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Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845.

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gen einwenden? -- "Aber es war eine widergesetzliche Hin¬
richtung." Also das Unsittliche daran war die Ungesetzlichkeit,
der Ungehorsam gegen das Gesetz? So räumt Ihr ein, daß
das Gute nichts anders ist, als das -- Gesetz, die Sittlich¬
keit
nichts anders als Loyalität. Es muß auch bis zu
dieser Aeußerlichkeit der "Loyalität" Eure Sittlichkeit herunter¬
sinken, bis zu dieser Werkheiligkeit der Gesetzerfüllung, nur daß
die letztere zugleich tyrannischer und empörender ist, als die
einstige Werkheiligkeit. Denn bei dieser bedurfte es nur der
That, Ihr aber braucht auch die Gesinnung: man soll
das Gesetz, die Satzung in sich tragen, und wer am gesetz¬
lichsten gesinnt ist, der ist der Sittlichste. Auch die letzte Hei¬
terkeit des katholischen Lebens muß in dieser protestantischen
Gesetzlichkeit zu Grunde gehen. Hier endlich erst vollendet sich
die Gesetzesherrschaft. Nicht "Ich lebe, sondern das Gesetz
lebt in Mir". So bin Ich denn wirklich so weit gekommen,
nur das "Gefäß seiner (des Gesetzes) Herrlichkeit" zu sein.
"Jeder Preuße trägt seinen Gensd'armen in der Brust" --
sagt ein hoher preußischer Officier.

Warum wollen gewisse Oppositionen nicht gedeihen?
Lediglich aus dem Grunde, weil sie die Bahn der Sittlichkeit
oder Gesetzlichkeit nicht verlassen wollen. Daher die maaßlose
Heuchelei von Ergebenheit, Liebe u. s. w., an deren Wider¬
wärtigkeit man sich täglich den gründlichsten Ekel vor diesem
verdorbenen und heuchlerischen Verhältniß einer "gesetzlichen
Opposition" holen kann. -- In dem sittlichen Verhältniß
der Liebe und Treue kann ein zwiespältiger, ein entgegengesetzter
Wille nicht stattfinden; das schöne Verhältniß ist gestört, wenn
der Eine dieß und der Andere das Umgekehrte will. Nun soll
aber nach der bisherigen Praxis und dem alten Vorurtheil der

gen einwenden? — „Aber es war eine widergeſetzliche Hin¬
richtung.“ Alſo das Unſittliche daran war die Ungeſetzlichkeit,
der Ungehorſam gegen das Geſetz? So räumt Ihr ein, daß
das Gute nichts anders iſt, als das — Geſetz, die Sittlich¬
keit
nichts anders als Loyalität. Es muß auch bis zu
dieſer Aeußerlichkeit der „Loyalität“ Eure Sittlichkeit herunter¬
ſinken, bis zu dieſer Werkheiligkeit der Geſetzerfüllung, nur daß
die letztere zugleich tyranniſcher und empörender iſt, als die
einſtige Werkheiligkeit. Denn bei dieſer bedurfte es nur der
That, Ihr aber braucht auch die Geſinnung: man ſoll
das Geſetz, die Satzung in ſich tragen, und wer am geſetz¬
lichſten geſinnt iſt, der iſt der Sittlichſte. Auch die letzte Hei¬
terkeit des katholiſchen Lebens muß in dieſer proteſtantiſchen
Geſetzlichkeit zu Grunde gehen. Hier endlich erſt vollendet ſich
die Geſetzesherrſchaft. Nicht „Ich lebe, ſondern das Geſetz
lebt in Mir“. So bin Ich denn wirklich ſo weit gekommen,
nur das „Gefäß ſeiner (des Geſetzes) Herrlichkeit“ zu ſein.
„Jeder Preuße trägt ſeinen Gensd'armen in der Bruſt“ —
ſagt ein hoher preußiſcher Officier.

Warum wollen gewiſſe Oppoſitionen nicht gedeihen?
Lediglich aus dem Grunde, weil ſie die Bahn der Sittlichkeit
oder Geſetzlichkeit nicht verlaſſen wollen. Daher die maaßloſe
Heuchelei von Ergebenheit, Liebe u. ſ. w., an deren Wider¬
wärtigkeit man ſich täglich den gründlichſten Ekel vor dieſem
verdorbenen und heuchleriſchen Verhältniß einer „geſetzlichen
Oppoſition“ holen kann. — In dem ſittlichen Verhältniß
der Liebe und Treue kann ein zwieſpältiger, ein entgegengeſetzter
Wille nicht ſtattfinden; das ſchöne Verhältniß iſt geſtört, wenn
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[68/0076] gen einwenden? — „Aber es war eine widergeſetzliche Hin¬ richtung.“ Alſo das Unſittliche daran war die Ungeſetzlichkeit, der Ungehorſam gegen das Geſetz? So räumt Ihr ein, daß das Gute nichts anders iſt, als das — Geſetz, die Sittlich¬ keit nichts anders als Loyalität. Es muß auch bis zu dieſer Aeußerlichkeit der „Loyalität“ Eure Sittlichkeit herunter¬ ſinken, bis zu dieſer Werkheiligkeit der Geſetzerfüllung, nur daß die letztere zugleich tyranniſcher und empörender iſt, als die einſtige Werkheiligkeit. Denn bei dieſer bedurfte es nur der That, Ihr aber braucht auch die Geſinnung: man ſoll das Geſetz, die Satzung in ſich tragen, und wer am geſetz¬ lichſten geſinnt iſt, der iſt der Sittlichſte. Auch die letzte Hei¬ terkeit des katholiſchen Lebens muß in dieſer proteſtantiſchen Geſetzlichkeit zu Grunde gehen. Hier endlich erſt vollendet ſich die Geſetzesherrſchaft. Nicht „Ich lebe, ſondern das Geſetz lebt in Mir“. So bin Ich denn wirklich ſo weit gekommen, nur das „Gefäß ſeiner (des Geſetzes) Herrlichkeit“ zu ſein. „Jeder Preuße trägt ſeinen Gensd'armen in der Bruſt“ — ſagt ein hoher preußiſcher Officier. Warum wollen gewiſſe Oppoſitionen nicht gedeihen? Lediglich aus dem Grunde, weil ſie die Bahn der Sittlichkeit oder Geſetzlichkeit nicht verlaſſen wollen. Daher die maaßloſe Heuchelei von Ergebenheit, Liebe u. ſ. w., an deren Wider¬ wärtigkeit man ſich täglich den gründlichſten Ekel vor dieſem verdorbenen und heuchleriſchen Verhältniß einer „geſetzlichen Oppoſition“ holen kann. — In dem ſittlichen Verhältniß der Liebe und Treue kann ein zwieſpältiger, ein entgegengeſetzter Wille nicht ſtattfinden; das ſchöne Verhältniß iſt geſtört, wenn der Eine dieß und der Andere das Umgekehrte will. Nun ſoll aber nach der bisherigen Praxis und dem alten Vorurtheil der

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Zitationshilfe: Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 68. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/76>, abgerufen am 26.11.2024.