Alles "Irdische" weicht unter diesem hohen Stand¬ punkte in verächtliche Ferne zurück: denn der Standpunkt ist der -- himmlische.
Die Haltung hat sich nun durchaus umgekehrt, der Jüng¬ ling nimmt ein geistiges Verhalten an, während der Knabe, der sich noch nicht als Geist fühlte, in einem geistlosen Lernen aufwuchs. Jener sucht nicht der Dinge habhaft zu werden, z. B. nicht die Geschichtsdata in seinen Kopf zu bringen, sondern der Gedanken, die in den Dingen verborgen lie¬ gen, also z. B. des Geistes der Geschichte; der Knabe hin¬ gegen versteht wohl Zusammenhänge, aber nicht Ideen, den Geist; daher reiht er Lernbares an Lernbares, ohne apriorisch und theoretisch zu verfahren, d. h. ohne nach Ideen zu suchen.
Hatte man in der Kindheit den Widerstand der Welt¬ gesetze zu bewältigen, so stößt man nun bei Allem, was man vorhat, auf eine Einrede des Geistes, der Vernunft, des eigenen Gewissens. "Das ist unvernünftig, unchristlich, unpatriotisch" und dergl., ruft Uns das Gewissen zu, und -- schreckt Uns davon ab. -- Nicht die Macht der rächenden Eumeniden, nicht den Zorn des Poseidon, nicht den Gott, so fern er auch das Verborgene sieht, nicht die Strafruthe des Vaters fürchten Wir, sondern das -- Gewissen.
Wir "hängen nun Unsern Gedanken nach" und folgen ebenso ihren Geboten, wie Wir vorher den älterlichen, mensch¬ lichen folgten. Unsere Thaten richten sich nach Unseren Ge¬ danken (Ideen, Vorstellungen, Glauben), wie in der Kind¬ heit nach den Befehlen der Aeltern.
Indeß gedacht haben Wir auch schon als Kinder, nur wa¬ ren unsere Gedanken keine fleischlosen, abstracten, absoluten,
Alles „Irdiſche“ weicht unter dieſem hohen Stand¬ punkte in verächtliche Ferne zurück: denn der Standpunkt iſt der — himmliſche.
Die Haltung hat ſich nun durchaus umgekehrt, der Jüng¬ ling nimmt ein geiſtiges Verhalten an, während der Knabe, der ſich noch nicht als Geiſt fühlte, in einem geiſtloſen Lernen aufwuchs. Jener ſucht nicht der Dinge habhaft zu werden, z. B. nicht die Geſchichtsdata in ſeinen Kopf zu bringen, ſondern der Gedanken, die in den Dingen verborgen lie¬ gen, alſo z. B. des Geiſtes der Geſchichte; der Knabe hin¬ gegen verſteht wohl Zuſammenhänge, aber nicht Ideen, den Geiſt; daher reiht er Lernbares an Lernbares, ohne aprioriſch und theoretiſch zu verfahren, d. h. ohne nach Ideen zu ſuchen.
Hatte man in der Kindheit den Widerſtand der Welt¬ geſetze zu bewältigen, ſo ſtößt man nun bei Allem, was man vorhat, auf eine Einrede des Geiſtes, der Vernunft, des eigenen Gewiſſens. „Das iſt unvernünftig, unchriſtlich, unpatriotiſch“ und dergl., ruft Uns das Gewiſſen zu, und — ſchreckt Uns davon ab. — Nicht die Macht der rächenden Eumeniden, nicht den Zorn des Poſeidon, nicht den Gott, ſo fern er auch das Verborgene ſieht, nicht die Strafruthe des Vaters fürchten Wir, ſondern das — Gewiſſen.
Wir „hängen nun Unſern Gedanken nach“ und folgen ebenſo ihren Geboten, wie Wir vorher den älterlichen, menſch¬ lichen folgten. Unſere Thaten richten ſich nach Unſeren Ge¬ danken (Ideen, Vorſtellungen, Glauben), wie in der Kind¬ heit nach den Befehlen der Aeltern.
Indeß gedacht haben Wir auch ſchon als Kinder, nur wa¬ ren unſere Gedanken keine fleiſchloſen, abſtracten, abſoluten,
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Alles „Irdiſche“ weicht unter dieſem hohen Stand¬
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Die Haltung hat ſich nun durchaus umgekehrt, der Jüng¬
ling nimmt ein geiſtiges Verhalten an, während der Knabe,
der ſich noch nicht als Geiſt fühlte, in einem geiſtloſen Lernen
aufwuchs. Jener ſucht nicht der Dinge habhaft zu werden,
z. B. nicht die Geſchichtsdata in ſeinen Kopf zu bringen,
ſondern der Gedanken, die in den Dingen verborgen lie¬
gen, alſo z. B. des Geiſtes der Geſchichte; der Knabe hin¬
gegen verſteht wohl Zuſammenhänge, aber nicht Ideen,
den Geiſt; daher reiht er Lernbares an Lernbares, ohne
aprioriſch und theoretiſch zu verfahren, d. h. ohne nach Ideen
zu ſuchen.
Hatte man in der Kindheit den Widerſtand der Welt¬
geſetze zu bewältigen, ſo ſtößt man nun bei Allem, was
man vorhat, auf eine Einrede des Geiſtes, der Vernunft, des
eigenen Gewiſſens. „Das iſt unvernünftig, unchriſtlich,
unpatriotiſch“ und dergl., ruft Uns das Gewiſſen zu, und —
ſchreckt Uns davon ab. — Nicht die Macht der rächenden
Eumeniden, nicht den Zorn des Poſeidon, nicht den Gott, ſo
fern er auch das Verborgene ſieht, nicht die Strafruthe des
Vaters fürchten Wir, ſondern das — Gewiſſen.
Wir „hängen nun Unſern Gedanken nach“ und folgen
ebenſo ihren Geboten, wie Wir vorher den älterlichen, menſch¬
lichen folgten. Unſere Thaten richten ſich nach Unſeren Ge¬
danken (Ideen, Vorſtellungen, Glauben), wie in der Kind¬
heit nach den Befehlen der Aeltern.
Indeß gedacht haben Wir auch ſchon als Kinder, nur wa¬
ren unſere Gedanken keine fleiſchloſen, abſtracten, abſoluten,
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Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/24>, abgerufen am 03.12.2024.
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