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Storch, Heinrich Friedrich von: Gemählde von St. Petersburg. Bd. 1. Riga, 1794.

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leugnen, daß die zum Theil schlecht, zum Theil
gar nicht bebauten Plätze, selbst in den bessern
Gegenden der Stadt, oft einen widrigen Anblick
erregen; ein Umstand, dem, wegen der unge-
heuren Ausdehnung der Residenz, selbst durch
die Bauwuth des hiesigen Publikums, nicht leicht
abgeholfen werden kann.

Zur Physiognomie einer Stadt gehört das
Leben, die Thätigkeit, das Gewühl das in ihren
Gassen herrscht. St. Petersburg gehört in die-
ser Rücksicht unter die großen Städte von der
zweyten Klasse. Die Hauptstraßen ausgenom-
men, in denen es zum Theil von Wagen und
Fußgängern wimmelt, sind die übrigen fast ohne
Leben. Dies liegt sowol an der großen Ausdeh-
nung und Weitläuftigkeit der Stadt, als an dem
ungünstigen Klima. Des Abends werden die
Gassen früh von Menschen leer; die Thätigkeit
des gemeinen Mannes hört gewöhnlich mit dem
Einbruch der Dunkelheit auf, und die Stille der
Nacht wird nur zuweilen durch das Gerassel
einzelner Wagen gestört.

Um sich einen deutlichen Begriff von der
Situation einer Stadt zu verschaffen, giebt
es freylich kein besseres Mittel, als Thürme zu

bestei-

leugnen, daß die zum Theil ſchlecht, zum Theil
gar nicht bebauten Plaͤtze, ſelbſt in den beſſern
Gegenden der Stadt, oft einen widrigen Anblick
erregen; ein Umſtand, dem, wegen der unge-
heuren Ausdehnung der Reſidenz, ſelbſt durch
die Bauwuth des hieſigen Publikums, nicht leicht
abgeholfen werden kann.

Zur Phyſiognomie einer Stadt gehoͤrt das
Leben, die Thaͤtigkeit, das Gewuͤhl das in ihren
Gaſſen herrſcht. St. Petersburg gehoͤrt in die-
ſer Ruͤckſicht unter die großen Staͤdte von der
zweyten Klaſſe. Die Hauptſtraßen ausgenom-
men, in denen es zum Theil von Wagen und
Fußgaͤngern wimmelt, ſind die uͤbrigen faſt ohne
Leben. Dies liegt ſowol an der großen Ausdeh-
nung und Weitlaͤuftigkeit der Stadt, als an dem
unguͤnſtigen Klima. Des Abends werden die
Gaſſen fruͤh von Menſchen leer; die Thaͤtigkeit
des gemeinen Mannes hoͤrt gewoͤhnlich mit dem
Einbruch der Dunkelheit auf, und die Stille der
Nacht wird nur zuweilen durch das Geraſſel
einzelner Wagen geſtoͤrt.

Um ſich einen deutlichen Begriff von der
Situation einer Stadt zu verſchaffen, giebt
es freylich kein beſſeres Mittel, als Thuͤrme zu

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[16/0050] leugnen, daß die zum Theil ſchlecht, zum Theil gar nicht bebauten Plaͤtze, ſelbſt in den beſſern Gegenden der Stadt, oft einen widrigen Anblick erregen; ein Umſtand, dem, wegen der unge- heuren Ausdehnung der Reſidenz, ſelbſt durch die Bauwuth des hieſigen Publikums, nicht leicht abgeholfen werden kann. Zur Phyſiognomie einer Stadt gehoͤrt das Leben, die Thaͤtigkeit, das Gewuͤhl das in ihren Gaſſen herrſcht. St. Petersburg gehoͤrt in die- ſer Ruͤckſicht unter die großen Staͤdte von der zweyten Klaſſe. Die Hauptſtraßen ausgenom- men, in denen es zum Theil von Wagen und Fußgaͤngern wimmelt, ſind die uͤbrigen faſt ohne Leben. Dies liegt ſowol an der großen Ausdeh- nung und Weitlaͤuftigkeit der Stadt, als an dem unguͤnſtigen Klima. Des Abends werden die Gaſſen fruͤh von Menſchen leer; die Thaͤtigkeit des gemeinen Mannes hoͤrt gewoͤhnlich mit dem Einbruch der Dunkelheit auf, und die Stille der Nacht wird nur zuweilen durch das Geraſſel einzelner Wagen geſtoͤrt. Um ſich einen deutlichen Begriff von der Situation einer Stadt zu verſchaffen, giebt es freylich kein beſſeres Mittel, als Thuͤrme zu beſtei-

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Zitationshilfe: Storch, Heinrich Friedrich von: Gemählde von St. Petersburg. Bd. 1. Riga, 1794, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storch_petersburg01_1794/50>, abgerufen am 03.12.2024.