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Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845.

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den "heiligen Gott" benehme, Jedermanns eigene Sache sei.
Wie aber diese eine Strafe, die Kirchenstrafe, gefallen ist,
so müssen alle Strafen fallen. Wie die Sünde gegen den
sogenannten Gott des Menschen eigene Sache ist, so die gegen
jede Art des sogenannten Heiligen. Nach unsern Strafrechts¬
theorieen, mit deren "zeitgemäßer Verbesserung" man sich ver¬
geblich abquält, will man die Menschen für diese oder jene
"Unmenschlichkeit" strafen und macht dabei das Alberne die¬
ser Theorieen durch ihre Consequenz besonders deutlich, indem
man die kleinen Diebe hängt und die großen laufen läßt. Für
Eigenthumsverletzung hat man das Zuchthaus, und für "Ge¬
dankenzwang", Unterdrückung "natürlicher Menschenrechte", nur
-- Vorstellungen und Bitten.

Der Criminalcodex hat nur durch das Heilige Bestand
und verkommt von selbst, wenn man die Strafe aufgiebt. Al¬
lerwärts will man gegenwärtig ein neues Strafgesetz schaffen,
ohne sich über die Strafe selbst ein Bedenken zu machen.
Gerade die Strafe aber muß der Genugthuung den Platz räu¬
men, die wiederum nicht darauf abzielen kann, dem Rechte
oder der Gerechtigkeit genug zu thun, sondern Uns ein Ge¬
nüge zu verschaffen. Thut Uns Einer, was Wir Uns nicht
gefallen lassen wollen, so brechen Wir seine Gewalt und
bringen die Unsere zur Geltung: Wir befriedigen Uns an
ihm und verfallen nicht in die Thorheit, das Recht (den Spuk)
befriedigen zu wollen. Nicht das Heilige soll sich gegen
den Menschen wehren, sondern der Mensch gegen den Men¬
schen, so wie ja auch nicht mehr Gott sich gegen den Men¬
schen wehrt, dem sonst und zum Theil freilich noch jetzt alle
"Diener Gottes" die Hand boten, um den Lästerer zu strafen,
wie sie eben heute noch dem Heiligen ihre Hand leihen. Jene

den „heiligen Gott“ benehme, Jedermanns eigene Sache ſei.
Wie aber dieſe eine Strafe, die Kirchenſtrafe, gefallen iſt,
ſo müſſen alle Strafen fallen. Wie die Sünde gegen den
ſogenannten Gott des Menſchen eigene Sache iſt, ſo die gegen
jede Art des ſogenannten Heiligen. Nach unſern Strafrechts¬
theorieen, mit deren „zeitgemäßer Verbeſſerung“ man ſich ver¬
geblich abquält, will man die Menſchen für dieſe oder jene
„Unmenſchlichkeit“ ſtrafen und macht dabei das Alberne die¬
ſer Theorieen durch ihre Conſequenz beſonders deutlich, indem
man die kleinen Diebe hängt und die großen laufen läßt. Für
Eigenthumsverletzung hat man das Zuchthaus, und für „Ge¬
dankenzwang“, Unterdrückung „natürlicher Menſchenrechte“, nur
— Vorſtellungen und Bitten.

Der Criminalcodex hat nur durch das Heilige Beſtand
und verkommt von ſelbſt, wenn man die Strafe aufgiebt. Al¬
lerwärts will man gegenwärtig ein neues Strafgeſetz ſchaffen,
ohne ſich über die Strafe ſelbſt ein Bedenken zu machen.
Gerade die Strafe aber muß der Genugthuung den Platz räu¬
men, die wiederum nicht darauf abzielen kann, dem Rechte
oder der Gerechtigkeit genug zu thun, ſondern Uns ein Ge¬
nüge zu verſchaffen. Thut Uns Einer, was Wir Uns nicht
gefallen lassen wollen, ſo brechen Wir ſeine Gewalt und
bringen die Unſere zur Geltung: Wir befriedigen Uns an
ihm und verfallen nicht in die Thorheit, das Recht (den Spuk)
befriedigen zu wollen. Nicht das Heilige ſoll ſich gegen
den Menſchen wehren, ſondern der Menſch gegen den Men¬
ſchen, ſo wie ja auch nicht mehr Gott ſich gegen den Men¬
ſchen wehrt, dem ſonſt und zum Theil freilich noch jetzt alle
„Diener Gottes“ die Hand boten, um den Läſterer zu ſtrafen,
wie ſie eben heute noch dem Heiligen ihre Hand leihen. Jene

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[318/0326] den „heiligen Gott“ benehme, Jedermanns eigene Sache ſei. Wie aber dieſe eine Strafe, die Kirchenſtrafe, gefallen iſt, ſo müſſen alle Strafen fallen. Wie die Sünde gegen den ſogenannten Gott des Menſchen eigene Sache iſt, ſo die gegen jede Art des ſogenannten Heiligen. Nach unſern Strafrechts¬ theorieen, mit deren „zeitgemäßer Verbeſſerung“ man ſich ver¬ geblich abquält, will man die Menſchen für dieſe oder jene „Unmenſchlichkeit“ ſtrafen und macht dabei das Alberne die¬ ſer Theorieen durch ihre Conſequenz beſonders deutlich, indem man die kleinen Diebe hängt und die großen laufen läßt. Für Eigenthumsverletzung hat man das Zuchthaus, und für „Ge¬ dankenzwang“, Unterdrückung „natürlicher Menſchenrechte“, nur — Vorſtellungen und Bitten. Der Criminalcodex hat nur durch das Heilige Beſtand und verkommt von ſelbſt, wenn man die Strafe aufgiebt. Al¬ lerwärts will man gegenwärtig ein neues Strafgeſetz ſchaffen, ohne ſich über die Strafe ſelbſt ein Bedenken zu machen. Gerade die Strafe aber muß der Genugthuung den Platz räu¬ men, die wiederum nicht darauf abzielen kann, dem Rechte oder der Gerechtigkeit genug zu thun, ſondern Uns ein Ge¬ nüge zu verſchaffen. Thut Uns Einer, was Wir Uns nicht gefallen lassen wollen, ſo brechen Wir ſeine Gewalt und bringen die Unſere zur Geltung: Wir befriedigen Uns an ihm und verfallen nicht in die Thorheit, das Recht (den Spuk) befriedigen zu wollen. Nicht das Heilige ſoll ſich gegen den Menſchen wehren, ſondern der Menſch gegen den Men¬ ſchen, ſo wie ja auch nicht mehr Gott ſich gegen den Men¬ ſchen wehrt, dem ſonſt und zum Theil freilich noch jetzt alle „Diener Gottes“ die Hand boten, um den Läſterer zu ſtrafen, wie ſie eben heute noch dem Heiligen ihre Hand leihen. Jene

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Zitationshilfe: Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 318. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/326>, abgerufen am 26.11.2024.