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Storch, Heinrich Friedrich von: Gemählde von St. Petersburg. Bd. 1. Riga, 1794.

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russischen Reiche, kein Lotto geduldet wird, ist
bekannt.

Nach dieser Schilderung wird man leicht
erwarten, daß die Zahl der Unfugmacher
und Störer der öffentlichen Ruhe nicht
sehr groß seyn kann. Zank und Schlägereyen
auf der Straße oder in den Schenken sieht
man selten. Der Angreifende ruft dem nächst-
stehenden Wachtkerl, und im Augenblick sind
Kläger und Beklagter verhaftet und werden in
die nächste Sjesha (Polizeywachthaus) geführt,
wo die Ursache ihres Streits untersucht und
bestraft wird. -- Für Händel von einiger
Bedeutung besteht ein eigenes Tribunal unter
der Benennung des mündlichen Gerichts,
welches wegen seiner Individualität eine kleine
Schilderung verdient.

In jedem Stadttheil sind ein oder meh-
rere Richter des mündlichen Gerichts verord-
net, die aus der Bürgerschaft erwählt und
denen einige Geschworne zugegeben werden.
Dieses Gericht versammelt sich täglich Vormit-
tags, und schlichtet alle ihm vorgetragene
Streitigkeiten mündlich, wobey jedoch ein Ta-
gebuch über die Klagen und Entscheidungen

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ruſſiſchen Reiche, kein Lotto geduldet wird, iſt
bekannt.

Nach dieſer Schilderung wird man leicht
erwarten, daß die Zahl der Unfugmacher
und Stoͤrer der oͤffentlichen Ruhe nicht
ſehr groß ſeyn kann. Zank und Schlaͤgereyen
auf der Straße oder in den Schenken ſieht
man ſelten. Der Angreifende ruft dem naͤchſt-
ſtehenden Wachtkerl, und im Augenblick ſind
Klaͤger und Beklagter verhaftet und werden in
die naͤchſte Sjeſha (Polizeywachthaus) gefuͤhrt,
wo die Urſache ihres Streits unterſucht und
beſtraft wird. — Fuͤr Haͤndel von einiger
Bedeutung beſteht ein eigenes Tribunal unter
der Benennung des muͤndlichen Gerichts,
welches wegen ſeiner Individualitaͤt eine kleine
Schilderung verdient.

In jedem Stadttheil ſind ein oder meh-
rere Richter des muͤndlichen Gerichts verord-
net, die aus der Buͤrgerſchaft erwaͤhlt und
denen einige Geſchworne zugegeben werden.
Dieſes Gericht verſammelt ſich taͤglich Vormit-
tags, und ſchlichtet alle ihm vorgetragene
Streitigkeiten muͤndlich, wobey jedoch ein Ta-
gebuch uͤber die Klagen und Entſcheidungen

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[185/0219] ruſſiſchen Reiche, kein Lotto geduldet wird, iſt bekannt. Nach dieſer Schilderung wird man leicht erwarten, daß die Zahl der Unfugmacher und Stoͤrer der oͤffentlichen Ruhe nicht ſehr groß ſeyn kann. Zank und Schlaͤgereyen auf der Straße oder in den Schenken ſieht man ſelten. Der Angreifende ruft dem naͤchſt- ſtehenden Wachtkerl, und im Augenblick ſind Klaͤger und Beklagter verhaftet und werden in die naͤchſte Sjeſha (Polizeywachthaus) gefuͤhrt, wo die Urſache ihres Streits unterſucht und beſtraft wird. — Fuͤr Haͤndel von einiger Bedeutung beſteht ein eigenes Tribunal unter der Benennung des muͤndlichen Gerichts, welches wegen ſeiner Individualitaͤt eine kleine Schilderung verdient. In jedem Stadttheil ſind ein oder meh- rere Richter des muͤndlichen Gerichts verord- net, die aus der Buͤrgerſchaft erwaͤhlt und denen einige Geſchworne zugegeben werden. Dieſes Gericht verſammelt ſich taͤglich Vormit- tags, und ſchlichtet alle ihm vorgetragene Streitigkeiten muͤndlich, wobey jedoch ein Ta- gebuch uͤber die Klagen und Entſcheidungen M 5

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Zitationshilfe: Storch, Heinrich Friedrich von: Gemählde von St. Petersburg. Bd. 1. Riga, 1794, S. 185. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storch_petersburg01_1794/219>, abgerufen am 21.11.2024.