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Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845.

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der Todfeind jedes "Bandes". Die Weltgeschichte zeigt, daß
noch kein Band unzerissen blieb, zeigt, daß der Mensch sich
unermüdet gegen Bande jeder Art wehrt, und dennoch sinnt
man verblendet wieder und wieder auf neue Bande, und meint
z. B. bei dem rechten angekommen zu sein, wenn man ihm
das Band einer sogenannten freien Verfassung, ein schönes,
constitutionnelles Band anlegt: die Ordensbänder, die Bande
des Vertrauens zwischen "-- -- --" scheinen nachgerade
zwar etwas mürbe geworden zu sein, aber weiter als vom
Gängelbande zum Hosen- und Halsbande hat man's nicht
gebracht.

Alles Heilige ist ein Band, eine Fessel.

Alles Heilige wird und muß verdreht werden von Rechts¬
verdrehern; darum hat unsere Gegenwart in allen Sphären
solche Verdreher in Menge. Sie bereiten den Rechtsbruch,
die Rechtlosigkeit vor.

Arme Athener, die man der Rabulisterei und Sophistik,
armer Alcibiades, den man der Intrigue anklagt. Das war
ja eben euer Bestes, euer erster Freiheitsschritt. Eure Aeschy¬
lus, Herodot u. s. w. wollten nur ein freies griechisches
Volk haben; Ihr erst ahndetet etwas von eurer Freiheit.

Ein Volk unterdrückt diejenigen, welche über seine Ma¬
jestät
hinausragen, durch den Ostracismus gegen die über¬
mächtigen Bürger, durch die Inquisition gegen die Ketzer der
Kirche, durch die -- Inquisition gegen die Hochverräther im
Staate u. s. w.

Denn dem Volke kommt es nur auf seine Selbstbehaup¬
tung an; es fordert "patriotische Aufopferung" von Jedem.
Mithin ist ihm Jeder für sich gleichgültig, ein Nichts, und
es kann nicht machen, nicht einmal leiden, was der Einzelne

der Todfeind jedes „Bandes“. Die Weltgeſchichte zeigt, daß
noch kein Band unzeriſſen blieb, zeigt, daß der Menſch ſich
unermüdet gegen Bande jeder Art wehrt, und dennoch ſinnt
man verblendet wieder und wieder auf neue Bande, und meint
z. B. bei dem rechten angekommen zu ſein, wenn man ihm
das Band einer ſogenannten freien Verfaſſung, ein ſchönes,
conſtitutionnelles Band anlegt: die Ordensbänder, die Bande
des Vertrauens zwiſchen „— — —“ ſcheinen nachgerade
zwar etwas mürbe geworden zu ſein, aber weiter als vom
Gängelbande zum Hoſen- und Halsbande hat man's nicht
gebracht.

Alles Heilige iſt ein Band, eine Feſſel.

Alles Heilige wird und muß verdreht werden von Rechts¬
verdrehern; darum hat unſere Gegenwart in allen Sphären
ſolche Verdreher in Menge. Sie bereiten den Rechtsbruch,
die Rechtloſigkeit vor.

Arme Athener, die man der Rabuliſterei und Sophiſtik,
armer Alcibiades, den man der Intrigue anklagt. Das war
ja eben euer Beſtes, euer erſter Freiheitsſchritt. Eure Aeſchy¬
lus, Herodot u. ſ. w. wollten nur ein freies griechiſches
Volk haben; Ihr erſt ahndetet etwas von eurer Freiheit.

Ein Volk unterdrückt diejenigen, welche über ſeine Ma¬
jeſtät
hinausragen, durch den Oſtracismus gegen die über¬
mächtigen Bürger, durch die Inquiſition gegen die Ketzer der
Kirche, durch die — Inquiſition gegen die Hochverräther im
Staate u. ſ. w.

Denn dem Volke kommt es nur auf ſeine Selbſtbehaup¬
tung an; es fordert „patriotiſche Aufopferung“ von Jedem.
Mithin iſt ihm Jeder für ſich gleichgültig, ein Nichts, und
es kann nicht machen, nicht einmal leiden, was der Einzelne

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[284/0292] der Todfeind jedes „Bandes“. Die Weltgeſchichte zeigt, daß noch kein Band unzeriſſen blieb, zeigt, daß der Menſch ſich unermüdet gegen Bande jeder Art wehrt, und dennoch ſinnt man verblendet wieder und wieder auf neue Bande, und meint z. B. bei dem rechten angekommen zu ſein, wenn man ihm das Band einer ſogenannten freien Verfaſſung, ein ſchönes, conſtitutionnelles Band anlegt: die Ordensbänder, die Bande des Vertrauens zwiſchen „— — —“ ſcheinen nachgerade zwar etwas mürbe geworden zu ſein, aber weiter als vom Gängelbande zum Hoſen- und Halsbande hat man's nicht gebracht. Alles Heilige iſt ein Band, eine Feſſel. Alles Heilige wird und muß verdreht werden von Rechts¬ verdrehern; darum hat unſere Gegenwart in allen Sphären ſolche Verdreher in Menge. Sie bereiten den Rechtsbruch, die Rechtloſigkeit vor. Arme Athener, die man der Rabuliſterei und Sophiſtik, armer Alcibiades, den man der Intrigue anklagt. Das war ja eben euer Beſtes, euer erſter Freiheitsſchritt. Eure Aeſchy¬ lus, Herodot u. ſ. w. wollten nur ein freies griechiſches Volk haben; Ihr erſt ahndetet etwas von eurer Freiheit. Ein Volk unterdrückt diejenigen, welche über ſeine Ma¬ jeſtät hinausragen, durch den Oſtracismus gegen die über¬ mächtigen Bürger, durch die Inquiſition gegen die Ketzer der Kirche, durch die — Inquiſition gegen die Hochverräther im Staate u. ſ. w. Denn dem Volke kommt es nur auf ſeine Selbſtbehaup¬ tung an; es fordert „patriotiſche Aufopferung“ von Jedem. Mithin iſt ihm Jeder für ſich gleichgültig, ein Nichts, und es kann nicht machen, nicht einmal leiden, was der Einzelne

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Zitationshilfe: Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 284. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/292>, abgerufen am 23.11.2024.