In diesem Augenblike kam der Pfarrer mit den lezten Kindern gegen mich heran. Es war auch Zeit; denn die Kinder waren bereits so zutraulich gewor¬ den, daß mir ein winzig kleiner Knabe, der den Grund und Anfang aller Wissenschaften auf einem kleinen Papptäfelchen trug, seine Buchstaben aufsa¬ gen wollte.
Da mich der Pfarrer in der Mitte der Kinder an¬ sichtig wurde, grüßte er sehr freundlich, und sagte, das sei schön von mir, daß ich auch zur Hilfe herbei geeilt wäre.
Ich erschrak über diese Zumuthung, sagte aber gleich, ich sei eben nicht zur Hilfe herbei geeilt, da ich nicht gewußt hätte, daß Kinder über den Steg kom¬ men würden, aber wenn Hilfe nöthig geworden wäre, so würde ich sie gewiß auch geleistet haben.
Bei dieser Gelegenheit, als ich ihn so unter den Kindern stehen sah, bemerkte ich, daß er bei weitem tiefer im Wasser gewesen sein müsse als die Kinder; denn er war bis über die Hüften naß, und dies hätte bei manchem Kinde beinahe an den Hals gereicht. Ich begrif den Widerspruch nicht, und fragte ihn deßhalb. Er sagte, das sei leicht zu erklären. Der Wenner¬ bauer, dem das überschwemmte Stük Wiese gehöre, auf dem er eben im Wasser gestanden sei, habe vor¬
In dieſem Augenblike kam der Pfarrer mit den lezten Kindern gegen mich heran. Es war auch Zeit; denn die Kinder waren bereits ſo zutraulich gewor¬ den, daß mir ein winzig kleiner Knabe, der den Grund und Anfang aller Wiſſenſchaften auf einem kleinen Papptäfelchen trug, ſeine Buchſtaben aufſa¬ gen wollte.
Da mich der Pfarrer in der Mitte der Kinder an¬ ſichtig wurde, grüßte er ſehr freundlich, und ſagte, das ſei ſchön von mir, daß ich auch zur Hilfe herbei geeilt wäre.
Ich erſchrak über dieſe Zumuthung, ſagte aber gleich, ich ſei eben nicht zur Hilfe herbei geeilt, da ich nicht gewußt hätte, daß Kinder über den Steg kom¬ men würden, aber wenn Hilfe nöthig geworden wäre, ſo würde ich ſie gewiß auch geleiſtet haben.
Bei dieſer Gelegenheit, als ich ihn ſo unter den Kindern ſtehen ſah, bemerkte ich, daß er bei weitem tiefer im Waſſer geweſen ſein müſſe als die Kinder; denn er war bis über die Hüften naß, und dies hätte bei manchem Kinde beinahe an den Hals gereicht. Ich begrif den Widerſpruch nicht, und fragte ihn deßhalb. Er ſagte, das ſei leicht zu erklären. Der Wenner¬ bauer, dem das überſchwemmte Stük Wieſe gehöre, auf dem er eben im Waſſer geſtanden ſei, habe vor¬
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0141"n="128"/><p>In dieſem Augenblike kam der Pfarrer mit den<lb/>
lezten Kindern gegen mich heran. Es war auch Zeit;<lb/>
denn die Kinder waren bereits ſo zutraulich gewor¬<lb/>
den, daß mir ein winzig kleiner Knabe, der den<lb/>
Grund und Anfang aller Wiſſenſchaften auf einem<lb/>
kleinen Papptäfelchen trug, ſeine Buchſtaben aufſa¬<lb/>
gen wollte.</p><lb/><p>Da mich der Pfarrer in der Mitte der Kinder an¬<lb/>ſichtig wurde, grüßte er ſehr freundlich, und ſagte,<lb/>
das ſei ſchön von mir, daß ich auch zur Hilfe herbei<lb/>
geeilt wäre.</p><lb/><p>Ich erſchrak über dieſe Zumuthung, ſagte aber<lb/>
gleich, ich ſei eben nicht zur Hilfe herbei geeilt, da ich<lb/>
nicht gewußt hätte, daß Kinder über den Steg kom¬<lb/>
men würden, aber wenn Hilfe nöthig geworden wäre,<lb/>ſo würde ich ſie gewiß auch geleiſtet haben.</p><lb/><p>Bei dieſer Gelegenheit, als ich ihn ſo unter den<lb/>
Kindern ſtehen ſah, bemerkte ich, daß er bei weitem<lb/>
tiefer im Waſſer geweſen ſein müſſe als die Kinder;<lb/>
denn er war bis über die Hüften naß, und dies hätte<lb/>
bei manchem Kinde beinahe an den Hals gereicht. Ich<lb/>
begrif den Widerſpruch nicht, und fragte ihn deßhalb.<lb/>
Er ſagte, das ſei leicht zu erklären. Der Wenner¬<lb/>
bauer, dem das überſchwemmte Stük Wieſe gehöre,<lb/>
auf dem er eben im Waſſer geſtanden ſei, habe vor¬<lb/></p></div></body></text></TEI>
[128/0141]
In dieſem Augenblike kam der Pfarrer mit den
lezten Kindern gegen mich heran. Es war auch Zeit;
denn die Kinder waren bereits ſo zutraulich gewor¬
den, daß mir ein winzig kleiner Knabe, der den
Grund und Anfang aller Wiſſenſchaften auf einem
kleinen Papptäfelchen trug, ſeine Buchſtaben aufſa¬
gen wollte.
Da mich der Pfarrer in der Mitte der Kinder an¬
ſichtig wurde, grüßte er ſehr freundlich, und ſagte,
das ſei ſchön von mir, daß ich auch zur Hilfe herbei
geeilt wäre.
Ich erſchrak über dieſe Zumuthung, ſagte aber
gleich, ich ſei eben nicht zur Hilfe herbei geeilt, da ich
nicht gewußt hätte, daß Kinder über den Steg kom¬
men würden, aber wenn Hilfe nöthig geworden wäre,
ſo würde ich ſie gewiß auch geleiſtet haben.
Bei dieſer Gelegenheit, als ich ihn ſo unter den
Kindern ſtehen ſah, bemerkte ich, daß er bei weitem
tiefer im Waſſer geweſen ſein müſſe als die Kinder;
denn er war bis über die Hüften naß, und dies hätte
bei manchem Kinde beinahe an den Hals gereicht. Ich
begrif den Widerſpruch nicht, und fragte ihn deßhalb.
Er ſagte, das ſei leicht zu erklären. Der Wenner¬
bauer, dem das überſchwemmte Stük Wieſe gehöre,
auf dem er eben im Waſſer geſtanden ſei, habe vor¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Stifter, Adalbert: Bunte Steine. Bd. 1. Pest u. a., 1853, S. 128. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_steine01_1853/141>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.