Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845.

Bild:
<< vorherige Seite

Mit dem liberalen Gebote, daß Jeder aus sich einen
Menschen oder Jeder sich zum Menschen machen soll, war die
Nothwendigkeit gesetzt, daß Jeder zu dieser Arbeit der Ver¬
menschlichung Zeit gewinnen müsse, d. h. daß Jedem möglich
werde, an sich zu arbeiten.

Das Bürgerthum glaubte dieß vermittelt zu haben, wenn
es alles Menschliche der Concurrenz übergebe, den Einzelnen
aber zu jeglichem Menschlichen berechtige. "Es darf Jeder
nach Allem streben!"

Der sociale Liberalismus findet, daß die Sache mit dem
"Dürfen" nicht abgethan sei, weil dürfen nur heißt, es ist
Keinem verboten, aber nicht, es ist Jedem möglich gemacht. Er
behauptet daher, das Bürgerthum sei nur mit dem Munde
und in Worten liberal, in der That höchst illiberal. Er sei¬
nerseits will Uns allen die Mittel geben, an Uns arbeiten
zu können.

Durch das Princip der Arbeit wird allerdings das des
Glückes oder der Concurrenz überboten. Zugleich aber hält
sich der Arbeiter in seinem Bewußtsein, daß das Wesentliche
an ihm "der Arbeiter" sei, vom Egoismus fern und unterwirft
sich der Oberhoheit einer Arbeitergesellschaft, wie der Bürger
mit Hingebung am Concurrenz-Staate hing. Der schöne Traum
von einer "Socialpflicht" wird noch fortgeträumt. Man meint
wieder, die Gesellschaft gebe, was Wir brauchen, und Wir
seien ihr deshalb verpflichtet, seien ihr alles schuldig *).
Man bleibt dabei, einem "höchsten Geber alles Guten" die¬

*) Proudhon: Creation de l'ordre ruft z. B. p. 414 aus: "In der
Industrie wie in der Wissenschaft ist die Veröffentlichung einer Erfindung
die erste und heiligste der Pflichten!"

Mit dem liberalen Gebote, daß Jeder aus ſich einen
Menſchen oder Jeder ſich zum Menſchen machen ſoll, war die
Nothwendigkeit geſetzt, daß Jeder zu dieſer Arbeit der Ver¬
menſchlichung Zeit gewinnen müſſe, d. h. daß Jedem möglich
werde, an ſich zu arbeiten.

Das Bürgerthum glaubte dieß vermittelt zu haben, wenn
es alles Menſchliche der Concurrenz übergebe, den Einzelnen
aber zu jeglichem Menſchlichen berechtige. „Es darf Jeder
nach Allem ſtreben!“

Der ſociale Liberalismus findet, daß die Sache mit dem
„Dürfen“ nicht abgethan ſei, weil dürfen nur heißt, es iſt
Keinem verboten, aber nicht, es iſt Jedem möglich gemacht. Er
behauptet daher, das Bürgerthum ſei nur mit dem Munde
und in Worten liberal, in der That höchſt illiberal. Er ſei¬
nerſeits will Uns allen die Mittel geben, an Uns arbeiten
zu können.

Durch das Princip der Arbeit wird allerdings das des
Glückes oder der Concurrenz überboten. Zugleich aber hält
ſich der Arbeiter in ſeinem Bewußtſein, daß das Weſentliche
an ihm „der Arbeiter“ ſei, vom Egoismus fern und unterwirft
ſich der Oberhoheit einer Arbeitergeſellſchaft, wie der Bürger
mit Hingebung am Concurrenz-Staate hing. Der ſchöne Traum
von einer „Socialpflicht“ wird noch fortgeträumt. Man meint
wieder, die Geſellſchaft gebe, was Wir brauchen, und Wir
ſeien ihr deshalb verpflichtet, ſeien ihr alles ſchuldig *).
Man bleibt dabei, einem „höchſten Geber alles Guten“ die¬

*) Proudhon: Création de l'ordre ruft z. B. p. 414 aus: „In der
Induſtrie wie in der Wiſſenſchaft iſt die Veröffentlichung einer Erfindung
die erſte und heiligſte der Pflichten!“
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <pb facs="#f0170" n="162"/>
              <p>Mit dem liberalen Gebote, daß Jeder aus &#x017F;ich einen<lb/>
Men&#x017F;chen oder Jeder &#x017F;ich zum Men&#x017F;chen machen &#x017F;oll, war die<lb/>
Nothwendigkeit ge&#x017F;etzt, daß Jeder zu die&#x017F;er Arbeit der Ver¬<lb/>
men&#x017F;chlichung Zeit gewinnen mü&#x017F;&#x017F;e, d. h. daß Jedem möglich<lb/>
werde, an <hi rendition="#g">&#x017F;ich</hi> zu arbeiten.</p><lb/>
              <p>Das Bürgerthum glaubte dieß vermittelt zu haben, wenn<lb/>
es alles Men&#x017F;chliche der Concurrenz übergebe, den Einzelnen<lb/>
aber zu jeglichem Men&#x017F;chlichen berechtige. &#x201E;Es darf Jeder<lb/>
nach Allem &#x017F;treben!&#x201C;</p><lb/>
              <p>Der &#x017F;ociale Liberalismus findet, daß die Sache mit dem<lb/>
&#x201E;Dürfen&#x201C; nicht abgethan &#x017F;ei, weil dürfen nur heißt, es i&#x017F;t<lb/>
Keinem verboten, aber nicht, es i&#x017F;t Jedem möglich gemacht. Er<lb/>
behauptet daher, das Bürgerthum &#x017F;ei nur mit dem Munde<lb/>
und in Worten liberal, in der That höch&#x017F;t illiberal. Er &#x017F;ei¬<lb/>
ner&#x017F;eits will Uns allen die <hi rendition="#g">Mittel</hi> geben, an Uns arbeiten<lb/>
zu können.</p><lb/>
              <p>Durch das Princip der Arbeit wird allerdings das des<lb/>
Glückes oder der Concurrenz überboten. Zugleich aber hält<lb/>
&#x017F;ich der Arbeiter in &#x017F;einem Bewußt&#x017F;ein, daß das We&#x017F;entliche<lb/>
an ihm &#x201E;der Arbeiter&#x201C; &#x017F;ei, vom Egoismus fern und unterwirft<lb/>
&#x017F;ich der Oberhoheit einer Arbeiterge&#x017F;ell&#x017F;chaft, wie der Bürger<lb/>
mit Hingebung am Concurrenz-Staate hing. Der &#x017F;chöne Traum<lb/>
von einer &#x201E;Socialpflicht&#x201C; wird noch fortgeträumt. Man meint<lb/>
wieder, die Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft <hi rendition="#g">gebe</hi>, was Wir brauchen, und Wir<lb/>
&#x017F;eien ihr deshalb <hi rendition="#g">verpflichtet</hi>, &#x017F;eien ihr alles &#x017F;chuldig <note place="foot" n="*)"><lb/>
Proudhon: <hi rendition="#aq">Création de l'ordre</hi> ruft z. B. <hi rendition="#aq">p</hi>. 414 aus: &#x201E;In der<lb/>
Indu&#x017F;trie wie in der Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft i&#x017F;t die Veröffentlichung einer Erfindung<lb/>
die er&#x017F;te und <hi rendition="#g">heilig&#x017F;te der Pflichten</hi>!&#x201C;</note>.<lb/>
Man bleibt dabei, einem &#x201E;höch&#x017F;ten Geber alles Guten&#x201C; <hi rendition="#g">die¬<lb/></hi></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[162/0170] Mit dem liberalen Gebote, daß Jeder aus ſich einen Menſchen oder Jeder ſich zum Menſchen machen ſoll, war die Nothwendigkeit geſetzt, daß Jeder zu dieſer Arbeit der Ver¬ menſchlichung Zeit gewinnen müſſe, d. h. daß Jedem möglich werde, an ſich zu arbeiten. Das Bürgerthum glaubte dieß vermittelt zu haben, wenn es alles Menſchliche der Concurrenz übergebe, den Einzelnen aber zu jeglichem Menſchlichen berechtige. „Es darf Jeder nach Allem ſtreben!“ Der ſociale Liberalismus findet, daß die Sache mit dem „Dürfen“ nicht abgethan ſei, weil dürfen nur heißt, es iſt Keinem verboten, aber nicht, es iſt Jedem möglich gemacht. Er behauptet daher, das Bürgerthum ſei nur mit dem Munde und in Worten liberal, in der That höchſt illiberal. Er ſei¬ nerſeits will Uns allen die Mittel geben, an Uns arbeiten zu können. Durch das Princip der Arbeit wird allerdings das des Glückes oder der Concurrenz überboten. Zugleich aber hält ſich der Arbeiter in ſeinem Bewußtſein, daß das Weſentliche an ihm „der Arbeiter“ ſei, vom Egoismus fern und unterwirft ſich der Oberhoheit einer Arbeitergeſellſchaft, wie der Bürger mit Hingebung am Concurrenz-Staate hing. Der ſchöne Traum von einer „Socialpflicht“ wird noch fortgeträumt. Man meint wieder, die Geſellſchaft gebe, was Wir brauchen, und Wir ſeien ihr deshalb verpflichtet, ſeien ihr alles ſchuldig *). Man bleibt dabei, einem „höchſten Geber alles Guten“ die¬ *) Proudhon: Création de l'ordre ruft z. B. p. 414 aus: „In der Induſtrie wie in der Wiſſenſchaft iſt die Veröffentlichung einer Erfindung die erſte und heiligſte der Pflichten!“

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/170
Zitationshilfe: Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 162. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/170>, abgerufen am 25.11.2024.