durch den Hang zur Völlerey verführt, oder durch den äußersten Mangel gedrückt wird, ist selten zu Ausschweifungen dieser Art geneigt. Hiezu kommt eine gewisse Ehrfurcht gegen die höhern Stände, die dem Volk durch das Ge- fühl der Leibeigenschaft und durch die Art sei- ner Erziehung (wenn man dies überall Erzie- hung nennen darf) eigenthümlich wird, und die -- sollte man es glauben! -- auch bey einem nächtlichen Tete a Tete auf offner Straße ihre Wirkungen äußert. Die Erfahrung hie- von ist so allgemein, daß man eine Offizier- schleife am Hut als ein sicheres Mittel ge- braucht, sich zu solchen Zeiten gegen Angriffe zu schützen, in welchen das Volk sich zur Völ- lerey privilegirt glaubt, und folglich zu Aus- schweifungen vorzüglich geneigt ist. Ein gebie- tendes Wort, im Ton des Herrn gesprochen, wirkt oft mehr als die beherzteste Gegenwehr. Um diese Mittel mit Nachdruck gebrauchen zu können, muß man freylich die Landessprache mit einiger Fertigkeit sprechen; wer aber die- sen Vortheil besitzt, und mit den Sitten und dem Karakter der Nation vertraut ist, kann zuweilen durch eine künstliche Wendung die na-
durch den Hang zur Voͤllerey verfuͤhrt, oder durch den aͤußerſten Mangel gedruͤckt wird, iſt ſelten zu Ausſchweifungen dieſer Art geneigt. Hiezu kommt eine gewiſſe Ehrfurcht gegen die hoͤhern Staͤnde, die dem Volk durch das Ge- fuͤhl der Leibeigenſchaft und durch die Art ſei- ner Erziehung (wenn man dies uͤberall Erzie- hung nennen darf) eigenthuͤmlich wird, und die — ſollte man es glauben! — auch bey einem naͤchtlichen Tete a Tete auf offner Straße ihre Wirkungen aͤußert. Die Erfahrung hie- von iſt ſo allgemein, daß man eine Offizier- ſchleife am Hut als ein ſicheres Mittel ge- braucht, ſich zu ſolchen Zeiten gegen Angriffe zu ſchuͤtzen, in welchen das Volk ſich zur Voͤl- lerey privilegirt glaubt, und folglich zu Aus- ſchweifungen vorzuͤglich geneigt iſt. Ein gebie- tendes Wort, im Ton des Herrn geſprochen, wirkt oft mehr als die beherzteſte Gegenwehr. Um dieſe Mittel mit Nachdruck gebrauchen zu koͤnnen, muß man freylich die Landesſprache mit einiger Fertigkeit ſprechen; wer aber die- ſen Vortheil beſitzt, und mit den Sitten und dem Karakter der Nation vertraut iſt, kann zuweilen durch eine kuͤnſtliche Wendung die na-
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durch den Hang zur Voͤllerey verfuͤhrt, oder
durch den aͤußerſten Mangel gedruͤckt wird, iſt
ſelten zu Ausſchweifungen dieſer Art geneigt.
Hiezu kommt eine gewiſſe Ehrfurcht gegen die
hoͤhern Staͤnde, die dem Volk durch das Ge-
fuͤhl der Leibeigenſchaft und durch die Art ſei-
ner Erziehung (wenn man dies uͤberall Erzie-
hung nennen darf) eigenthuͤmlich wird, und
die — ſollte man es glauben! — auch bey
einem naͤchtlichen Tete a Tete auf offner Straße
ihre Wirkungen aͤußert. Die Erfahrung hie-
von iſt ſo allgemein, daß man eine Offizier-
ſchleife am Hut als ein ſicheres Mittel ge-
braucht, ſich zu ſolchen Zeiten gegen Angriffe
zu ſchuͤtzen, in welchen das Volk ſich zur Voͤl-
lerey privilegirt glaubt, und folglich zu Aus-
ſchweifungen vorzuͤglich geneigt iſt. Ein gebie-
tendes Wort, im Ton des Herrn geſprochen,
wirkt oft mehr als die beherzteſte Gegenwehr.
Um dieſe Mittel mit Nachdruck gebrauchen zu
koͤnnen, muß man freylich die Landesſprache
mit einiger Fertigkeit ſprechen; wer aber die-
ſen Vortheil beſitzt, und mit den Sitten und
dem Karakter der Nation vertraut iſt, kann
zuweilen durch eine kuͤnſtliche Wendung die na-
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Storch, Heinrich Friedrich von: Gemählde von St. Petersburg. Bd. 1. Riga, 1794, S. 168. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storch_petersburg01_1794/202>, abgerufen am 24.11.2024.
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