Mit dem liberalen Gebote, daß Jeder aus sich einen Menschen oder Jeder sich zum Menschen machen soll, war die Nothwendigkeit gesetzt, daß Jeder zu dieser Arbeit der Ver¬ menschlichung Zeit gewinnen müsse, d. h. daß Jedem möglich werde, an sich zu arbeiten.
Das Bürgerthum glaubte dieß vermittelt zu haben, wenn es alles Menschliche der Concurrenz übergebe, den Einzelnen aber zu jeglichem Menschlichen berechtige. "Es darf Jeder nach Allem streben!"
Der sociale Liberalismus findet, daß die Sache mit dem "Dürfen" nicht abgethan sei, weil dürfen nur heißt, es ist Keinem verboten, aber nicht, es ist Jedem möglich gemacht. Er behauptet daher, das Bürgerthum sei nur mit dem Munde und in Worten liberal, in der That höchst illiberal. Er sei¬ nerseits will Uns allen die Mittel geben, an Uns arbeiten zu können.
Durch das Princip der Arbeit wird allerdings das des Glückes oder der Concurrenz überboten. Zugleich aber hält sich der Arbeiter in seinem Bewußtsein, daß das Wesentliche an ihm "der Arbeiter" sei, vom Egoismus fern und unterwirft sich der Oberhoheit einer Arbeitergesellschaft, wie der Bürger mit Hingebung am Concurrenz-Staate hing. Der schöne Traum von einer "Socialpflicht" wird noch fortgeträumt. Man meint wieder, die Gesellschaft gebe, was Wir brauchen, und Wir seien ihr deshalb verpflichtet, seien ihr alles schuldig *). Man bleibt dabei, einem "höchsten Geber alles Guten" die¬
*) Proudhon: Creation de l'ordre ruft z. B. p. 414 aus: "In der Industrie wie in der Wissenschaft ist die Veröffentlichung einer Erfindung die erste und heiligste der Pflichten!"
Mit dem liberalen Gebote, daß Jeder aus ſich einen Menſchen oder Jeder ſich zum Menſchen machen ſoll, war die Nothwendigkeit geſetzt, daß Jeder zu dieſer Arbeit der Ver¬ menſchlichung Zeit gewinnen müſſe, d. h. daß Jedem möglich werde, an ſich zu arbeiten.
Das Bürgerthum glaubte dieß vermittelt zu haben, wenn es alles Menſchliche der Concurrenz übergebe, den Einzelnen aber zu jeglichem Menſchlichen berechtige. „Es darf Jeder nach Allem ſtreben!“
Der ſociale Liberalismus findet, daß die Sache mit dem „Dürfen“ nicht abgethan ſei, weil dürfen nur heißt, es iſt Keinem verboten, aber nicht, es iſt Jedem möglich gemacht. Er behauptet daher, das Bürgerthum ſei nur mit dem Munde und in Worten liberal, in der That höchſt illiberal. Er ſei¬ nerſeits will Uns allen die Mittel geben, an Uns arbeiten zu können.
Durch das Princip der Arbeit wird allerdings das des Glückes oder der Concurrenz überboten. Zugleich aber hält ſich der Arbeiter in ſeinem Bewußtſein, daß das Weſentliche an ihm „der Arbeiter“ ſei, vom Egoismus fern und unterwirft ſich der Oberhoheit einer Arbeitergeſellſchaft, wie der Bürger mit Hingebung am Concurrenz-Staate hing. Der ſchöne Traum von einer „Socialpflicht“ wird noch fortgeträumt. Man meint wieder, die Geſellſchaft gebe, was Wir brauchen, und Wir ſeien ihr deshalb verpflichtet, ſeien ihr alles ſchuldig *). Man bleibt dabei, einem „höchſten Geber alles Guten“ die¬
*) Proudhon: Création de l'ordre ruft z. B. p. 414 aus: „In der Induſtrie wie in der Wiſſenſchaft iſt die Veröffentlichung einer Erfindung die erſte und heiligſte der Pflichten!“
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Mit dem liberalen Gebote, daß Jeder aus ſich einen
Menſchen oder Jeder ſich zum Menſchen machen ſoll, war die
Nothwendigkeit geſetzt, daß Jeder zu dieſer Arbeit der Ver¬
menſchlichung Zeit gewinnen müſſe, d. h. daß Jedem möglich
werde, an ſich zu arbeiten.
Das Bürgerthum glaubte dieß vermittelt zu haben, wenn
es alles Menſchliche der Concurrenz übergebe, den Einzelnen
aber zu jeglichem Menſchlichen berechtige. „Es darf Jeder
nach Allem ſtreben!“
Der ſociale Liberalismus findet, daß die Sache mit dem
„Dürfen“ nicht abgethan ſei, weil dürfen nur heißt, es iſt
Keinem verboten, aber nicht, es iſt Jedem möglich gemacht. Er
behauptet daher, das Bürgerthum ſei nur mit dem Munde
und in Worten liberal, in der That höchſt illiberal. Er ſei¬
nerſeits will Uns allen die Mittel geben, an Uns arbeiten
zu können.
Durch das Princip der Arbeit wird allerdings das des
Glückes oder der Concurrenz überboten. Zugleich aber hält
ſich der Arbeiter in ſeinem Bewußtſein, daß das Weſentliche
an ihm „der Arbeiter“ ſei, vom Egoismus fern und unterwirft
ſich der Oberhoheit einer Arbeitergeſellſchaft, wie der Bürger
mit Hingebung am Concurrenz-Staate hing. Der ſchöne Traum
von einer „Socialpflicht“ wird noch fortgeträumt. Man meint
wieder, die Geſellſchaft gebe, was Wir brauchen, und Wir
ſeien ihr deshalb verpflichtet, ſeien ihr alles ſchuldig *).
Man bleibt dabei, einem „höchſten Geber alles Guten“ die¬
*)
Proudhon: Création de l'ordre ruft z. B. p. 414 aus: „In der
Induſtrie wie in der Wiſſenſchaft iſt die Veröffentlichung einer Erfindung
die erſte und heiligſte der Pflichten!“
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Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 162. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/170>, abgerufen am 25.11.2024.
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