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Stifter, Adalbert: Bunte Steine. Bd. 1. Pest u. a., 1853.

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Ich erzähle hier eine Geschichte, die uns einmal
ein Freund erzählt hat, in der nichts Ungewöhnliches
vorkömmt, und die ich doch nicht habe vergessen kön¬
nen. Unter zehn Zuhörern werden neun den Mann,
der in der Geschichte vorkömmt, tadeln, der zehnte
wird oft an ihn denken. Die Gelegenheit zu der
Geschichte kam von einem Streite, der sich in der
Gesellschaft von uns Freunden darüber entspann,
wie die Geistesgaben an einem Menschen vertheilt
sein können. Einige behaupteten, es könne ein Mensch
mit einer gewissen Gabe außerordentlich bedacht sein,
und die andern doch nur in einem geringen Maße
besizen. Man wies dabei auf die sogenannten Vir¬
tuosen hin. Andere sagten, die Gaben der Seele seien
immer im gleichen Maße vorhanden, entweder alle
gleich groß oder gleich mittelmäßig oder gleich klein,

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Ich erzähle hier eine Geſchichte, die uns einmal
ein Freund erzählt hat, in der nichts Ungewöhnliches
vorkömmt, und die ich doch nicht habe vergeſſen kön¬
nen. Unter zehn Zuhörern werden neun den Mann,
der in der Geſchichte vorkömmt, tadeln, der zehnte
wird oft an ihn denken. Die Gelegenheit zu der
Geſchichte kam von einem Streite, der ſich in der
Geſellſchaft von uns Freunden darüber entſpann,
wie die Geiſtesgaben an einem Menſchen vertheilt
ſein können. Einige behaupteten, es könne ein Menſch
mit einer gewiſſen Gabe außerordentlich bedacht ſein,
und die andern doch nur in einem geringen Maße
beſizen. Man wies dabei auf die ſogenannten Vir¬
tuoſen hin. Andere ſagten, die Gaben der Seele ſeien
immer im gleichen Maße vorhanden, entweder alle
gleich groß oder gleich mittelmäßig oder gleich klein,

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[[83]/0096] Ich erzähle hier eine Geſchichte, die uns einmal ein Freund erzählt hat, in der nichts Ungewöhnliches vorkömmt, und die ich doch nicht habe vergeſſen kön¬ nen. Unter zehn Zuhörern werden neun den Mann, der in der Geſchichte vorkömmt, tadeln, der zehnte wird oft an ihn denken. Die Gelegenheit zu der Geſchichte kam von einem Streite, der ſich in der Geſellſchaft von uns Freunden darüber entſpann, wie die Geiſtesgaben an einem Menſchen vertheilt ſein können. Einige behaupteten, es könne ein Menſch mit einer gewiſſen Gabe außerordentlich bedacht ſein, und die andern doch nur in einem geringen Maße beſizen. Man wies dabei auf die ſogenannten Vir¬ tuoſen hin. Andere ſagten, die Gaben der Seele ſeien immer im gleichen Maße vorhanden, entweder alle gleich groß oder gleich mittelmäßig oder gleich klein, 6*

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Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Bunte Steine. Bd. 1. Pest u. a., 1853, S. [83]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_steine01_1853/96>, abgerufen am 29.11.2024.