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Stifter, Adalbert: Bunte Steine. Bd. 2. Pest u. a., 1853.

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"Da ist der Kaffeh, den die Großmutter der Mutter
schikt, koste ihn ein wenig, er wird dir warm machen.
Die Mutter gibt ihn uns, wenn sie nur weiß, wozu
wir ihn nöthig gehabt haben."

Das Mädchen, dessen Natur zur Ruhe zog, ant¬
wortete: "Mich friert nicht."

"Nimm nur etwas," sagte der Knabe, "dann darfst
du schlafen."

Diese Aussicht verlokte Sanna, sie bewältigte sich
so weit, daß sie das fast eingegossene Getränk ver¬
schlukte. Hierauf trank der Knabe auch etwas.

Der ungemein starke Auszug wirkte sogleich, und
zwar um so heftiger, da die Kinder in ihrem Leben
keinen Kaffeh gekostet hatten. Statt zu schlafen, wurde
Sanna nun lebhafter, und sagte selber, daß sie friere,
daß es aber von innen recht warm sei, und auch schon
so in die Hände und Füsse gehe. Die Kinder redeten
sogar eine Weile mit einander.

So tranken sie troz der Bitterkeit immer wieder
von dem Getränke, sobald die Wirkung nachzulassen
begann, und steigerten ihre unschuldigen Nerven zu
einem Fieber, das im Stande war, den zum Schlum¬
mer ziehenden Gewichten entgegen zu wirken.

Es war nun Mitternacht gekommen. Weil sie noch
so jung waren, und an jedem heiligen Abende in höchstem

„Da iſt der Kaffeh, den die Großmutter der Mutter
ſchikt, koſte ihn ein wenig, er wird dir warm machen.
Die Mutter gibt ihn uns, wenn ſie nur weiß, wozu
wir ihn nöthig gehabt haben.“

Das Mädchen, deſſen Natur zur Ruhe zog, ant¬
wortete: „Mich friert nicht.“

„Nimm nur etwas,“ ſagte der Knabe, „dann darfſt
du ſchlafen.“

Dieſe Ausſicht verlokte Sanna, ſie bewältigte ſich
ſo weit, daß ſie das faſt eingegoſſene Getränk ver¬
ſchlukte. Hierauf trank der Knabe auch etwas.

Der ungemein ſtarke Auszug wirkte ſogleich, und
zwar um ſo heftiger, da die Kinder in ihrem Leben
keinen Kaffeh gekoſtet hatten. Statt zu ſchlafen, wurde
Sanna nun lebhafter, und ſagte ſelber, daß ſie friere,
daß es aber von innen recht warm ſei, und auch ſchon
ſo in die Hände und Füſſe gehe. Die Kinder redeten
ſogar eine Weile mit einander.

So tranken ſie troz der Bitterkeit immer wieder
von dem Getränke, ſobald die Wirkung nachzulaſſen
begann, und ſteigerten ihre unſchuldigen Nerven zu
einem Fieber, das im Stande war, den zum Schlum¬
mer ziehenden Gewichten entgegen zu wirken.

Es war nun Mitternacht gekommen. Weil ſie noch
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[71/0082] „Da iſt der Kaffeh, den die Großmutter der Mutter ſchikt, koſte ihn ein wenig, er wird dir warm machen. Die Mutter gibt ihn uns, wenn ſie nur weiß, wozu wir ihn nöthig gehabt haben.“ Das Mädchen, deſſen Natur zur Ruhe zog, ant¬ wortete: „Mich friert nicht.“ „Nimm nur etwas,“ ſagte der Knabe, „dann darfſt du ſchlafen.“ Dieſe Ausſicht verlokte Sanna, ſie bewältigte ſich ſo weit, daß ſie das faſt eingegoſſene Getränk ver¬ ſchlukte. Hierauf trank der Knabe auch etwas. Der ungemein ſtarke Auszug wirkte ſogleich, und zwar um ſo heftiger, da die Kinder in ihrem Leben keinen Kaffeh gekoſtet hatten. Statt zu ſchlafen, wurde Sanna nun lebhafter, und ſagte ſelber, daß ſie friere, daß es aber von innen recht warm ſei, und auch ſchon ſo in die Hände und Füſſe gehe. Die Kinder redeten ſogar eine Weile mit einander. So tranken ſie troz der Bitterkeit immer wieder von dem Getränke, ſobald die Wirkung nachzulaſſen begann, und ſteigerten ihre unſchuldigen Nerven zu einem Fieber, das im Stande war, den zum Schlum¬ mer ziehenden Gewichten entgegen zu wirken. Es war nun Mitternacht gekommen. Weil ſie noch ſo jung waren, und an jedem heiligen Abende in höchſtem

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Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Bunte Steine. Bd. 2. Pest u. a., 1853, S. 71. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_steine02_1853/82>, abgerufen am 24.11.2024.