intensiver werden, und die Philanthropen und Humanen sind so absolute Herrn als die Politiker und Diplomaten.
Neuere Kritiker eifern gegen die Religion, weil sie Gott, das Göttliche, Sittliche u. s. w. außer dem Menschen setze oder zu etwas Objectivem mache, wogegen sie eben diese Sub¬ jecte vielmehr in den Menschen verlegen. Allein in den eigent¬ lichen Fehler der Religion, dem Menschen eine "Bestimmung" zu geben, verfallen jene Kritiker nicht minder, indem auch sie ihn göttlich, menschlich u. dgl. wissen wollen: Sittlichkeit, Freiheit und Humanität u. s. w. sei sein Wesen. Und wie die Religion, so wollte auch die Politik den Menschen "er¬ ziehen", ihn zur Verwirklichung seines "Wesens", seiner "Bestimmung" bringen, etwas aus ihm machen, nämlich einen "wahren Menschen", die eine in der Form des "wahren Gläubigen", die andere in der des "wahren Bürgers oder Unterthanen". In der That kommt es auf Eins hinaus, ob man die Bestimmung das Göttliche oder Menschliche nennt.
Unter Religion und Politik befindet sich der Mensch auf dem Standpunkte des Sollens: er soll dieß und das wer¬ den, soll so und so sein. Mit diesem Postulat, diesem Gebote tritt nicht nur Jeder vor den Andern hin, sondern auch vor sich selbst. Jene Kritiker sagen: Du sollst ein ganzer, ein freier Mensch sein. So stehen auch sie in der Versuchung, eine neue Religion zu proclamiren, ein neues Absolutes, ein Ideal aufzustellen, nämlich die Freiheit. Die Menschen sollen frei werden. Da könnten selbst Missionaire der Freiheit erste¬ hen, wie das Christenthum in der Ueberzeugung, daß Alle eigentlich dazu bestimmt seien, Christen zu werden, Missionaire des Glaubens aussandte. Die Freiheit würde dann, wie bis¬ her der Glaube als Kirche, die Sittlichkeit als Staat, so als
intenſiver werden, und die Philanthropen und Humanen ſind ſo abſolute Herrn als die Politiker und Diplomaten.
Neuere Kritiker eifern gegen die Religion, weil ſie Gott, das Göttliche, Sittliche u. ſ. w. außer dem Menſchen ſetze oder zu etwas Objectivem mache, wogegen ſie eben dieſe Sub¬ jecte vielmehr in den Menſchen verlegen. Allein in den eigent¬ lichen Fehler der Religion, dem Menſchen eine „Beſtimmung“ zu geben, verfallen jene Kritiker nicht minder, indem auch ſie ihn göttlich, menſchlich u. dgl. wiſſen wollen: Sittlichkeit, Freiheit und Humanität u. ſ. w. ſei ſein Weſen. Und wie die Religion, ſo wollte auch die Politik den Menſchen „er¬ ziehen“, ihn zur Verwirklichung ſeines „Weſens“, ſeiner „Beſtimmung“ bringen, etwas aus ihm machen, nämlich einen „wahren Menſchen“, die eine in der Form des „wahren Gläubigen“, die andere in der des „wahren Bürgers oder Unterthanen“. In der That kommt es auf Eins hinaus, ob man die Beſtimmung das Göttliche oder Menſchliche nennt.
Unter Religion und Politik befindet ſich der Menſch auf dem Standpunkte des Sollens: er ſoll dieß und das wer¬ den, ſoll ſo und ſo ſein. Mit dieſem Poſtulat, dieſem Gebote tritt nicht nur Jeder vor den Andern hin, ſondern auch vor ſich ſelbſt. Jene Kritiker ſagen: Du ſollſt ein ganzer, ein freier Menſch ſein. So ſtehen auch ſie in der Verſuchung, eine neue Religion zu proclamiren, ein neues Abſolutes, ein Ideal aufzuſtellen, nämlich die Freiheit. Die Menſchen ſollen frei werden. Da könnten ſelbſt Miſſionaire der Freiheit erſte¬ hen, wie das Chriſtenthum in der Ueberzeugung, daß Alle eigentlich dazu beſtimmt ſeien, Chriſten zu werden, Miſſionaire des Glaubens ausſandte. Die Freiheit würde dann, wie bis¬ her der Glaube als Kirche, die Sittlichkeit als Staat, ſo als
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intenſiver werden, und die Philanthropen und Humanen ſind
ſo abſolute Herrn als die Politiker und Diplomaten.
Neuere Kritiker eifern gegen die Religion, weil ſie Gott,
das Göttliche, Sittliche u. ſ. w. außer dem Menſchen ſetze
oder zu etwas Objectivem mache, wogegen ſie eben dieſe Sub¬
jecte vielmehr in den Menſchen verlegen. Allein in den eigent¬
lichen Fehler der Religion, dem Menſchen eine „Beſtimmung“
zu geben, verfallen jene Kritiker nicht minder, indem auch ſie
ihn göttlich, menſchlich u. dgl. wiſſen wollen: Sittlichkeit,
Freiheit und Humanität u. ſ. w. ſei ſein Weſen. Und wie
die Religion, ſo wollte auch die Politik den Menſchen „er¬
ziehen“, ihn zur Verwirklichung ſeines „Weſens“, ſeiner
„Beſtimmung“ bringen, etwas aus ihm machen, nämlich
einen „wahren Menſchen“, die eine in der Form des „wahren
Gläubigen“, die andere in der des „wahren Bürgers oder
Unterthanen“. In der That kommt es auf Eins hinaus, ob
man die Beſtimmung das Göttliche oder Menſchliche nennt.
Unter Religion und Politik befindet ſich der Menſch auf
dem Standpunkte des Sollens: er ſoll dieß und das wer¬
den, ſoll ſo und ſo ſein. Mit dieſem Poſtulat, dieſem Gebote
tritt nicht nur Jeder vor den Andern hin, ſondern auch vor
ſich ſelbſt. Jene Kritiker ſagen: Du ſollſt ein ganzer, ein freier
Menſch ſein. So ſtehen auch ſie in der Verſuchung, eine
neue Religion zu proclamiren, ein neues Abſolutes, ein Ideal
aufzuſtellen, nämlich die Freiheit. Die Menſchen ſollen frei
werden. Da könnten ſelbſt Miſſionaire der Freiheit erſte¬
hen, wie das Chriſtenthum in der Ueberzeugung, daß Alle
eigentlich dazu beſtimmt ſeien, Chriſten zu werden, Miſſionaire
des Glaubens ausſandte. Die Freiheit würde dann, wie bis¬
her der Glaube als Kirche, die Sittlichkeit als Staat, ſo als
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Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 320. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/328>, abgerufen am 25.11.2024.
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