Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845.

Bild:
<< vorherige Seite

Dieß "widersinnige Urtheil" haben die Menschen eine
lange Reihe von Jahrhunderten hindurch gefällt! Ja, was
noch mehr ist, in dieser langen Zeit gab es nur -- Unmen¬
schen
. Welcher Einzelne hätte seinem Begriffe entsprochen?
Das Christenthum kennt nur Einen Menschen, und dieser Eine
-- Christus -- ist sogleich wieder im umgekehrten Sinne ein
Unmensch, nämlich ein übermenschlicher Mensch, ein "Gott".
Wirklicher Mensch ist nur der -- Unmensch.

Menschen, die keine Menschen sind, was wären sie an¬
ders als Gespenster? Jeder wirkliche Mensch ist, weil er
dem Begriffe "Mensch" nicht entspricht, oder weil er nicht
"Gattungsmensch" ist, ein Spuk. Aber bleibe Ich auch dann
noch ein Unmensch, wenn Ich den Menschen, der nur als
mein Ideal, meine Aufgabe, mein Wesen oder Begriff über
Mich hinausragte und Mir jenseitig blieb, zu meiner Mir
eigenen und inhärenten Eigenschaft herabsetze, so daß der
Mensch nichts anderes ist, als meine Menschlichkeit, mein
Menschsein, und alles, was Ich thue, gerade darum menschlich
ist, weil Ich's thue, nicht aber darum, weil es dem Begriffe
"Mensch" entspricht? Ich bin wirklich der Mensch und Unmensch
in Einem; denn Ich bin Mensch und bin zugleich mehr als
Mensch, d. h. Ich bin das Ich dieser meiner bloßen Eigenschaft.

Es mußte endlich dahin kommen, daß man Uns nicht
mehr bloß zumuthete, Christen zu sein, sondern Menschen zu
werden; denn obwohl Wir auch Christen niemals wirklich wer¬
den konnten, sondern immer "arme Sünder" blieben (der Christ
war ja eben auch ein unerreichbares Ideal), so kam dabei
doch die Widersinnigkeit nicht so zum Bewußtsein und die Täu¬
schung war leichter, als jetzt, wo an Uns, die Wir Menschen
sind und menschlich handeln, ja gar nicht anders können, als

Dieß „widerſinnige Urtheil“ haben die Menſchen eine
lange Reihe von Jahrhunderten hindurch gefällt! Ja, was
noch mehr iſt, in dieſer langen Zeit gab es nur — Unmen¬
ſchen
. Welcher Einzelne hätte ſeinem Begriffe entſprochen?
Das Chriſtenthum kennt nur Einen Menſchen, und dieſer Eine
Chriſtusiſt ſogleich wieder im umgekehrten Sinne ein
Unmenſch, nämlich ein übermenſchlicher Menſch, ein „Gott“.
Wirklicher Menſch iſt nur der — Unmenſch.

Menſchen, die keine Menſchen ſind, was wären ſie an¬
ders als Geſpenſter? Jeder wirkliche Menſch iſt, weil er
dem Begriffe „Menſch“ nicht entſpricht, oder weil er nicht
Gattungsmenſch“ iſt, ein Spuk. Aber bleibe Ich auch dann
noch ein Unmenſch, wenn Ich den Menſchen, der nur als
mein Ideal, meine Aufgabe, mein Weſen oder Begriff über
Mich hinausragte und Mir jenſeitig blieb, zu meiner Mir
eigenen und inhärenten Eigenſchaft herabſetze, ſo daß der
Menſch nichts anderes iſt, als meine Menſchlichkeit, mein
Menſchſein, und alles, was Ich thue, gerade darum menſchlich
iſt, weil Ich's thue, nicht aber darum, weil es dem Begriffe
„Menſch“ entſpricht? Ich bin wirklich der Menſch und Unmenſch
in Einem; denn Ich bin Menſch und bin zugleich mehr als
Menſch, d. h. Ich bin das Ich dieſer meiner bloßen Eigenſchaft.

Es mußte endlich dahin kommen, daß man Uns nicht
mehr bloß zumuthete, Chriſten zu ſein, ſondern Menſchen zu
werden; denn obwohl Wir auch Chriſten niemals wirklich wer¬
den konnten, ſondern immerarme Sünder“ blieben (der Chriſt
war ja eben auch ein unerreichbares Ideal), ſo kam dabei
doch die Widerſinnigkeit nicht ſo zum Bewußtſein und die Täu¬
ſchung war leichter, als jetzt, wo an Uns, die Wir Menſchen
ſind und menſchlich handeln, ja gar nicht anders können, als

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0241" n="233"/>
          <p>Dieß &#x201E;<hi rendition="#fr">wider&#x017F;innige Urtheil</hi>&#x201C; haben die <hi rendition="#fr">Men&#x017F;chen</hi> eine<lb/>
lange Reihe von <hi rendition="#fr">Jahrhunderten hindurch</hi> gefällt! Ja, was<lb/>
noch mehr i&#x017F;t, in die&#x017F;er langen Zeit gab es nur &#x2014; <hi rendition="#g">Unmen¬<lb/>
&#x017F;chen</hi>. Welcher Einzelne hätte &#x017F;einem Begriffe ent&#x017F;prochen?<lb/>
Das <hi rendition="#fr">Chri&#x017F;tenthum kennt nur Einen Men&#x017F;chen</hi>, <hi rendition="#fr">und</hi> die&#x017F;er Eine<lb/>
&#x2014; <hi rendition="#fr">Chri&#x017F;tus</hi> &#x2014; <hi rendition="#fr">i&#x017F;t</hi> &#x017F;ogleich wieder im umgekehrten Sinne ein<lb/><hi rendition="#fr">Unmen&#x017F;ch</hi>, <hi rendition="#fr">nämlich ein übermen&#x017F;chlicher Men&#x017F;ch</hi>, ein &#x201E;<hi rendition="#fr">Gott</hi>&#x201C;.<lb/><hi rendition="#g">Wirklicher</hi> Men&#x017F;ch i&#x017F;t nur der &#x2014; <hi rendition="#fr">Unmen&#x017F;ch</hi>.</p><lb/>
          <p><hi rendition="#fr">Men&#x017F;chen</hi>, die keine Men&#x017F;chen &#x017F;ind, was wären &#x017F;ie an¬<lb/>
ders als <hi rendition="#g">Ge&#x017F;pen&#x017F;ter</hi>? Jeder wirkliche Men&#x017F;ch i&#x017F;t, weil er<lb/>
dem Begriffe &#x201E;<hi rendition="#fr">Men&#x017F;ch</hi>&#x201C; nicht ent&#x017F;pricht, oder weil er nicht<lb/>
&#x201E;<hi rendition="#fr">Gattungsmen&#x017F;ch</hi>&#x201C; i&#x017F;t, ein Spuk. Aber bleibe Ich auch dann<lb/>
noch ein <hi rendition="#fr">Unmen&#x017F;ch</hi>, wenn Ich den Men&#x017F;chen, der nur als<lb/>
mein Ideal, meine Aufgabe, mein We&#x017F;en oder Begriff über<lb/>
Mich hinausragte und Mir jen&#x017F;eitig blieb, zu meiner Mir<lb/>
eigenen und inhärenten <hi rendition="#g">Eigen&#x017F;chaft</hi> herab&#x017F;etze, &#x017F;o daß der<lb/>
Men&#x017F;ch nichts anderes i&#x017F;t, als meine Men&#x017F;chlichkeit, mein<lb/>
Men&#x017F;ch&#x017F;ein, und alles, was Ich thue, gerade darum men&#x017F;chlich<lb/>
i&#x017F;t, weil Ich's thue, nicht aber darum, weil es dem <hi rendition="#g">Begriffe</hi><lb/>
&#x201E;Men&#x017F;ch&#x201C; ent&#x017F;pricht? <hi rendition="#fr">Ich bin wirklich der Men&#x017F;ch und Unmen&#x017F;ch</hi><lb/>
in <hi rendition="#fr">Einem</hi>; denn <hi rendition="#fr">Ich bin Men&#x017F;ch</hi> und bin zugleich mehr als<lb/>
Men&#x017F;ch, d. h. Ich bin das Ich die&#x017F;er meiner bloßen Eigen&#x017F;chaft.</p><lb/>
          <p>Es mußte endlich dahin kommen, daß man Uns nicht<lb/>
mehr bloß zumuthete, Chri&#x017F;ten zu &#x017F;ein, &#x017F;ondern Men&#x017F;chen zu<lb/>
werden; denn obwohl Wir auch <hi rendition="#fr">Chri&#x017F;ten niemals wirklich wer</hi>¬<lb/><hi rendition="#fr">den konnten</hi>, <hi rendition="#fr">&#x017F;ondern immer</hi> &#x201E;<hi rendition="#fr">arme Sünder</hi>&#x201C; blieben (der Chri&#x017F;t<lb/>
war ja eben auch ein unerreichbares Ideal), &#x017F;o kam dabei<lb/>
doch die Wider&#x017F;innigkeit nicht &#x017F;o zum Bewußt&#x017F;ein und die Täu¬<lb/>
&#x017F;chung war leichter, als jetzt, wo an Uns, die Wir Men&#x017F;chen<lb/>
&#x017F;ind und men&#x017F;chlich handeln, ja gar nicht anders können, als<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[233/0241] Dieß „widerſinnige Urtheil“ haben die Menſchen eine lange Reihe von Jahrhunderten hindurch gefällt! Ja, was noch mehr iſt, in dieſer langen Zeit gab es nur — Unmen¬ ſchen. Welcher Einzelne hätte ſeinem Begriffe entſprochen? Das Chriſtenthum kennt nur Einen Menſchen, und dieſer Eine — Chriſtus — iſt ſogleich wieder im umgekehrten Sinne ein Unmenſch, nämlich ein übermenſchlicher Menſch, ein „Gott“. Wirklicher Menſch iſt nur der — Unmenſch. Menſchen, die keine Menſchen ſind, was wären ſie an¬ ders als Geſpenſter? Jeder wirkliche Menſch iſt, weil er dem Begriffe „Menſch“ nicht entſpricht, oder weil er nicht „Gattungsmenſch“ iſt, ein Spuk. Aber bleibe Ich auch dann noch ein Unmenſch, wenn Ich den Menſchen, der nur als mein Ideal, meine Aufgabe, mein Weſen oder Begriff über Mich hinausragte und Mir jenſeitig blieb, zu meiner Mir eigenen und inhärenten Eigenſchaft herabſetze, ſo daß der Menſch nichts anderes iſt, als meine Menſchlichkeit, mein Menſchſein, und alles, was Ich thue, gerade darum menſchlich iſt, weil Ich's thue, nicht aber darum, weil es dem Begriffe „Menſch“ entſpricht? Ich bin wirklich der Menſch und Unmenſch in Einem; denn Ich bin Menſch und bin zugleich mehr als Menſch, d. h. Ich bin das Ich dieſer meiner bloßen Eigenſchaft. Es mußte endlich dahin kommen, daß man Uns nicht mehr bloß zumuthete, Chriſten zu ſein, ſondern Menſchen zu werden; denn obwohl Wir auch Chriſten niemals wirklich wer¬ den konnten, ſondern immer „arme Sünder“ blieben (der Chriſt war ja eben auch ein unerreichbares Ideal), ſo kam dabei doch die Widerſinnigkeit nicht ſo zum Bewußtſein und die Täu¬ ſchung war leichter, als jetzt, wo an Uns, die Wir Menſchen ſind und menſchlich handeln, ja gar nicht anders können, als

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/241
Zitationshilfe: Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 233. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/241>, abgerufen am 27.11.2024.