und eine ideale, die dann die "wahrhaft reale" wäre, soll aus ihr entstehen, eine heilige, von Gott gesegnete, oder, nach liberaler Denkweise, eine "vernünftige". Bei den Alten ist Familie, Staat, Vaterland u. s. w. als ein Vorhandenes göttlich: bei den Neuen erwartet es erst die Göttlichkeit, ist als vorhandenes nur sündhaft, irdisch, und muß erst "erlöst", d.h. wahrhaft real werden. Das hat folgenden Sinn: Nicht die Familie u. s. w. ist das Vorhandene und Reale, sondern das Göttliche, die Idee, ist vorhanden und wirklich; ob diese Familie durch Aufnahme des wahrhaft Wirklichen, der Idee, sich wirklich machen werde, steht noch dahin. Es ist nicht Aufgabe des Einzelnen, der Familie als dem Göttlichen zu dienen, sondern umgekehrt, dem Göttlichen zu dienen und die noch ungöttliche Familie ihm zuzuführen, d. h. im Namen der Idee alles zu unterwerfen, das Panier der Idee überall aufzu¬ pflanzen, die Idee zu realer Wirksamkeit zu bringen.
Da es aber dem Christenthum wie dem Alterthum um's Göttliche zu thun ist, so kommen sie auf entgegengesetzten Wegen stets wieder darauf hinaus. Am Ende des Heiden¬ thums wird das Göttliche zum Außerweltlichen, am Ende des Christenthums zum Innerweltlichen. Es ganz außer¬ halb der Welt zu setzen, gelingt dem Alterthum nicht, und als das Christenthum diese Aufgabe vollbringt, da sehnt sich augen¬ blicklich das Göttliche in die Welt zurück und will die Welt "erlösen". Aber innerhalb des Christenthums kommt und kann es nicht dazu kommen, daß das Göttliche als Innerweltliches wirklich das Weltliche selbst würde: es bleibt genug übrig, was als das "Schlechte", Unvernünftige, Zufällige, "Egoisti¬ sche", als das im schlechten Sinne "Weltliche" undurchdrun¬ gen sich erhält und erhallen muß. Das Christenthum beginnt
und eine ideale, die dann die „wahrhaft reale“ wäre, ſoll aus ihr entſtehen, eine heilige, von Gott geſegnete, oder, nach liberaler Denkweiſe, eine „vernünftige“. Bei den Alten iſt Familie, Staat, Vaterland u. ſ. w. als ein Vorhandenes göttlich: bei den Neuen erwartet es erſt die Göttlichkeit, iſt als vorhandenes nur ſündhaft, irdiſch, und muß erſt „erlöſt“, d.h. wahrhaft real werden. Das hat folgenden Sinn: Nicht die Familie u. ſ. w. iſt das Vorhandene und Reale, ſondern das Göttliche, die Idee, iſt vorhanden und wirklich; ob dieſe Familie durch Aufnahme des wahrhaft Wirklichen, der Idee, ſich wirklich machen werde, ſteht noch dahin. Es iſt nicht Aufgabe des Einzelnen, der Familie als dem Göttlichen zu dienen, ſondern umgekehrt, dem Göttlichen zu dienen und die noch ungöttliche Familie ihm zuzuführen, d. h. im Namen der Idee alles zu unterwerfen, das Panier der Idee überall aufzu¬ pflanzen, die Idee zu realer Wirkſamkeit zu bringen.
Da es aber dem Chriſtenthum wie dem Alterthum um’s Göttliche zu thun iſt, ſo kommen ſie auf entgegengeſetzten Wegen ſtets wieder darauf hinaus. Am Ende des Heiden¬ thums wird das Göttliche zum Außerweltlichen, am Ende des Chriſtenthums zum Innerweltlichen. Es ganz außer¬ halb der Welt zu ſetzen, gelingt dem Alterthum nicht, und als das Chriſtenthum dieſe Aufgabe vollbringt, da ſehnt ſich augen¬ blicklich das Göttliche in die Welt zurück und will die Welt „erlöſen“. Aber innerhalb des Chriſtenthums kommt und kann es nicht dazu kommen, daß das Göttliche als Innerweltliches wirklich das Weltliche ſelbſt würde: es bleibt genug übrig, was als das „Schlechte“, Unvernünftige, Zufällige, „Egoiſti¬ ſche“, als das im ſchlechten Sinne „Weltliche“ undurchdrun¬ gen ſich erhält und erhallen muß. Das Chriſtenthum beginnt
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0496"n="488"/>
und eine <hirendition="#g">ideale</hi>, die dann die „wahrhaft reale“ wäre, ſoll<lb/>
aus ihr entſtehen, eine heilige, von Gott geſegnete, oder, nach<lb/>
liberaler Denkweiſe, eine „vernünftige“. Bei den Alten iſt<lb/>
Familie, Staat, Vaterland u. ſ. w. als ein <hirendition="#g">Vorhandenes</hi><lb/>
göttlich: bei den Neuen erwartet es erſt die Göttlichkeit, iſt<lb/>
als vorhandenes nur ſündhaft, irdiſch, und muß erſt „erlöſt“,<lb/>
d.h. wahrhaft real werden. Das hat folgenden Sinn: Nicht<lb/>
die Familie u. ſ. w. iſt das Vorhandene und Reale, ſondern<lb/>
das Göttliche, die Idee, iſt vorhanden und wirklich; ob <hirendition="#g">dieſe</hi><lb/>
Familie durch Aufnahme des wahrhaft Wirklichen, der Idee,<lb/>ſich wirklich machen werde, ſteht noch dahin. Es iſt nicht<lb/>
Aufgabe des Einzelnen, der Familie als dem Göttlichen zu<lb/>
dienen, ſondern umgekehrt, dem Göttlichen zu dienen und die<lb/>
noch ungöttliche Familie ihm zuzuführen, d. h. im Namen der<lb/>
Idee alles zu unterwerfen, das Panier der Idee überall aufzu¬<lb/>
pflanzen, die Idee zu realer Wirkſamkeit zu bringen.</p><lb/><p>Da es aber dem Chriſtenthum wie dem Alterthum um’s<lb/><hirendition="#g">Göttliche</hi> zu thun iſt, ſo kommen ſie auf entgegengeſetzten<lb/>
Wegen ſtets wieder darauf hinaus. Am Ende des Heiden¬<lb/>
thums wird das Göttliche zum <hirendition="#g">Außerweltlichen</hi>, am Ende<lb/>
des Chriſtenthums zum <hirendition="#g">Innerweltlichen</hi>. Es ganz außer¬<lb/>
halb der Welt zu ſetzen, gelingt dem Alterthum nicht, und als<lb/>
das Chriſtenthum dieſe Aufgabe vollbringt, da ſehnt ſich augen¬<lb/>
blicklich das Göttliche in die Welt zurück und will die Welt<lb/>„erlöſen“. Aber innerhalb des Chriſtenthums kommt und kann<lb/>
es nicht dazu kommen, daß das Göttliche als <hirendition="#g">Innerweltliches</hi><lb/>
wirklich das <hirendition="#g">Weltliche ſelbſt</hi> würde: es bleibt genug übrig,<lb/>
was als das „Schlechte“, Unvernünftige, Zufällige, „Egoiſti¬<lb/>ſche“, als das im ſchlechten Sinne „Weltliche“ undurchdrun¬<lb/>
gen ſich erhält und erhallen muß. Das Chriſtenthum beginnt<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[488/0496]
und eine ideale, die dann die „wahrhaft reale“ wäre, ſoll
aus ihr entſtehen, eine heilige, von Gott geſegnete, oder, nach
liberaler Denkweiſe, eine „vernünftige“. Bei den Alten iſt
Familie, Staat, Vaterland u. ſ. w. als ein Vorhandenes
göttlich: bei den Neuen erwartet es erſt die Göttlichkeit, iſt
als vorhandenes nur ſündhaft, irdiſch, und muß erſt „erlöſt“,
d.h. wahrhaft real werden. Das hat folgenden Sinn: Nicht
die Familie u. ſ. w. iſt das Vorhandene und Reale, ſondern
das Göttliche, die Idee, iſt vorhanden und wirklich; ob dieſe
Familie durch Aufnahme des wahrhaft Wirklichen, der Idee,
ſich wirklich machen werde, ſteht noch dahin. Es iſt nicht
Aufgabe des Einzelnen, der Familie als dem Göttlichen zu
dienen, ſondern umgekehrt, dem Göttlichen zu dienen und die
noch ungöttliche Familie ihm zuzuführen, d. h. im Namen der
Idee alles zu unterwerfen, das Panier der Idee überall aufzu¬
pflanzen, die Idee zu realer Wirkſamkeit zu bringen.
Da es aber dem Chriſtenthum wie dem Alterthum um’s
Göttliche zu thun iſt, ſo kommen ſie auf entgegengeſetzten
Wegen ſtets wieder darauf hinaus. Am Ende des Heiden¬
thums wird das Göttliche zum Außerweltlichen, am Ende
des Chriſtenthums zum Innerweltlichen. Es ganz außer¬
halb der Welt zu ſetzen, gelingt dem Alterthum nicht, und als
das Chriſtenthum dieſe Aufgabe vollbringt, da ſehnt ſich augen¬
blicklich das Göttliche in die Welt zurück und will die Welt
„erlöſen“. Aber innerhalb des Chriſtenthums kommt und kann
es nicht dazu kommen, daß das Göttliche als Innerweltliches
wirklich das Weltliche ſelbſt würde: es bleibt genug übrig,
was als das „Schlechte“, Unvernünftige, Zufällige, „Egoiſti¬
ſche“, als das im ſchlechten Sinne „Weltliche“ undurchdrun¬
gen ſich erhält und erhallen muß. Das Chriſtenthum beginnt
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 488. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/496>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.