Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stifter, Adalbert: Bunte Steine. Bd. 1. Pest u. a., 1853.

Bild:
<< vorherige Seite

aus dem Walde zu gehen. Sie berathschlagten unter
sich, wie sie das anstellen sollten. Das Mädchen
wußte gar nichts; der Knabe aber sagte, daß alle
Wässer abwärts rinnen, daß sie fort und fort rinnen,
ohne stille zu stehen, daß der Wald sehr hoch sei, und
daß die Wohnungen der Menschen sehr tief liegen,
daß bei ihrer Hütte selber ein breites rinnendes Was¬
ser vorbeigegangen wäre, daß sie von dieser Hütte in
den Wald gestiegen seien, daß sie immer aufwärts
und aufwärts gegangen, und mehreren herabfließen¬
den Wassern begegnet seien; wenn man daher an
einem rinnenden Wasser immer abwärts gehe, so
müsse man aus dem Walde hinaus und zu Menschen
gelangen. Das Mädchen sah das ein, und mit
Freuden beschlossen sie so zu thun. Sie rüsteten sich
zur Abreise. Von den Feldern nahmen sie Kartoffeln,
so viel sie tragen konnten, und viele zusammen gebun¬
dene Büschel von Ähren. Der Knabe hatte aus seiner
Jake einen Sak gemacht, und für Erdbeeren und
Himbeeren machte er schöne Täschchen aus Birken¬
rinde. Dann brachen sie auf. Sie suchten zuerst den
Bach in dem Thale, aus dem sie bisher getrunken
hatten, und gingen dann an seinem Wasser fort.
Siehst du, der Knabe leitete das Mädchen, weil es
schwach war, und weil er in dem Walde erfahrener

aus dem Walde zu gehen. Sie berathſchlagten unter
ſich, wie ſie das anſtellen ſollten. Das Mädchen
wußte gar nichts; der Knabe aber ſagte, daß alle
Wäſſer abwärts rinnen, daß ſie fort und fort rinnen,
ohne ſtille zu ſtehen, daß der Wald ſehr hoch ſei, und
daß die Wohnungen der Menſchen ſehr tief liegen,
daß bei ihrer Hütte ſelber ein breites rinnendes Waſ¬
ſer vorbeigegangen wäre, daß ſie von dieſer Hütte in
den Wald geſtiegen ſeien, daß ſie immer aufwärts
und aufwärts gegangen, und mehreren herabfließen¬
den Waſſern begegnet ſeien; wenn man daher an
einem rinnenden Waſſer immer abwärts gehe, ſo
müſſe man aus dem Walde hinaus und zu Menſchen
gelangen. Das Mädchen ſah das ein, und mit
Freuden beſchloſſen ſie ſo zu thun. Sie rüſteten ſich
zur Abreiſe. Von den Feldern nahmen ſie Kartoffeln,
ſo viel ſie tragen konnten, und viele zuſammen gebun¬
dene Büſchel von Ähren. Der Knabe hatte aus ſeiner
Jake einen Sak gemacht, und für Erdbeeren und
Himbeeren machte er ſchöne Täſchchen aus Birken¬
rinde. Dann brachen ſie auf. Sie ſuchten zuerſt den
Bach in dem Thale, aus dem ſie bisher getrunken
hatten, und gingen dann an ſeinem Waſſer fort.
Siehſt du, der Knabe leitete das Mädchen, weil es
ſchwach war, und weil er in dem Walde erfahrener

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0083" n="70"/>
aus dem Walde zu gehen. Sie berath&#x017F;chlagten unter<lb/>
&#x017F;ich, wie &#x017F;ie das an&#x017F;tellen &#x017F;ollten. Das Mädchen<lb/>
wußte gar nichts; der Knabe aber &#x017F;agte, daß alle<lb/>&#x017F;&#x017F;er abwärts rinnen, daß &#x017F;ie fort und fort rinnen,<lb/>
ohne &#x017F;tille zu &#x017F;tehen, daß der Wald &#x017F;ehr hoch &#x017F;ei, und<lb/>
daß die Wohnungen der Men&#x017F;chen &#x017F;ehr tief liegen,<lb/>
daß bei ihrer Hütte &#x017F;elber ein breites rinnendes Wa&#x017F;¬<lb/>
&#x017F;er vorbeigegangen wäre, daß &#x017F;ie von die&#x017F;er Hütte in<lb/>
den Wald ge&#x017F;tiegen &#x017F;eien, daß &#x017F;ie immer aufwärts<lb/>
und aufwärts gegangen, und mehreren herabfließen¬<lb/>
den Wa&#x017F;&#x017F;ern begegnet &#x017F;eien; wenn man daher an<lb/>
einem rinnenden Wa&#x017F;&#x017F;er immer abwärts gehe, &#x017F;o<lb/>&#x017F;&#x017F;e man aus dem Walde hinaus und zu Men&#x017F;chen<lb/>
gelangen. Das Mädchen &#x017F;ah das ein, und mit<lb/>
Freuden be&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ie &#x017F;o zu thun. Sie rü&#x017F;teten &#x017F;ich<lb/>
zur Abrei&#x017F;e. Von den Feldern nahmen &#x017F;ie Kartoffeln,<lb/>
&#x017F;o viel &#x017F;ie tragen konnten, und viele zu&#x017F;ammen gebun¬<lb/>
dene Bü&#x017F;chel von Ähren. Der Knabe hatte aus &#x017F;einer<lb/>
Jake einen Sak gemacht, und für Erdbeeren und<lb/>
Himbeeren machte er &#x017F;chöne Tä&#x017F;chchen aus Birken¬<lb/>
rinde. Dann brachen &#x017F;ie auf. Sie &#x017F;uchten zuer&#x017F;t den<lb/>
Bach in dem Thale, aus dem &#x017F;ie bisher getrunken<lb/>
hatten, und gingen dann an &#x017F;einem Wa&#x017F;&#x017F;er fort.<lb/>
Sieh&#x017F;t du, der Knabe leitete das Mädchen, weil es<lb/>
&#x017F;chwach war, und weil er in dem Walde erfahrener<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[70/0083] aus dem Walde zu gehen. Sie berathſchlagten unter ſich, wie ſie das anſtellen ſollten. Das Mädchen wußte gar nichts; der Knabe aber ſagte, daß alle Wäſſer abwärts rinnen, daß ſie fort und fort rinnen, ohne ſtille zu ſtehen, daß der Wald ſehr hoch ſei, und daß die Wohnungen der Menſchen ſehr tief liegen, daß bei ihrer Hütte ſelber ein breites rinnendes Waſ¬ ſer vorbeigegangen wäre, daß ſie von dieſer Hütte in den Wald geſtiegen ſeien, daß ſie immer aufwärts und aufwärts gegangen, und mehreren herabfließen¬ den Waſſern begegnet ſeien; wenn man daher an einem rinnenden Waſſer immer abwärts gehe, ſo müſſe man aus dem Walde hinaus und zu Menſchen gelangen. Das Mädchen ſah das ein, und mit Freuden beſchloſſen ſie ſo zu thun. Sie rüſteten ſich zur Abreiſe. Von den Feldern nahmen ſie Kartoffeln, ſo viel ſie tragen konnten, und viele zuſammen gebun¬ dene Büſchel von Ähren. Der Knabe hatte aus ſeiner Jake einen Sak gemacht, und für Erdbeeren und Himbeeren machte er ſchöne Täſchchen aus Birken¬ rinde. Dann brachen ſie auf. Sie ſuchten zuerſt den Bach in dem Thale, aus dem ſie bisher getrunken hatten, und gingen dann an ſeinem Waſſer fort. Siehſt du, der Knabe leitete das Mädchen, weil es ſchwach war, und weil er in dem Walde erfahrener

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_steine01_1853
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_steine01_1853/83
Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Bunte Steine. Bd. 1. Pest u. a., 1853, S. 70. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_steine01_1853/83>, abgerufen am 28.11.2024.