dieß zu sein und so zu handeln, die Forderung gestellt wird: Wir sollen Menschen sein, "wirkliche Menschen".
Unsere heutigen Staaten bürden zwar, weil ihnen von ihrer kirchlichen Mutter noch allerhand anklebt, den Ihrigen noch mancherlei Verpflichtungen auf (z. B. kirchliche Religio¬ sität), die sie, die Staaten, eigentlich nichts angehen; aber sie verleugnen doch im Ganzen ihre Bedeutung nicht, indem sie für menschliche Gesellschaften angesehen werden wollen, in welchen der Mensch als Mensch ein Glied sein kann, wenn er auch minder privilegirt ist als andere Mitglieder; die meisten lassen Anhänger jeder religiösen Secte zu, und recipiren die Leute ohne Racen- oder Nationalunterschied: Juden, Türken, Mohren u. s. w. können französische Bürger werden. Der Staat sieht also bei der Aufnahme nur darauf, ob einer ein Mensch sei. Die Kirche, als eine Gesellschaft von Gläubi¬ gen, konnte nicht jeden Menschen in ihren Schooß aufnehmen; der Staat, als eine Gesellschaft von Menschen, kann es. Aber wenn der Staat sein Princip, bei den Seinigen nichts voraus¬ zusetzen, als daß sie Menschen seien, rein vollzogen hat (bis jetzt setzen selbst die Nordamerikaner bei den Ihrigen noch vor¬ aus, daß sie Religion, wenigstens die Religion der Recht¬ schaffenheit, der Honettetät, haben), dann hat er sich sein Grab gegraben. Während er wähnen wird, an den Seinigen lauter Menschen zu besitzen, sind diese mittlerweile zu lauter Egoisten geworden, deren jeder ihn nach seinen egoistischen Kräften und Zwecken benutzt. An den Egoisten geht die "menschliche Ge¬ sellschaft" zu Grunde; denn sie beziehen sich nicht mehr als Menschen auf einander, sondern treten egoistisch als ein Ich gegen ein von Mir durchaus verschiedenes und gegnerisches Du und Ihr auf.
dieß zu ſein und ſo zu handeln, die Forderung geſtellt wird: Wir ſollen Menſchen ſein, „wirkliche Menſchen“.
Unſere heutigen Staaten bürden zwar, weil ihnen von ihrer kirchlichen Mutter noch allerhand anklebt, den Ihrigen noch mancherlei Verpflichtungen auf (z. B. kirchliche Religio¬ ſität), die ſie, die Staaten, eigentlich nichts angehen; aber ſie verleugnen doch im Ganzen ihre Bedeutung nicht, indem ſie für menſchliche Geſellſchaften angeſehen werden wollen, in welchen der Menſch als Menſch ein Glied ſein kann, wenn er auch minder privilegirt iſt als andere Mitglieder; die meiſten laſſen Anhänger jeder religiöſen Secte zu, und recipiren die Leute ohne Racen- oder Nationalunterſchied: Juden, Türken, Mohren u. ſ. w. können franzöſiſche Bürger werden. Der Staat ſieht alſo bei der Aufnahme nur darauf, ob einer ein Menſch ſei. Die Kirche, als eine Geſellſchaft von Gläubi¬ gen, konnte nicht jeden Menſchen in ihren Schooß aufnehmen; der Staat, als eine Geſellſchaft von Menſchen, kann es. Aber wenn der Staat ſein Princip, bei den Seinigen nichts voraus¬ zuſetzen, als daß ſie Menſchen ſeien, rein vollzogen hat (bis jetzt ſetzen ſelbſt die Nordamerikaner bei den Ihrigen noch vor¬ aus, daß ſie Religion, wenigſtens die Religion der Recht¬ ſchaffenheit, der Honettetät, haben), dann hat er ſich ſein Grab gegraben. Während er wähnen wird, an den Seinigen lauter Menſchen zu beſitzen, ſind dieſe mittlerweile zu lauter Egoiſten geworden, deren jeder ihn nach ſeinen egoiſtiſchen Kräften und Zwecken benutzt. An den Egoiſten geht die „menſchliche Ge¬ ſellſchaft“ zu Grunde; denn ſie beziehen ſich nicht mehr als Menſchen auf einander, ſondern treten egoiſtiſch als ein Ich gegen ein von Mir durchaus verſchiedenes und gegneriſches Du und Ihr auf.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0242"n="234"/>
dieß zu ſein und ſo zu handeln, die Forderung geſtellt wird:<lb/>
Wir ſollen Menſchen ſein, „wirkliche Menſchen“.</p><lb/><p>Unſere heutigen Staaten bürden zwar, weil ihnen von<lb/>
ihrer kirchlichen Mutter noch allerhand anklebt, den Ihrigen<lb/>
noch mancherlei Verpflichtungen auf (z. B. kirchliche Religio¬<lb/>ſität), die ſie, die Staaten, eigentlich nichts angehen; aber ſie<lb/>
verleugnen doch im Ganzen ihre Bedeutung nicht, indem ſie<lb/>
für <hirendition="#g">menſchliche Geſellſchaften</hi> angeſehen werden wollen,<lb/>
in welchen der Menſch als Menſch ein Glied ſein kann, wenn<lb/>
er auch minder privilegirt iſt als andere Mitglieder; die meiſten<lb/>
laſſen Anhänger jeder religiöſen Secte zu, und recipiren die<lb/>
Leute ohne Racen- oder Nationalunterſchied: Juden, Türken,<lb/>
Mohren u. ſ. w. können franzöſiſche Bürger werden. Der<lb/>
Staat ſieht alſo bei der Aufnahme nur darauf, ob einer ein<lb/><hirendition="#g">Menſch</hi>ſei. Die Kirche, als eine Geſellſchaft von Gläubi¬<lb/>
gen, konnte nicht jeden Menſchen in ihren Schooß aufnehmen;<lb/>
der Staat, als eine Geſellſchaft von Menſchen, kann es. Aber<lb/>
wenn der Staat ſein Princip, bei den Seinigen nichts voraus¬<lb/>
zuſetzen, als daß ſie Menſchen ſeien, rein vollzogen hat (bis<lb/>
jetzt ſetzen ſelbſt die Nordamerikaner bei den Ihrigen noch vor¬<lb/>
aus, daß ſie Religion, wenigſtens die Religion der Recht¬<lb/>ſchaffenheit, der Honettetät, haben), dann hat er ſich ſein Grab<lb/>
gegraben. Während er wähnen wird, an den Seinigen lauter<lb/>
Menſchen zu beſitzen, ſind dieſe mittlerweile zu lauter <hirendition="#g">Egoiſten</hi><lb/>
geworden, deren jeder ihn nach ſeinen egoiſtiſchen Kräften und<lb/>
Zwecken benutzt. An den Egoiſten geht die „menſchliche Ge¬<lb/>ſellſchaft“ zu Grunde; denn ſie beziehen ſich nicht mehr als<lb/><hirendition="#g">Menſchen</hi> auf einander, ſondern treten egoiſtiſch als ein <hirendition="#g">Ich</hi><lb/>
gegen ein von Mir durchaus verſchiedenes und gegneriſches<lb/>
Du und Ihr auf.</p><lb/></div></div></body></text></TEI>
[234/0242]
dieß zu ſein und ſo zu handeln, die Forderung geſtellt wird:
Wir ſollen Menſchen ſein, „wirkliche Menſchen“.
Unſere heutigen Staaten bürden zwar, weil ihnen von
ihrer kirchlichen Mutter noch allerhand anklebt, den Ihrigen
noch mancherlei Verpflichtungen auf (z. B. kirchliche Religio¬
ſität), die ſie, die Staaten, eigentlich nichts angehen; aber ſie
verleugnen doch im Ganzen ihre Bedeutung nicht, indem ſie
für menſchliche Geſellſchaften angeſehen werden wollen,
in welchen der Menſch als Menſch ein Glied ſein kann, wenn
er auch minder privilegirt iſt als andere Mitglieder; die meiſten
laſſen Anhänger jeder religiöſen Secte zu, und recipiren die
Leute ohne Racen- oder Nationalunterſchied: Juden, Türken,
Mohren u. ſ. w. können franzöſiſche Bürger werden. Der
Staat ſieht alſo bei der Aufnahme nur darauf, ob einer ein
Menſch ſei. Die Kirche, als eine Geſellſchaft von Gläubi¬
gen, konnte nicht jeden Menſchen in ihren Schooß aufnehmen;
der Staat, als eine Geſellſchaft von Menſchen, kann es. Aber
wenn der Staat ſein Princip, bei den Seinigen nichts voraus¬
zuſetzen, als daß ſie Menſchen ſeien, rein vollzogen hat (bis
jetzt ſetzen ſelbſt die Nordamerikaner bei den Ihrigen noch vor¬
aus, daß ſie Religion, wenigſtens die Religion der Recht¬
ſchaffenheit, der Honettetät, haben), dann hat er ſich ſein Grab
gegraben. Während er wähnen wird, an den Seinigen lauter
Menſchen zu beſitzen, ſind dieſe mittlerweile zu lauter Egoiſten
geworden, deren jeder ihn nach ſeinen egoiſtiſchen Kräften und
Zwecken benutzt. An den Egoiſten geht die „menſchliche Ge¬
ſellſchaft“ zu Grunde; denn ſie beziehen ſich nicht mehr als
Menſchen auf einander, ſondern treten egoiſtiſch als ein Ich
gegen ein von Mir durchaus verſchiedenes und gegneriſches
Du und Ihr auf.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 234. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/242>, abgerufen am 27.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.