jeden Ausländer ein Räthsel seyn müßte, wie der Pöbel und die untern Stände in den Städten so zahlreich werden konnten, ehe Rußland einen dritten Stand und freye Volks- klassen hatte. Durch den Reichthum ihrer zu- rückkehrenden Mitbrüder gereizt, strömen die Landleute jährlich in beträchtlicher Menge nach der Residenz, wo manche unter ihnen ein Glück machen, das sie unendlich über ihre ei- gentliche Sphäre erhebt. Die Lebhaftigkeit der Nation, ihre Bildsamkeit und Empfänglichkeit erleichtert diesen rohen Menschen den Ueber- gang zu jedem edlern und künstlichern Ge- schäfte; eine Uebung von wenigen Wochen macht aus dem einfältigsten Bauer einen ge- wandten Bedienten, einen geschickten Stein- metz, einen industriösen Rasnoschtschik, der bald von seinem Gewerbe zu einem noch ein- träglichern übergeht, wenn ihm irgend das Glück lächelt. Mit jeder Verbesserung seines Zustandes erhöhen sich die Einkünfte seines Herrn *), und auch der Landbau gewinnt in
*) Die oft auf hundert bis zweyhundert Rubel jähr- lich steigen. Z. B. der monatliche Lohn eines Bedienten
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jeden Auslaͤnder ein Raͤthſel ſeyn muͤßte, wie der Poͤbel und die untern Staͤnde in den Staͤdten ſo zahlreich werden konnten, ehe Rußland einen dritten Stand und freye Volks- klaſſen hatte. Durch den Reichthum ihrer zu- ruͤckkehrenden Mitbruͤder gereizt, ſtroͤmen die Landleute jaͤhrlich in betraͤchtlicher Menge nach der Reſidenz, wo manche unter ihnen ein Gluͤck machen, das ſie unendlich uͤber ihre ei- gentliche Sphaͤre erhebt. Die Lebhaftigkeit der Nation, ihre Bildſamkeit und Empfaͤnglichkeit erleichtert dieſen rohen Menſchen den Ueber- gang zu jedem edlern und kuͤnſtlichern Ge- ſchaͤfte; eine Uebung von wenigen Wochen macht aus dem einfaͤltigſten Bauer einen ge- wandten Bedienten, einen geſchickten Stein- metz, einen induſtrioͤſen Rasnoſchtſchik, der bald von ſeinem Gewerbe zu einem noch ein- traͤglichern uͤbergeht, wenn ihm irgend das Gluͤck laͤchelt. Mit jeder Verbeſſerung ſeines Zuſtandes erhoͤhen ſich die Einkuͤnfte ſeines Herrn *), und auch der Landbau gewinnt in
*) Die oft auf hundert bis zweyhundert Rubel jaͤhr- lich ſteigen. Z. B. der monatliche Lohn eines Bedienten
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jeden Auslaͤnder ein Raͤthſel ſeyn muͤßte, wie
der Poͤbel und die untern Staͤnde in den
Staͤdten ſo zahlreich werden konnten, ehe
Rußland einen dritten Stand und freye Volks-
klaſſen hatte. Durch den Reichthum ihrer zu-
ruͤckkehrenden Mitbruͤder gereizt, ſtroͤmen die
Landleute jaͤhrlich in betraͤchtlicher Menge nach
der Reſidenz, wo manche unter ihnen ein
Gluͤck machen, das ſie unendlich uͤber ihre ei-
gentliche Sphaͤre erhebt. Die Lebhaftigkeit der
Nation, ihre Bildſamkeit und Empfaͤnglichkeit
erleichtert dieſen rohen Menſchen den Ueber-
gang zu jedem edlern und kuͤnſtlichern Ge-
ſchaͤfte; eine Uebung von wenigen Wochen
macht aus dem einfaͤltigſten Bauer einen ge-
wandten Bedienten, einen geſchickten Stein-
metz, einen induſtrioͤſen Rasnoſchtſchik, der
bald von ſeinem Gewerbe zu einem noch ein-
traͤglichern uͤbergeht, wenn ihm irgend das
Gluͤck laͤchelt. Mit jeder Verbeſſerung ſeines
Zuſtandes erhoͤhen ſich die Einkuͤnfte ſeines
Herrn *), und auch der Landbau gewinnt in
*) Die oft auf hundert bis zweyhundert Rubel jaͤhr-
lich ſteigen. Z. B. der monatliche Lohn eines Bedienten
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Storch, Heinrich Friedrich von: Gemählde von St. Petersburg. Bd. 2. Riga, 1794, S. 359. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storch_petersburg02_1794/377>, abgerufen am 23.11.2024.
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