Hingebung an das Heilige bewirkt denn auch, daß man, ohne lebendigen, eigenen Antheil, die Uebelthäter nur in die Hände der Polizei und Gerichte liefert: ein theilnahmloses Ueberant¬ worten an die Obrigkeit, "die ja das Heilige aufs Beste ver¬ walten wird". Das Volk ist ganz toll darauf, gegen Alles die Polizei zu hetzen, was ihm unsittlich, oft nur unanständig zu sein scheint, und diese Volkswuth für das Sittliche beschützt mehr das Polizeiinstitut, als die Regierung es nur irgend schützen könnte.
Im Verbrechen hat sich seither der Egoist behauptet und das Heilige verspottet: der Bruch mit dem Heiligen, oder viel¬ mehr des Heiligen kann allgemein werden. Eine Revolution kehrt nicht wieder, aber ein gewaltiges, rücksichtsloses, scham¬ loses, gewissenloses, stolzes -- Verbrechen, grollt es nicht in fernen Donnern, und siehst Du nicht, wie der Himmel ahnungsvoll schweigt und sich trübt?
Wer sich weigert, seine Kräfte für so beengte Gesellschaf¬ ten, wie Familie, Partei, Nation zu verwenden, der sehnt sich immer noch nach einer würdigeren Gesellschaft und meint etwa in der "menschlichen Gesellschaft" oder der "Menschheit" das wahre Liebesobject gefunden zu haben, dem sich zu opfern seine Ehre ausmache: von nun an "lebt und dient er der Menschheit".
Volk heißt der Körper, Staat der Geist jener herr¬ schenden Person, die seither Mich unterdrückt hat. Man hat Völker und Staaten dadurch verklären wollen, daß man sie zur "Menschheit" und "allgemeinen Vernunft" erweiterte; allein die Knechtschaft würde bei dieser Ausweitung nur noch
Hingebung an das Heilige bewirkt denn auch, daß man, ohne lebendigen, eigenen Antheil, die Uebelthäter nur in die Hände der Polizei und Gerichte liefert: ein theilnahmloſes Ueberant¬ worten an die Obrigkeit, „die ja das Heilige aufs Beſte ver¬ walten wird“. Das Volk iſt ganz toll darauf, gegen Alles die Polizei zu hetzen, was ihm unſittlich, oft nur unanſtändig zu ſein ſcheint, und dieſe Volkswuth für das Sittliche beſchützt mehr das Polizeiinſtitut, als die Regierung es nur irgend ſchützen könnte.
Im Verbrechen hat ſich ſeither der Egoiſt behauptet und das Heilige verſpottet: der Bruch mit dem Heiligen, oder viel¬ mehr des Heiligen kann allgemein werden. Eine Revolution kehrt nicht wieder, aber ein gewaltiges, rückſichtsloſes, ſcham¬ loſes, gewiſſenloſes, ſtolzes — Verbrechen, grollt es nicht in fernen Donnern, und ſiehſt Du nicht, wie der Himmel ahnungsvoll ſchweigt und ſich trübt?
Wer ſich weigert, ſeine Kräfte für ſo beengte Geſellſchaf¬ ten, wie Familie, Partei, Nation zu verwenden, der ſehnt ſich immer noch nach einer würdigeren Geſellſchaft und meint etwa in der „menſchlichen Geſellſchaft“ oder der „Menſchheit“ das wahre Liebesobject gefunden zu haben, dem ſich zu opfern ſeine Ehre ausmache: von nun an „lebt und dient er der Menſchheit“.
Volk heißt der Körper, Staat der Geiſt jener herr¬ ſchenden Perſon, die ſeither Mich unterdrückt hat. Man hat Völker und Staaten dadurch verklären wollen, daß man ſie zur „Menſchheit“ und „allgemeinen Vernunft“ erweiterte; allein die Knechtſchaft würde bei dieſer Ausweitung nur noch
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0327"n="319"/>
Hingebung an das Heilige bewirkt denn auch, daß man, ohne<lb/>
lebendigen, eigenen Antheil, die Uebelthäter nur in die Hände<lb/>
der Polizei und Gerichte liefert: ein theilnahmloſes Ueberant¬<lb/>
worten an die Obrigkeit, „die ja das Heilige aufs Beſte ver¬<lb/>
walten wird“. Das Volk iſt ganz toll darauf, gegen Alles<lb/>
die Polizei zu hetzen, was ihm unſittlich, oft nur unanſtändig<lb/>
zu ſein ſcheint, und dieſe Volkswuth für das Sittliche beſchützt<lb/>
mehr das Polizeiinſtitut, als die Regierung es nur irgend<lb/>ſchützen könnte.</p><lb/><p>Im Verbrechen hat ſich ſeither der Egoiſt behauptet und<lb/>
das Heilige verſpottet: der Bruch mit dem Heiligen, oder viel¬<lb/>
mehr des Heiligen kann allgemein werden. Eine Revolution<lb/>
kehrt nicht wieder, aber ein gewaltiges, rückſichtsloſes, ſcham¬<lb/>
loſes, gewiſſenloſes, ſtolzes —<hirendition="#g">Verbrechen</hi>, grollt es nicht<lb/>
in fernen Donnern, und ſiehſt Du nicht, wie der Himmel<lb/>
ahnungsvoll ſchweigt und ſich trübt?</p><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><p>Wer ſich weigert, ſeine Kräfte für ſo beengte Geſellſchaf¬<lb/>
ten, wie Familie, Partei, Nation zu verwenden, der ſehnt ſich<lb/>
immer noch nach einer würdigeren Geſellſchaft und meint etwa<lb/>
in der „menſchlichen Geſellſchaft“ oder der „Menſchheit“ das<lb/>
wahre Liebesobject gefunden zu haben, dem ſich zu opfern<lb/>ſeine Ehre ausmache: von nun an „lebt und dient er der<lb/><hirendition="#g">Menſchheit</hi>“.</p><lb/><p><hirendition="#g">Volk</hi> heißt der Körper, <hirendition="#g">Staat</hi> der Geiſt jener <hirendition="#g">herr¬<lb/>ſchenden Perſon</hi>, die ſeither Mich unterdrückt hat. Man<lb/>
hat Völker und Staaten dadurch verklären wollen, daß man<lb/>ſie zur „Menſchheit“ und „allgemeinen Vernunft“ erweiterte;<lb/>
allein die Knechtſchaft würde bei dieſer Ausweitung nur noch<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[319/0327]
Hingebung an das Heilige bewirkt denn auch, daß man, ohne
lebendigen, eigenen Antheil, die Uebelthäter nur in die Hände
der Polizei und Gerichte liefert: ein theilnahmloſes Ueberant¬
worten an die Obrigkeit, „die ja das Heilige aufs Beſte ver¬
walten wird“. Das Volk iſt ganz toll darauf, gegen Alles
die Polizei zu hetzen, was ihm unſittlich, oft nur unanſtändig
zu ſein ſcheint, und dieſe Volkswuth für das Sittliche beſchützt
mehr das Polizeiinſtitut, als die Regierung es nur irgend
ſchützen könnte.
Im Verbrechen hat ſich ſeither der Egoiſt behauptet und
das Heilige verſpottet: der Bruch mit dem Heiligen, oder viel¬
mehr des Heiligen kann allgemein werden. Eine Revolution
kehrt nicht wieder, aber ein gewaltiges, rückſichtsloſes, ſcham¬
loſes, gewiſſenloſes, ſtolzes — Verbrechen, grollt es nicht
in fernen Donnern, und ſiehſt Du nicht, wie der Himmel
ahnungsvoll ſchweigt und ſich trübt?
Wer ſich weigert, ſeine Kräfte für ſo beengte Geſellſchaf¬
ten, wie Familie, Partei, Nation zu verwenden, der ſehnt ſich
immer noch nach einer würdigeren Geſellſchaft und meint etwa
in der „menſchlichen Geſellſchaft“ oder der „Menſchheit“ das
wahre Liebesobject gefunden zu haben, dem ſich zu opfern
ſeine Ehre ausmache: von nun an „lebt und dient er der
Menſchheit“.
Volk heißt der Körper, Staat der Geiſt jener herr¬
ſchenden Perſon, die ſeither Mich unterdrückt hat. Man
hat Völker und Staaten dadurch verklären wollen, daß man
ſie zur „Menſchheit“ und „allgemeinen Vernunft“ erweiterte;
allein die Knechtſchaft würde bei dieſer Ausweitung nur noch
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 319. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/327>, abgerufen am 26.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.