Kopfe, es ist in Mir wie das Herz, aber es ist nicht Ich, Ich bin es nicht.
Zur Wirksamkeit pfäffischer Geister gehört besonders das, was man häufig "moralischen Einfluß" nennen hört.
Der moralische Einfluß nimmt da seinen Anfang, wo die Demüthigung beginnt, ja er ist nichts anderes, als diese Demüthigung selbst, die Brechung und Beugung des Muthes zur Demuth herab. Wenn Ich Jemand zurufe, bei Spren¬ gung eines Felsens aus dessen Nähe zu gehen, so übe Ich keinen moralischen Einfluß durch diese Zumuthung; wenn Ich dem Kinde sage, Du wirst hungern, willst Du nicht essen, was aufgetischt wird, so ist dieß kein moralischer Einfluß. Sage Ich ihm aber: Du wirst beten, die Aeltern ehren, das Krucifix respectiren, die Wahrheit reden u. s. w., denn dieß gehört zum Menschen und ist der Beruf des Menschen, oder gar, dieß ist Gottes Wille, so ist der moralische Einfluß fertig: ein Mensch soll sich da beugen vor dem Beruf des Menschen, soll folgsam sein, demüthig werden, soll seinen Willen aufgeben gegen einen fremden, der als Regel und Gesetz aufgestellt wird; er soll sich erniedrigen vor einem Höheren: Selbsternie¬ drigung. "Wer sich selbst erniedrigt, wird erhöhet werden." Ja, ja, die Kinder müssen bei Zeiten zur Frömmigkeit, Gott¬ seligkeit und Ehrbarkeit angehalten werden; ein Mensch von guter Erziehung ist Einer, dem "gute Grundsätze" beigebracht und eingeprägt, eingetrichtert, eingebläut und eingepredigt worden sind.
Zuckt man hierüber die Achseln, gleich ringen die Guten verzweiflungsvoll die Hände und rufen: "Aber um's Himmels willen, wenn man den Kindern keine guten Lehren geben soll, so laufen sie ja gerades Weges der Sünde in den Rachen,
Kopfe, es iſt in Mir wie das Herz, aber es iſt nicht Ich, Ich bin es nicht.
Zur Wirkſamkeit pfäffiſcher Geiſter gehört beſonders das, was man häufig „moraliſchen Einfluß“ nennen hört.
Der moraliſche Einfluß nimmt da ſeinen Anfang, wo die Demüthigung beginnt, ja er iſt nichts anderes, als dieſe Demüthigung ſelbſt, die Brechung und Beugung des Muthes zur Demuth herab. Wenn Ich Jemand zurufe, bei Spren¬ gung eines Felſens aus deſſen Nähe zu gehen, ſo übe Ich keinen moraliſchen Einfluß durch dieſe Zumuthung; wenn Ich dem Kinde ſage, Du wirſt hungern, willſt Du nicht eſſen, was aufgetiſcht wird, ſo iſt dieß kein moraliſcher Einfluß. Sage Ich ihm aber: Du wirſt beten, die Aeltern ehren, das Krucifix reſpectiren, die Wahrheit reden u. ſ. w., denn dieß gehört zum Menſchen und iſt der Beruf des Menſchen, oder gar, dieß iſt Gottes Wille, ſo iſt der moraliſche Einfluß fertig: ein Menſch ſoll ſich da beugen vor dem Beruf des Menſchen, ſoll folgſam ſein, demüthig werden, ſoll ſeinen Willen aufgeben gegen einen fremden, der als Regel und Geſetz aufgeſtellt wird; er ſoll ſich erniedrigen vor einem Höheren: Selbſternie¬ drigung. „Wer ſich ſelbſt erniedrigt, wird erhöhet werden.“ Ja, ja, die Kinder müſſen bei Zeiten zur Frömmigkeit, Gott¬ ſeligkeit und Ehrbarkeit angehalten werden; ein Menſch von guter Erziehung iſt Einer, dem „gute Grundſätze“ beigebracht und eingeprägt, eingetrichtert, eingebläut und eingepredigt worden ſind.
Zuckt man hierüber die Achſeln, gleich ringen die Guten verzweiflungsvoll die Hände und rufen: „Aber um's Himmels willen, wenn man den Kindern keine guten Lehren geben ſoll, ſo laufen ſie ja gerades Weges der Sünde in den Rachen,
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0115"n="107"/>
Kopfe, es iſt in Mir wie das Herz, aber es iſt nicht Ich, Ich<lb/>
bin es nicht.</p><lb/><p>Zur Wirkſamkeit pfäffiſcher Geiſter gehört beſonders das,<lb/>
was man häufig „<hirendition="#g">moraliſchen Einfluß</hi>“ nennen hört.</p><lb/><p>Der moraliſche Einfluß nimmt da ſeinen Anfang, wo die<lb/><hirendition="#g">Demüthigung</hi> beginnt, ja er iſt nichts anderes, als dieſe<lb/>
Demüthigung ſelbſt, die Brechung und Beugung des Muthes<lb/>
zur <hirendition="#g">Demuth</hi> herab. Wenn Ich Jemand zurufe, bei Spren¬<lb/>
gung eines Felſens aus deſſen Nähe zu gehen, ſo übe Ich<lb/>
keinen moraliſchen Einfluß durch dieſe Zumuthung; wenn Ich<lb/>
dem Kinde ſage, Du wirſt hungern, willſt Du nicht eſſen,<lb/>
was aufgetiſcht wird, ſo iſt dieß kein moraliſcher Einfluß.<lb/>
Sage Ich ihm aber: Du wirſt beten, die Aeltern ehren, das<lb/>
Krucifix reſpectiren, die Wahrheit reden u. ſ. w., denn dieß<lb/>
gehört zum Menſchen und iſt der Beruf des Menſchen, oder<lb/>
gar, dieß iſt Gottes Wille, ſo iſt der moraliſche Einfluß fertig:<lb/>
ein Menſch ſoll ſich da beugen vor dem <hirendition="#g">Beruf</hi> des Menſchen,<lb/>ſoll folgſam ſein, demüthig werden, ſoll ſeinen Willen aufgeben<lb/>
gegen einen fremden, der als Regel und Geſetz aufgeſtellt wird;<lb/>
er ſoll ſich <hirendition="#g">erniedrigen</hi> vor einem <hirendition="#g">Höheren</hi>: Selbſternie¬<lb/>
drigung. „Wer ſich ſelbſt erniedrigt, wird erhöhet werden.“<lb/>
Ja, ja, die Kinder müſſen bei Zeiten zur Frömmigkeit, Gott¬<lb/>ſeligkeit und Ehrbarkeit <hirendition="#g">angehalten</hi> werden; ein Menſch von<lb/>
guter Erziehung iſt Einer, dem „gute Grundſätze“<hirendition="#g">beigebracht</hi><lb/>
und <hirendition="#g">eingeprägt</hi>, eingetrichtert, eingebläut und eingepredigt<lb/>
worden ſind.</p><lb/><p>Zuckt man hierüber die Achſeln, gleich ringen die Guten<lb/>
verzweiflungsvoll die Hände und rufen: „Aber um's Himmels<lb/>
willen, wenn man den Kindern keine guten Lehren geben ſoll,<lb/>ſo laufen ſie ja gerades Weges der Sünde in den Rachen,<lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[107/0115]
Kopfe, es iſt in Mir wie das Herz, aber es iſt nicht Ich, Ich
bin es nicht.
Zur Wirkſamkeit pfäffiſcher Geiſter gehört beſonders das,
was man häufig „moraliſchen Einfluß“ nennen hört.
Der moraliſche Einfluß nimmt da ſeinen Anfang, wo die
Demüthigung beginnt, ja er iſt nichts anderes, als dieſe
Demüthigung ſelbſt, die Brechung und Beugung des Muthes
zur Demuth herab. Wenn Ich Jemand zurufe, bei Spren¬
gung eines Felſens aus deſſen Nähe zu gehen, ſo übe Ich
keinen moraliſchen Einfluß durch dieſe Zumuthung; wenn Ich
dem Kinde ſage, Du wirſt hungern, willſt Du nicht eſſen,
was aufgetiſcht wird, ſo iſt dieß kein moraliſcher Einfluß.
Sage Ich ihm aber: Du wirſt beten, die Aeltern ehren, das
Krucifix reſpectiren, die Wahrheit reden u. ſ. w., denn dieß
gehört zum Menſchen und iſt der Beruf des Menſchen, oder
gar, dieß iſt Gottes Wille, ſo iſt der moraliſche Einfluß fertig:
ein Menſch ſoll ſich da beugen vor dem Beruf des Menſchen,
ſoll folgſam ſein, demüthig werden, ſoll ſeinen Willen aufgeben
gegen einen fremden, der als Regel und Geſetz aufgeſtellt wird;
er ſoll ſich erniedrigen vor einem Höheren: Selbſternie¬
drigung. „Wer ſich ſelbſt erniedrigt, wird erhöhet werden.“
Ja, ja, die Kinder müſſen bei Zeiten zur Frömmigkeit, Gott¬
ſeligkeit und Ehrbarkeit angehalten werden; ein Menſch von
guter Erziehung iſt Einer, dem „gute Grundſätze“ beigebracht
und eingeprägt, eingetrichtert, eingebläut und eingepredigt
worden ſind.
Zuckt man hierüber die Achſeln, gleich ringen die Guten
verzweiflungsvoll die Hände und rufen: „Aber um's Himmels
willen, wenn man den Kindern keine guten Lehren geben ſoll,
ſo laufen ſie ja gerades Weges der Sünde in den Rachen,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 107. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/115>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.