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Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845.

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Ueberhaupt ereifert sich Niemand über sein Eigenthum,
sondern über fremdes. Man greift in Wahrheit nicht das
Eigenthum an, sondern die Entfremdung des Eigenthums.
Man will mehr, nicht weniger, sein nennen können, man
will alles sein nennen. Man kämpft also gegen die Fremd¬
heit
, oder, um ein dem Eigenthum ähnliches Wort zu bilden,
gegen das Fremdenthum. Und wie hilft man sich dabei?
Statt das Fremde in Eigenes zu verwandeln, spielt man den
Unparteiischen und verlangt nur, daß alles Eigenthum einem
Dritten (z. B. der menschlichen Gesellschaft) überlassen werde.
Man reclamirt das Fremde nicht im eigenen Namen, sondern
in dem eines Dritten. Nun ist der "egoistische" Anstrich weg¬
gewischt und alles so rein und -- menschlich!

Eigenthumslosigkeit oder Lumperei, das ist also das "We¬
sen des Christenthums", wie es das Wesen aller Religiosität
(d. h. Frömmigkeit, Sittlichkeit, Menschlichkeit) ist, und nur in
der "absoluten Religion" am klarsten sich verkündete und als
frohe Botschaft zum entwickelungsfähigen Evangelium wurde.
Die sprechendste Entwicklung haben Wir im gegenwärtigen
Kampfe wider das Eigenthum vor Uns, einem Kampfe, der
"den Menschen" zum Siege führen und die Eigenthumslosig¬
keit vollständig machen soll: die siegende Humanität ist der Sieg
des -- Christenthums. Das so "entdeckte Christenthum" aber
ist die vollendete Feudalität, das allumfassende Lehnswesen,
d. h. die -- vollkommene Lumperei.

Also wohl noch einmal eine "Revolution" gegen das Feu¬
dalwesen? --

Revolution und Empörung dürfen nicht für gleichbedeu¬
tend angesehen werden. Jene besteht in einer Umwälzung der
Zustände, des bestehenden Zustandes oder status, des Staats

Ueberhaupt ereifert ſich Niemand über ſein Eigenthum,
ſondern über fremdes. Man greift in Wahrheit nicht das
Eigenthum an, ſondern die Entfremdung des Eigenthums.
Man will mehr, nicht weniger, ſein nennen können, man
will alles ſein nennen. Man kämpft alſo gegen die Fremd¬
heit
, oder, um ein dem Eigenthum ähnliches Wort zu bilden,
gegen das Fremdenthum. Und wie hilft man ſich dabei?
Statt das Fremde in Eigenes zu verwandeln, ſpielt man den
Unparteiiſchen und verlangt nur, daß alles Eigenthum einem
Dritten (z. B. der menſchlichen Geſellſchaft) überlaſſen werde.
Man reclamirt das Fremde nicht im eigenen Namen, ſondern
in dem eines Dritten. Nun iſt der „egoiſtiſche“ Anſtrich weg¬
gewiſcht und alles ſo rein und — menſchlich!

Eigenthumsloſigkeit oder Lumperei, das iſt alſo das „We¬
ſen des Chriſtenthums“, wie es das Weſen aller Religioſität
(d. h. Frömmigkeit, Sittlichkeit, Menſchlichkeit) iſt, und nur in
der „abſoluten Religion“ am klarſten ſich verkündete und als
frohe Botſchaft zum entwickelungsfähigen Evangelium wurde.
Die ſprechendſte Entwicklung haben Wir im gegenwärtigen
Kampfe wider das Eigenthum vor Uns, einem Kampfe, der
„den Menſchen“ zum Siege führen und die Eigenthumsloſig¬
keit vollſtändig machen ſoll: die ſiegende Humanität iſt der Sieg
des — Chriſtenthums. Das ſo „entdeckte Chriſtenthum“ aber
iſt die vollendete Feudalität, das allumfaſſende Lehnsweſen,
d. h. die — vollkommene Lumperei.

Alſo wohl noch einmal eine „Revolution“ gegen das Feu¬
dalweſen? —

Revolution und Empörung dürfen nicht für gleichbedeu¬
tend angeſehen werden. Jene beſteht in einer Umwälzung der
Zuſtände, des beſtehenden Zuſtandes oder status, des Staats

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[421/0429] Ueberhaupt ereifert ſich Niemand über ſein Eigenthum, ſondern über fremdes. Man greift in Wahrheit nicht das Eigenthum an, ſondern die Entfremdung des Eigenthums. Man will mehr, nicht weniger, ſein nennen können, man will alles ſein nennen. Man kämpft alſo gegen die Fremd¬ heit, oder, um ein dem Eigenthum ähnliches Wort zu bilden, gegen das Fremdenthum. Und wie hilft man ſich dabei? Statt das Fremde in Eigenes zu verwandeln, ſpielt man den Unparteiiſchen und verlangt nur, daß alles Eigenthum einem Dritten (z. B. der menſchlichen Geſellſchaft) überlaſſen werde. Man reclamirt das Fremde nicht im eigenen Namen, ſondern in dem eines Dritten. Nun iſt der „egoiſtiſche“ Anſtrich weg¬ gewiſcht und alles ſo rein und — menſchlich! Eigenthumsloſigkeit oder Lumperei, das iſt alſo das „We¬ ſen des Chriſtenthums“, wie es das Weſen aller Religioſität (d. h. Frömmigkeit, Sittlichkeit, Menſchlichkeit) iſt, und nur in der „abſoluten Religion“ am klarſten ſich verkündete und als frohe Botſchaft zum entwickelungsfähigen Evangelium wurde. Die ſprechendſte Entwicklung haben Wir im gegenwärtigen Kampfe wider das Eigenthum vor Uns, einem Kampfe, der „den Menſchen“ zum Siege führen und die Eigenthumsloſig¬ keit vollſtändig machen ſoll: die ſiegende Humanität iſt der Sieg des — Chriſtenthums. Das ſo „entdeckte Chriſtenthum“ aber iſt die vollendete Feudalität, das allumfaſſende Lehnsweſen, d. h. die — vollkommene Lumperei. Alſo wohl noch einmal eine „Revolution“ gegen das Feu¬ dalweſen? — Revolution und Empörung dürfen nicht für gleichbedeu¬ tend angeſehen werden. Jene beſteht in einer Umwälzung der Zuſtände, des beſtehenden Zuſtandes oder status, des Staats

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Zitationshilfe: Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 421. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/429>, abgerufen am 26.11.2024.