"Diese Frau hatte auch ein Töchterlein, ein Kind, nein es war doch kein Kind mehr -- ich wußte eigent¬ lich damals nicht, ob es noch ein Kind sei oder nicht. Das Töchterlein hatte sehr feine rothe Wangen, es hatte feine rothe Lippen, unschuldige Augen, die braun waren, und freundlich um sich schauten. Über die Augen hatte es Lider, die groß und sanft waren, und von denen lange Wimpern nieder gingen, die zart und sittsam aussahen. Die dunkeln Haare waren von der Mutter glatt und rein gescheitelt, und lagen schön an dem Haupte. Das Mädchen trug manchmal ein längliches Körbchen von feinem Rohre; über dem Körbchen war ein weißes sehr feines Tuch ge¬ spannt, und in dem Körbchen mochte ganz auserlesene Wäsche liegen, welche das Kind zu einer oder der andern Frau zu tragen hatte."
"Ich sah es gar so gerne an. Manchmal stand ich an dem Fenster, und sah auf den Garten hinüber, in welchem immer ohne Unterbrechung, außer wenn es Nacht wurde, oder schlechtes Wetter kam, Wäsche an den Schnüren hing, und ich hatte die weißen Dinge sehr lieb. Da kam zuweilen das Mädchen heraus, ging auf dem Anger hin und wider, und hatte mancherlei zu thun, oder ich sah es, obwohl das Häuschen sehr unter Zweigen verstekt war, an dem
11*
„Dieſe Frau hatte auch ein Töchterlein, ein Kind, nein es war doch kein Kind mehr — ich wußte eigent¬ lich damals nicht, ob es noch ein Kind ſei oder nicht. Das Töchterlein hatte ſehr feine rothe Wangen, es hatte feine rothe Lippen, unſchuldige Augen, die braun waren, und freundlich um ſich ſchauten. Über die Augen hatte es Lider, die groß und ſanft waren, und von denen lange Wimpern nieder gingen, die zart und ſittſam ausſahen. Die dunkeln Haare waren von der Mutter glatt und rein geſcheitelt, und lagen ſchön an dem Haupte. Das Mädchen trug manchmal ein längliches Körbchen von feinem Rohre; über dem Körbchen war ein weißes ſehr feines Tuch ge¬ ſpannt, und in dem Körbchen mochte ganz auserleſene Wäſche liegen, welche das Kind zu einer oder der andern Frau zu tragen hatte.“
„Ich ſah es gar ſo gerne an. Manchmal ſtand ich an dem Fenſter, und ſah auf den Garten hinüber, in welchem immer ohne Unterbrechung, außer wenn es Nacht wurde, oder ſchlechtes Wetter kam, Wäſche an den Schnüren hing, und ich hatte die weißen Dinge ſehr lieb. Da kam zuweilen das Mädchen heraus, ging auf dem Anger hin und wider, und hatte mancherlei zu thun, oder ich ſah es, obwohl das Häuschen ſehr unter Zweigen verſtekt war, an dem
11*
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0176"n="163"/><p>„Dieſe Frau hatte auch ein Töchterlein, ein Kind,<lb/>
nein es war doch kein Kind mehr — ich wußte eigent¬<lb/>
lich damals nicht, ob es noch ein Kind ſei oder nicht.<lb/>
Das Töchterlein hatte ſehr feine rothe Wangen, es<lb/>
hatte feine rothe Lippen, unſchuldige Augen, die<lb/>
braun waren, und freundlich um ſich ſchauten. Über<lb/>
die Augen hatte es Lider, die groß und ſanft waren,<lb/>
und von denen lange Wimpern nieder gingen, die<lb/>
zart und ſittſam ausſahen. Die dunkeln Haare waren<lb/>
von der Mutter glatt und rein geſcheitelt, und lagen<lb/>ſchön an dem Haupte. Das Mädchen trug manchmal<lb/>
ein längliches Körbchen von feinem Rohre; über<lb/>
dem Körbchen war ein weißes ſehr feines Tuch ge¬<lb/>ſpannt, und in dem Körbchen mochte ganz auserleſene<lb/>
Wäſche liegen, welche das Kind zu einer oder der<lb/>
andern Frau zu tragen hatte.“</p><lb/><p>„Ich ſah es gar ſo gerne an. Manchmal ſtand ich<lb/>
an dem Fenſter, und ſah auf den Garten hinüber, in<lb/>
welchem immer ohne Unterbrechung, außer wenn es<lb/>
Nacht wurde, oder ſchlechtes Wetter kam, Wäſche an<lb/>
den Schnüren hing, und ich hatte die weißen Dinge<lb/>ſehr lieb. Da kam zuweilen das Mädchen heraus,<lb/>
ging auf dem Anger hin und wider, und hatte<lb/>
mancherlei zu thun, oder ich ſah es, obwohl das<lb/>
Häuschen ſehr unter Zweigen verſtekt war, an dem<lb/><fwplace="bottom"type="sig">11*<lb/></fw></p></div></body></text></TEI>
[163/0176]
„Dieſe Frau hatte auch ein Töchterlein, ein Kind,
nein es war doch kein Kind mehr — ich wußte eigent¬
lich damals nicht, ob es noch ein Kind ſei oder nicht.
Das Töchterlein hatte ſehr feine rothe Wangen, es
hatte feine rothe Lippen, unſchuldige Augen, die
braun waren, und freundlich um ſich ſchauten. Über
die Augen hatte es Lider, die groß und ſanft waren,
und von denen lange Wimpern nieder gingen, die
zart und ſittſam ausſahen. Die dunkeln Haare waren
von der Mutter glatt und rein geſcheitelt, und lagen
ſchön an dem Haupte. Das Mädchen trug manchmal
ein längliches Körbchen von feinem Rohre; über
dem Körbchen war ein weißes ſehr feines Tuch ge¬
ſpannt, und in dem Körbchen mochte ganz auserleſene
Wäſche liegen, welche das Kind zu einer oder der
andern Frau zu tragen hatte.“
„Ich ſah es gar ſo gerne an. Manchmal ſtand ich
an dem Fenſter, und ſah auf den Garten hinüber, in
welchem immer ohne Unterbrechung, außer wenn es
Nacht wurde, oder ſchlechtes Wetter kam, Wäſche an
den Schnüren hing, und ich hatte die weißen Dinge
ſehr lieb. Da kam zuweilen das Mädchen heraus,
ging auf dem Anger hin und wider, und hatte
mancherlei zu thun, oder ich ſah es, obwohl das
Häuschen ſehr unter Zweigen verſtekt war, an dem
11*
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Stifter, Adalbert: Bunte Steine. Bd. 1. Pest u. a., 1853, S. 163. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_steine01_1853/176>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.