selt sich gewissenhaft an die Einheiten und Re- geln der dramatischen Kunst und zwängt ihren Dialog in den Rythmus der Verse; diese for- dert eben das Pathos, eben die abgemessenen Bewegungen und Schritte, die den französi- schen Kothurn so sonderbar karakterisiren. -- Das Lustspiel hat hier wie dort einen ausge- dehntern Gesichtskreis. Prose und Verse sind ein schickliches Gewand, und die Manier ist nicht so entschieden französisch, daß sie nicht auch Nachahmungen anderer Nationen duldete. In dieser Gattung zeichnet sich der National- geschmack stärker; russische Sitten werden auf die Bühne gebracht und gefallen nach dem Maaß ihrer Originalität. Der Schauspieler, der hier ein freyes Feld hat, sein natürliches Talent geltend zu machen, erhebt sich leichter über die Sphäre des Mittelmäßigen, und wird ein gutes Original wo er eine schlechte Kopie geworden wäre.
Noch interessanter und karakteristischer sind die komischen Opern oder pieces en vau- devilles, die hier, wie ehemals in Paris, den Lieblingsgeschmack des großen Publikums ver- gnügen. In dieser Gattung, wo das Genie
ſelt ſich gewiſſenhaft an die Einheiten und Re- geln der dramatiſchen Kunſt und zwaͤngt ihren Dialog in den Rythmus der Verſe; dieſe for- dert eben das Pathos, eben die abgemeſſenen Bewegungen und Schritte, die den franzoͤſi- ſchen Kothurn ſo ſonderbar karakteriſiren. — Das Luſtſpiel hat hier wie dort einen ausge- dehntern Geſichtskreis. Proſe und Verſe ſind ein ſchickliches Gewand, und die Manier iſt nicht ſo entſchieden franzoͤſiſch, daß ſie nicht auch Nachahmungen anderer Nationen duldete. In dieſer Gattung zeichnet ſich der National- geſchmack ſtaͤrker; ruſſiſche Sitten werden auf die Buͤhne gebracht und gefallen nach dem Maaß ihrer Originalitaͤt. Der Schauſpieler, der hier ein freyes Feld hat, ſein natuͤrliches Talent geltend zu machen, erhebt ſich leichter uͤber die Sphaͤre des Mittelmaͤßigen, und wird ein gutes Original wo er eine ſchlechte Kopie geworden waͤre.
Noch intereſſanter und karakteriſtiſcher ſind die komiſchen Opern oder pieces en vau- devilles, die hier, wie ehemals in Paris, den Lieblingsgeſchmack des großen Publikums ver- gnuͤgen. In dieſer Gattung, wo das Genie
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ſelt ſich gewiſſenhaft an die Einheiten und Re-
geln der dramatiſchen Kunſt und zwaͤngt ihren
Dialog in den Rythmus der Verſe; dieſe for-
dert eben das Pathos, eben die abgemeſſenen
Bewegungen und Schritte, die den franzoͤſi-
ſchen Kothurn ſo ſonderbar karakteriſiren. —
Das Luſtſpiel hat hier wie dort einen ausge-
dehntern Geſichtskreis. Proſe und Verſe ſind
ein ſchickliches Gewand, und die Manier iſt
nicht ſo entſchieden franzoͤſiſch, daß ſie nicht
auch Nachahmungen anderer Nationen duldete.
In dieſer Gattung zeichnet ſich der National-
geſchmack ſtaͤrker; ruſſiſche Sitten werden auf
die Buͤhne gebracht und gefallen nach dem
Maaß ihrer Originalitaͤt. Der Schauſpieler,
der hier ein freyes Feld hat, ſein natuͤrliches
Talent geltend zu machen, erhebt ſich leichter
uͤber die Sphaͤre des Mittelmaͤßigen, und wird
ein gutes Original wo er eine ſchlechte Kopie
geworden waͤre.
Noch intereſſanter und karakteriſtiſcher ſind
die komiſchen Opern oder pieces en vau-
devilles, die hier, wie ehemals in Paris, den
Lieblingsgeſchmack des großen Publikums ver-
gnuͤgen. In dieſer Gattung, wo das Genie
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Storch, Heinrich Friedrich von: Gemählde von St. Petersburg. Bd. 2. Riga, 1794, S. 330. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storch_petersburg02_1794/348>, abgerufen am 23.11.2024.
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