Gerade aber von diesen Unzufriedenen geht etwa fol¬ gendes Raisonnement aus: Den "guten Bürgern" kann es gleich gelten, wer sie und ihre Principien schützt, ob ein absoluter oder constitutioneller König, eine Republik u. s. w., wenn sie nur geschützt werden. Und welches ist ihr Prin¬ cip, dessen Schutzherrn sie stets "lieben"? Das der Arbeit nicht; das der Geburt auch nicht. Aber das der Mittel¬ mäßigkeit, der schönen Mitte: ein bischen Geburt und ein bischen Arbeit, d. h. ein sich verzinsender Besitz. Besitz ist hier das Feste, das Gegebene, Ererbte (Geburt), das Verzinsen ist daran die Mühwaltung (Arbeit), also ar¬ beitendes Capital. Nur kein Uebermaaß, kein Ultra, kein Radicalismus! Allerdings Geburtsrecht, aber nur an¬ geborner Besitz; allerdings Arbeit, aber wenig oder gar keine eigene, sondern Arbeit des Capitals und der -- unterthä¬ nigen Arbeiter.
Liegt eine Zeit in einem Irrthum befangen, so ziehen stets die Einen Vortheil aus ihm, indeß die Andern den Schaden davon haben. Im Mittelalter war der Irrthum all¬ gemein unter den Christen, daß die Kirche alle Gewalt oder die Oberherrlichkeit auf Erden haben müsse; die Hierarchen glaubten nicht weniger an diese "Wahrheit" als die Laien, und beide waren in dem gleichen Irrthum festgebannt. Allein die Hierarchen hatten durch ihn den Vortheil der Gewalt, die Laien den Schaden der Unterthänigkeit. Wie es aber heißt: "durch Schaden wird man klug", so wurden die Laien endlich klug und glaubten nicht länger an die mittelalterliche "Wahrheit". -- Ein gleiches Verhältniß findet zwischen Bür¬ gerthum und Arbeiterthum statt. Bürger und Arbeiter glauben an die "Wahrheit" des Geldes; sie, die es nicht besitzen,
Gerade aber von dieſen Unzufriedenen geht etwa fol¬ gendes Raiſonnement aus: Den „guten Bürgern“ kann es gleich gelten, wer ſie und ihre Principien ſchützt, ob ein abſoluter oder conſtitutioneller König, eine Republik u. ſ. w., wenn ſie nur geſchützt werden. Und welches iſt ihr Prin¬ cip, deſſen Schutzherrn ſie ſtets „lieben“? Das der Arbeit nicht; das der Geburt auch nicht. Aber das der Mittel¬ mäßigkeit, der ſchönen Mitte: ein bischen Geburt und ein bischen Arbeit, d. h. ein ſich verzinſender Beſitz. Beſitz iſt hier das Feſte, das Gegebene, Ererbte (Geburt), das Verzinſen iſt daran die Mühwaltung (Arbeit), alſo ar¬ beitendes Capital. Nur kein Uebermaaß, kein Ultra, kein Radicalismus! Allerdings Geburtsrecht, aber nur an¬ geborner Beſitz; allerdings Arbeit, aber wenig oder gar keine eigene, ſondern Arbeit des Capitals und der — unterthä¬ nigen Arbeiter.
Liegt eine Zeit in einem Irrthum befangen, ſo ziehen ſtets die Einen Vortheil aus ihm, indeß die Andern den Schaden davon haben. Im Mittelalter war der Irrthum all¬ gemein unter den Chriſten, daß die Kirche alle Gewalt oder die Oberherrlichkeit auf Erden haben müſſe; die Hierarchen glaubten nicht weniger an dieſe „Wahrheit“ als die Laien, und beide waren in dem gleichen Irrthum feſtgebannt. Allein die Hierarchen hatten durch ihn den Vortheil der Gewalt, die Laien den Schaden der Unterthänigkeit. Wie es aber heißt: „durch Schaden wird man klug“, ſo wurden die Laien endlich klug und glaubten nicht länger an die mittelalterliche „Wahrheit“. — Ein gleiches Verhältniß findet zwiſchen Bür¬ gerthum und Arbeiterthum ſtatt. Bürger und Arbeiter glauben an die „Wahrheit“ des Geldes; ſie, die es nicht beſitzen,
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><pbfacs="#f0158"n="150"/><p>Gerade aber von dieſen Unzufriedenen geht etwa fol¬<lb/>
gendes Raiſonnement aus: Den „guten Bürgern“ kann es<lb/>
gleich gelten, wer ſie und ihre Principien ſchützt, ob ein<lb/>
abſoluter oder conſtitutioneller König, eine Republik u. ſ. w.,<lb/>
wenn ſie nur geſchützt werden. Und welches iſt ihr Prin¬<lb/>
cip, deſſen Schutzherrn ſie ſtets „lieben“? Das der Arbeit<lb/>
nicht; das der Geburt auch nicht. Aber das der <hirendition="#g">Mittel¬<lb/>
mäßigkeit</hi>, der ſchönen Mitte: ein bischen Geburt und<lb/>
ein bischen Arbeit, d. h. ein ſich <hirendition="#g">verzinſender Beſitz</hi>.<lb/>
Beſitz iſt hier das Feſte, das Gegebene, Ererbte (Geburt),<lb/>
das Verzinſen iſt daran die Mühwaltung (Arbeit), alſo <hirendition="#g">ar¬<lb/>
beitendes Capital</hi>. Nur kein Uebermaaß, kein Ultra,<lb/>
kein Radicalismus! Allerdings Geburtsrecht, aber nur an¬<lb/>
geborner Beſitz; allerdings Arbeit, aber wenig oder gar keine<lb/>
eigene, ſondern Arbeit des Capitals und der — unterthä¬<lb/>
nigen Arbeiter.</p><lb/><p>Liegt eine Zeit in einem Irrthum befangen, ſo ziehen<lb/>ſtets die Einen Vortheil aus ihm, indeß die Andern den<lb/>
Schaden davon haben. Im Mittelalter war der Irrthum all¬<lb/>
gemein unter den Chriſten, daß die Kirche alle Gewalt oder<lb/>
die Oberherrlichkeit auf Erden haben müſſe; die Hierarchen<lb/>
glaubten nicht weniger an dieſe „Wahrheit“ als die Laien,<lb/>
und beide waren in dem gleichen Irrthum feſtgebannt. Allein<lb/>
die Hierarchen hatten durch ihn den <hirendition="#g">Vortheil</hi> der Gewalt,<lb/>
die Laien den <hirendition="#g">Schaden</hi> der Unterthänigkeit. Wie es aber<lb/>
heißt: „durch Schaden wird man klug“, ſo wurden die Laien<lb/>
endlich klug und glaubten nicht länger an die mittelalterliche<lb/>„Wahrheit“. — Ein gleiches Verhältniß findet zwiſchen Bür¬<lb/>
gerthum und Arbeiterthum ſtatt. Bürger und Arbeiter glauben<lb/>
an die „Wahrheit“ des <hirendition="#g">Geldes</hi>; ſie, die es nicht beſitzen,<lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[150/0158]
Gerade aber von dieſen Unzufriedenen geht etwa fol¬
gendes Raiſonnement aus: Den „guten Bürgern“ kann es
gleich gelten, wer ſie und ihre Principien ſchützt, ob ein
abſoluter oder conſtitutioneller König, eine Republik u. ſ. w.,
wenn ſie nur geſchützt werden. Und welches iſt ihr Prin¬
cip, deſſen Schutzherrn ſie ſtets „lieben“? Das der Arbeit
nicht; das der Geburt auch nicht. Aber das der Mittel¬
mäßigkeit, der ſchönen Mitte: ein bischen Geburt und
ein bischen Arbeit, d. h. ein ſich verzinſender Beſitz.
Beſitz iſt hier das Feſte, das Gegebene, Ererbte (Geburt),
das Verzinſen iſt daran die Mühwaltung (Arbeit), alſo ar¬
beitendes Capital. Nur kein Uebermaaß, kein Ultra,
kein Radicalismus! Allerdings Geburtsrecht, aber nur an¬
geborner Beſitz; allerdings Arbeit, aber wenig oder gar keine
eigene, ſondern Arbeit des Capitals und der — unterthä¬
nigen Arbeiter.
Liegt eine Zeit in einem Irrthum befangen, ſo ziehen
ſtets die Einen Vortheil aus ihm, indeß die Andern den
Schaden davon haben. Im Mittelalter war der Irrthum all¬
gemein unter den Chriſten, daß die Kirche alle Gewalt oder
die Oberherrlichkeit auf Erden haben müſſe; die Hierarchen
glaubten nicht weniger an dieſe „Wahrheit“ als die Laien,
und beide waren in dem gleichen Irrthum feſtgebannt. Allein
die Hierarchen hatten durch ihn den Vortheil der Gewalt,
die Laien den Schaden der Unterthänigkeit. Wie es aber
heißt: „durch Schaden wird man klug“, ſo wurden die Laien
endlich klug und glaubten nicht länger an die mittelalterliche
„Wahrheit“. — Ein gleiches Verhältniß findet zwiſchen Bür¬
gerthum und Arbeiterthum ſtatt. Bürger und Arbeiter glauben
an die „Wahrheit“ des Geldes; ſie, die es nicht beſitzen,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 150. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/158>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.