Feinden denselben Werth habe. Weniger eine richtige Theorie als die Noth der Praxis hatte dort die Studirenden so zu handeln gelehrt, da sie ohne jenes Auskunftsmittel er¬ barmungslos zum Verrath an ihren Genossen getrieben worden wären. Wie aber das Mittel praktisch sich bewährte, so hat es auch seine theoretische Bewährung. Ein Ehrenwort, ein Eid ist nur für den eines, den Ich berechtige, es zu empfan¬ gen; wer Mich dazu zwingt, erhält nur ein erzwungenes, d. h. ein feindliches Wort, das Wort eines Feindes, dem man zu trauen kein Recht hat; denn der Feind giebt Uns das Recht nicht.
Uebrigens erkennen die Gerichte des Staats nicht einmal die Unverbrüchlichkeit eines Eides an. Denn hätte Ich Einem, der in Untersuchung kommt, geschworen, nichts wider ihn aus¬ zusagen, so würde das Gericht trotz dem, daß ein Eid Mich bindet, meine Aussagen fordern und im Weigerungsfalle Mich so lange einsperren, bis Ich Mich entschlösse, -- eidbrüchig zu werden. Das Gericht "entbindet Mich meines Eides"; -- wie großmüthig! Kann Mich irgend eine Macht des Eides entbinden, so bin Ich selber doch wohl die allererste Macht, die darauf Anspruch hat.
Als Curiosität und um an allerlei übliche Eide zu erin¬ nern, möge hier derjenige eine Stelle finden, welchen Kaiser Paul den gefangenen Polen (Kosciuszko, Potocki, Niemce¬ wicz u. s. w.), als er sie freiließ, zu leisten befahl: "Wir schwören nicht bloß dem Kaiser Treue und Gehorsam, sondern versprechen auch noch, unser Blut für seinen Ruhm zu vergie¬ ßen; Wir verpflichten Uns, alles zu entdecken, was Wir jemals für seine Person oder sein Reich Gefahrdrohendes erfahren; wir erklären endlich, daß, in welchem Theile des Erdkreises
Feinden denſelben Werth habe. Weniger eine richtige Theorie als die Noth der Praxis hatte dort die Studirenden ſo zu handeln gelehrt, da ſie ohne jenes Auskunftsmittel er¬ barmungslos zum Verrath an ihren Genoſſen getrieben worden wären. Wie aber das Mittel praktiſch ſich bewährte, ſo hat es auch ſeine theoretiſche Bewährung. Ein Ehrenwort, ein Eid iſt nur für den eines, den Ich berechtige, es zu empfan¬ gen; wer Mich dazu zwingt, erhält nur ein erzwungenes, d. h. ein feindliches Wort, das Wort eines Feindes, dem man zu trauen kein Recht hat; denn der Feind giebt Uns das Recht nicht.
Uebrigens erkennen die Gerichte des Staats nicht einmal die Unverbrüchlichkeit eines Eides an. Denn hätte Ich Einem, der in Unterſuchung kommt, geſchworen, nichts wider ihn aus¬ zuſagen, ſo würde das Gericht trotz dem, daß ein Eid Mich bindet, meine Ausſagen fordern und im Weigerungsfalle Mich ſo lange einſperren, bis Ich Mich entſchlöſſe, — eidbrüchig zu werden. Das Gericht „entbindet Mich meines Eides“; — wie großmüthig! Kann Mich irgend eine Macht des Eides entbinden, ſo bin Ich ſelber doch wohl die allererſte Macht, die darauf Anſpruch hat.
Als Curioſität und um an allerlei übliche Eide zu erin¬ nern, möge hier derjenige eine Stelle finden, welchen Kaiſer Paul den gefangenen Polen (Kosciuszko, Potocki, Niemce¬ wicz u. ſ. w.), als er ſie freiließ, zu leiſten befahl: „Wir ſchwören nicht bloß dem Kaiſer Treue und Gehorſam, ſondern verſprechen auch noch, unſer Blut für ſeinen Ruhm zu vergie¬ ßen; Wir verpflichten Uns, alles zu entdecken, was Wir jemals für ſeine Perſon oder ſein Reich Gefahrdrohendes erfahren; wir erklären endlich, daß, in welchem Theile des Erdkreiſes
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Feinden denſelben Werth habe. Weniger eine richtige Theorie
als die Noth der Praxis hatte dort die Studirenden ſo
zu handeln gelehrt, da ſie ohne jenes Auskunftsmittel er¬
barmungslos zum Verrath an ihren Genoſſen getrieben worden
wären. Wie aber das Mittel praktiſch ſich bewährte, ſo hat
es auch ſeine theoretiſche Bewährung. Ein Ehrenwort, ein
Eid iſt nur für den eines, den Ich berechtige, es zu empfan¬
gen; wer Mich dazu zwingt, erhält nur ein erzwungenes, d. h.
ein feindliches Wort, das Wort eines Feindes, dem man
zu trauen kein Recht hat; denn der Feind giebt Uns das
Recht nicht.
Uebrigens erkennen die Gerichte des Staats nicht einmal
die Unverbrüchlichkeit eines Eides an. Denn hätte Ich Einem,
der in Unterſuchung kommt, geſchworen, nichts wider ihn aus¬
zuſagen, ſo würde das Gericht trotz dem, daß ein Eid Mich
bindet, meine Ausſagen fordern und im Weigerungsfalle Mich
ſo lange einſperren, bis Ich Mich entſchlöſſe, — eidbrüchig
zu werden. Das Gericht „entbindet Mich meines Eides“; —
wie großmüthig! Kann Mich irgend eine Macht des Eides
entbinden, ſo bin Ich ſelber doch wohl die allererſte Macht,
die darauf Anſpruch hat.
Als Curioſität und um an allerlei übliche Eide zu erin¬
nern, möge hier derjenige eine Stelle finden, welchen Kaiſer
Paul den gefangenen Polen (Kosciuszko, Potocki, Niemce¬
wicz u. ſ. w.), als er ſie freiließ, zu leiſten befahl: „Wir
ſchwören nicht bloß dem Kaiſer Treue und Gehorſam, ſondern
verſprechen auch noch, unſer Blut für ſeinen Ruhm zu vergie¬
ßen; Wir verpflichten Uns, alles zu entdecken, was Wir jemals
für ſeine Perſon oder ſein Reich Gefahrdrohendes erfahren;
wir erklären endlich, daß, in welchem Theile des Erdkreiſes
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Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 405. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/413>, abgerufen am 25.11.2024.
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