nur hänge es von dem Geschike ab, welche Gabe vorzüglich ausgebildet wurde, und dies rufe den Anschein einer Ungleichheit hervor. Raphael hätte unter andern Jugendeindrüken und Zeitverhältnissen statt eines großen Malers ein großer Feldherr werden können. Wieder andere meinten, wo die Vernunft als das übersinnliche Vermögen und als das höchste Vermögen des Menschen überhaupt in großer Fülle vorhanden sei, da seien es auch die übrigen unterge¬ ordneten Fähigkeiten. Das Umgekehrte gelte jedoch nicht; es könne eine niedere Fähigkeit besonders hervorragen, die höhern aber nicht. Wohl aber, wenn was immer für eine Begabung, sie sei selber hoch oder niedrig, bedeutend ist, müssen es auch die ihr unter¬ geordneten sein. Als Grund gaben sie an, daß die niedere Fähigkeit immer die Dienerin der höhern sei, und daß es ein Widersinn wäre, die höhere gebie¬ thende Gabe zu besizen und die niedere dienende nicht. Endlich waren noch einige, die sagten, Gott habe die Menschen erschaffen, wie er sie erschaffen habe, man könne nicht wissen, wie er die Gaben vertheilt habe, und könne darüber nicht hadern, weil es ungewiß sei, was in der Zukunft in dieser Beziehung noch zum Vorscheine kommen könne. Da erzählte mein Freund seine Geschichte.
nur hänge es von dem Geſchike ab, welche Gabe vorzüglich ausgebildet wurde, und dies rufe den Anſchein einer Ungleichheit hervor. Raphael hätte unter andern Jugendeindrüken und Zeitverhältniſſen ſtatt eines großen Malers ein großer Feldherr werden können. Wieder andere meinten, wo die Vernunft als das überſinnliche Vermögen und als das höchſte Vermögen des Menſchen überhaupt in großer Fülle vorhanden ſei, da ſeien es auch die übrigen unterge¬ ordneten Fähigkeiten. Das Umgekehrte gelte jedoch nicht; es könne eine niedere Fähigkeit beſonders hervorragen, die höhern aber nicht. Wohl aber, wenn was immer für eine Begabung, ſie ſei ſelber hoch oder niedrig, bedeutend iſt, müſſen es auch die ihr unter¬ geordneten ſein. Als Grund gaben ſie an, daß die niedere Fähigkeit immer die Dienerin der höhern ſei, und daß es ein Widerſinn wäre, die höhere gebie¬ thende Gabe zu beſizen und die niedere dienende nicht. Endlich waren noch einige, die ſagten, Gott habe die Menſchen erſchaffen, wie er ſie erſchaffen habe, man könne nicht wiſſen, wie er die Gaben vertheilt habe, und könne darüber nicht hadern, weil es ungewiß ſei, was in der Zukunft in dieſer Beziehung noch zum Vorſcheine kommen könne. Da erzählte mein Freund ſeine Geſchichte.
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nur hänge es von dem Geſchike ab, welche Gabe
vorzüglich ausgebildet wurde, und dies rufe den
Anſchein einer Ungleichheit hervor. Raphael hätte
unter andern Jugendeindrüken und Zeitverhältniſſen
ſtatt eines großen Malers ein großer Feldherr werden
können. Wieder andere meinten, wo die Vernunft
als das überſinnliche Vermögen und als das höchſte
Vermögen des Menſchen überhaupt in großer Fülle
vorhanden ſei, da ſeien es auch die übrigen unterge¬
ordneten Fähigkeiten. Das Umgekehrte gelte jedoch
nicht; es könne eine niedere Fähigkeit beſonders
hervorragen, die höhern aber nicht. Wohl aber, wenn
was immer für eine Begabung, ſie ſei ſelber hoch oder
niedrig, bedeutend iſt, müſſen es auch die ihr unter¬
geordneten ſein. Als Grund gaben ſie an, daß die
niedere Fähigkeit immer die Dienerin der höhern ſei,
und daß es ein Widerſinn wäre, die höhere gebie¬
thende Gabe zu beſizen und die niedere dienende nicht.
Endlich waren noch einige, die ſagten, Gott habe die
Menſchen erſchaffen, wie er ſie erſchaffen habe, man
könne nicht wiſſen, wie er die Gaben vertheilt habe,
und könne darüber nicht hadern, weil es ungewiß
ſei, was in der Zukunft in dieſer Beziehung noch zum
Vorſcheine kommen könne. Da erzählte mein Freund
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Stifter, Adalbert: Bunte Steine. Bd. 1. Pest u. a., 1853, S. 84. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_steine01_1853/97>, abgerufen am 29.11.2024.
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