deß was sollen Wir zu dem Vorwurf seines Meineides sagen? Zunächst doch wieder dieß, daß nicht der Meineid ihn schän¬ dete, seine Filzigkeit, daß er nicht Verachtung verdiente für seinen Meineid, sondern des Meineides sich schuldig machte, weil er ein verächtlicher Mensch war. Franzens Meineid aber für sich betrachtet erheischt eine andere Beurtheilung. Man könnte sagen, Franz habe dem Vertrauen, welches Karl bei der Freigebung auf ihn setzte, nicht entsprochen. Allein hätte Karl wirklich ihm Vertrauen geschenkt, so würde er ihm den Preis genannt haben, dessen er die Freilassung werth achte, dann aber hätte er ihn in Freiheit gesetzt und erwartet, daß Franz die Loskaufungssumme bezahle. Karl hegte kein solches Zutrauen, sondern glaubte nur an die Ohnmacht und Leichtgläubigkeit Franzens, die ihm nicht erlauben werde, gegen seinen Eid zu handeln; Franz aber täuschte nur diese -- leichtgläubige Be¬ rechnung. Als Karl sich durch einen Eid seines Feindes zu versichern glaubte, da gerade befreite er diesen von jeder Ver¬ bindlichkeit. Karl hatte dem Könige eine Dummheit, ein enges Gewissen zugetraut, und rechnete, ohne Vertrauen zu Franz, nur auf Franzens Dummheit, d. h. Gewissenhaftigkeit: er ent¬ ließ ihn nur aus dem Madrider Gefängniß, um ihn desto sicherer in dem Gefängnisse der Gewissenhaftigkeit, dem großen durch die Religion um den Menschengeist gezogenen Kerker, festzuhalten: er schickte ihn, festgeschlossen in unsichtbaren Ketten, nach Frankreich zurück, was Wunder, wenn Franz zu entkom¬ men suchte und die Ketten zersägte. Kein Mensch hätte es ihm verübelt, wenn er aus Madrid heimlich entflohen wäre, denn er war in Feindes Gewalt; jeder gute Christ aber ruft Wehe über ihn, daß er auch aus Gottes Banden sich losmachen wollte. (Der Papst entband ihn erst später seines Eides.)
26
deß was ſollen Wir zu dem Vorwurf ſeines Meineides ſagen? Zunächſt doch wieder dieß, daß nicht der Meineid ihn ſchän¬ dete, ſeine Filzigkeit, daß er nicht Verachtung verdiente für ſeinen Meineid, ſondern des Meineides ſich ſchuldig machte, weil er ein verächtlicher Menſch war. Franzens Meineid aber für ſich betrachtet erheiſcht eine andere Beurtheilung. Man könnte ſagen, Franz habe dem Vertrauen, welches Karl bei der Freigebung auf ihn ſetzte, nicht entſprochen. Allein hätte Karl wirklich ihm Vertrauen geſchenkt, ſo würde er ihm den Preis genannt haben, deſſen er die Freilaſſung werth achte, dann aber hätte er ihn in Freiheit geſetzt und erwartet, daß Franz die Loskaufungsſumme bezahle. Karl hegte kein ſolches Zutrauen, ſondern glaubte nur an die Ohnmacht und Leichtgläubigkeit Franzens, die ihm nicht erlauben werde, gegen ſeinen Eid zu handeln; Franz aber täuſchte nur dieſe — leichtgläubige Be¬ rechnung. Als Karl ſich durch einen Eid ſeines Feindes zu verſichern glaubte, da gerade befreite er dieſen von jeder Ver¬ bindlichkeit. Karl hatte dem Könige eine Dummheit, ein enges Gewiſſen zugetraut, und rechnete, ohne Vertrauen zu Franz, nur auf Franzens Dummheit, d. h. Gewiſſenhaftigkeit: er ent¬ ließ ihn nur aus dem Madrider Gefängniß, um ihn deſto ſicherer in dem Gefängniſſe der Gewiſſenhaftigkeit, dem großen durch die Religion um den Menſchengeiſt gezogenen Kerker, feſtzuhalten: er ſchickte ihn, feſtgeſchloſſen in unſichtbaren Ketten, nach Frankreich zurück, was Wunder, wenn Franz zu entkom¬ men ſuchte und die Ketten zerſägte. Kein Menſch hätte es ihm verübelt, wenn er aus Madrid heimlich entflohen wäre, denn er war in Feindes Gewalt; jeder gute Chriſt aber ruft Wehe über ihn, daß er auch aus Gottes Banden ſich losmachen wollte. (Der Papſt entband ihn erſt ſpäter ſeines Eides.)
26
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0409"n="401"/>
deß was ſollen Wir zu dem Vorwurf ſeines Meineides ſagen?<lb/>
Zunächſt doch wieder dieß, daß nicht der Meineid ihn ſchän¬<lb/>
dete, ſeine Filzigkeit, daß er nicht Verachtung verdiente<lb/>
für ſeinen Meineid, ſondern des Meineides ſich ſchuldig machte,<lb/>
weil er ein verächtlicher Menſch war. Franzens Meineid aber<lb/>
für ſich betrachtet erheiſcht eine andere Beurtheilung. Man<lb/>
könnte ſagen, Franz habe dem Vertrauen, welches Karl bei der<lb/>
Freigebung auf ihn ſetzte, nicht entſprochen. Allein hätte Karl<lb/>
wirklich ihm Vertrauen geſchenkt, ſo würde er ihm den Preis<lb/>
genannt haben, deſſen er die Freilaſſung werth achte, dann aber<lb/>
hätte er ihn in Freiheit geſetzt und erwartet, daß Franz die<lb/>
Loskaufungsſumme bezahle. Karl hegte kein ſolches Zutrauen,<lb/>ſondern glaubte nur an die Ohnmacht und Leichtgläubigkeit<lb/>
Franzens, die ihm nicht erlauben werde, gegen ſeinen Eid zu<lb/>
handeln; Franz aber täuſchte nur dieſe — leichtgläubige Be¬<lb/>
rechnung. Als Karl ſich durch einen Eid ſeines Feindes zu<lb/>
verſichern glaubte, da gerade befreite er dieſen von jeder Ver¬<lb/>
bindlichkeit. Karl hatte dem Könige eine Dummheit, ein enges<lb/>
Gewiſſen zugetraut, und rechnete, ohne Vertrauen zu Franz,<lb/>
nur auf Franzens Dummheit, d. h. Gewiſſenhaftigkeit: er ent¬<lb/>
ließ ihn nur aus dem Madrider Gefängniß, um ihn deſto<lb/>ſicherer in dem Gefängniſſe der Gewiſſenhaftigkeit, dem großen<lb/>
durch die Religion um den Menſchengeiſt gezogenen Kerker,<lb/>
feſtzuhalten: er ſchickte ihn, feſtgeſchloſſen in unſichtbaren Ketten,<lb/>
nach Frankreich zurück, was Wunder, wenn Franz zu entkom¬<lb/>
men ſuchte und die Ketten zerſägte. Kein Menſch hätte es<lb/>
ihm verübelt, wenn er aus Madrid heimlich entflohen wäre, denn<lb/>
er war in Feindes Gewalt; jeder gute Chriſt aber ruft Wehe<lb/>
über ihn, daß er auch aus Gottes Banden ſich losmachen<lb/>
wollte. (Der Papſt entband ihn erſt ſpäter ſeines Eides.)<lb/><fwplace="bottom"type="sig">26<lb/></fw></p></div></div></div></body></text></TEI>
[401/0409]
deß was ſollen Wir zu dem Vorwurf ſeines Meineides ſagen?
Zunächſt doch wieder dieß, daß nicht der Meineid ihn ſchän¬
dete, ſeine Filzigkeit, daß er nicht Verachtung verdiente
für ſeinen Meineid, ſondern des Meineides ſich ſchuldig machte,
weil er ein verächtlicher Menſch war. Franzens Meineid aber
für ſich betrachtet erheiſcht eine andere Beurtheilung. Man
könnte ſagen, Franz habe dem Vertrauen, welches Karl bei der
Freigebung auf ihn ſetzte, nicht entſprochen. Allein hätte Karl
wirklich ihm Vertrauen geſchenkt, ſo würde er ihm den Preis
genannt haben, deſſen er die Freilaſſung werth achte, dann aber
hätte er ihn in Freiheit geſetzt und erwartet, daß Franz die
Loskaufungsſumme bezahle. Karl hegte kein ſolches Zutrauen,
ſondern glaubte nur an die Ohnmacht und Leichtgläubigkeit
Franzens, die ihm nicht erlauben werde, gegen ſeinen Eid zu
handeln; Franz aber täuſchte nur dieſe — leichtgläubige Be¬
rechnung. Als Karl ſich durch einen Eid ſeines Feindes zu
verſichern glaubte, da gerade befreite er dieſen von jeder Ver¬
bindlichkeit. Karl hatte dem Könige eine Dummheit, ein enges
Gewiſſen zugetraut, und rechnete, ohne Vertrauen zu Franz,
nur auf Franzens Dummheit, d. h. Gewiſſenhaftigkeit: er ent¬
ließ ihn nur aus dem Madrider Gefängniß, um ihn deſto
ſicherer in dem Gefängniſſe der Gewiſſenhaftigkeit, dem großen
durch die Religion um den Menſchengeiſt gezogenen Kerker,
feſtzuhalten: er ſchickte ihn, feſtgeſchloſſen in unſichtbaren Ketten,
nach Frankreich zurück, was Wunder, wenn Franz zu entkom¬
men ſuchte und die Ketten zerſägte. Kein Menſch hätte es
ihm verübelt, wenn er aus Madrid heimlich entflohen wäre, denn
er war in Feindes Gewalt; jeder gute Chriſt aber ruft Wehe
über ihn, daß er auch aus Gottes Banden ſich losmachen
wollte. (Der Papſt entband ihn erſt ſpäter ſeines Eides.)
26
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 401. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/409>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.