ganzen Tag nicht ausgeſchienen, aber dennoch hatte ſie den matten Schleier, der den ganzen Himmel bedekte, ſo weit durchdrungen, daß man ihr blaſſes Bild immer ſehen konnte, daß um alle Gegenſtände des Steinlandes ein weſenloſes Licht lag, dem kein Schatten beigegeben war, und daß die Blätter der wenigen Gewächſe, die zu ſehen waren, herab hingen; denn obgleich kaum ein halbes Sonnenlicht durch die Nebelſchichte der Kuppel drang, war doch eine Hize, als wären drei Tropenſonnen an heiterem Himmel, und brennten alle drei nieder. Wir hatten ſehr viel gelitten, ſo daß ich meine Leute kurz nach zwei Uhr entließ. Ich ſezte mich unter einen Steinüberhang, der eine Art Höhle bildete, in welcher es bedeutend kühler war, als draußen in der freien Luft. Ich verzehrte dort mein Mittagmal, trank meinen eingekühlten Wein, und las dann. Gegen Abend wurde die Wolkenſchichte nicht zerriſſen, wie es doch an ſolchen Tagen ſehr häufig geſchieht, ſie wurde auch nicht dichter, ſondern lag in derſelben gleichmäßigen Art wie den ganzen Tag über den Himmel. Ich ging daher ſehr ſpät aus der Höhle; denn ſo wie die Schleierdeke am Himmel ſich nicht geändert hatte, ſo war die Hize auch kaum 7*

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Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Bunte Steine. Bd. 1. Pest u. a., 1853, S. 99. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_steine01_1853/112>, abgerufen am 24.11.2024.