tend zu machen sucht. Ein gewiß sehr großer Theil der hiesigen Ausländer lebt außer aller kirchlichen Verbindung, aber Niemand wird sich zum Glaubensinquisitor dieser Indepen- denten aufwerfen, und Niemand bekümmert sich darum. Nur an wenigen Orten hört man so freymüthige Urtheile über Gegenstände und Formen der Religion, und nirgend erre- gen kühne Grundsätze weniger Sensation, als hier.
Eben so allgemein und von eben so großer Ausdehnung ist die politische Duldung, die nirgend in Europa ihres Gleichen hat. Wem könnte es unbekannt seyn, daß Auslän- der von jeder Nation und von jeder Glaubens- parthey in Rußland zu allen Aemtern und Würden, selbst zu den ersten und wichtigsten, befördert werden? Daß ihnen alle Kanäle des Erwerbs und der Industrie, eben so gut wie den Eingebornen offen stehn? Diese That- sache beweis't nicht bloß für das tolerante System der Regierung; ohne eine gleichge- stimmte Denkungsart des Publikums und vor- züglich der Großen, würde sie überall viele Einschränkungen leiden. In keinem Lande ist,
tend zu machen ſucht. Ein gewiß ſehr großer Theil der hieſigen Auslaͤnder lebt außer aller kirchlichen Verbindung, aber Niemand wird ſich zum Glaubensinquiſitor dieſer Indepen- denten aufwerfen, und Niemand bekuͤmmert ſich darum. Nur an wenigen Orten hoͤrt man ſo freymuͤthige Urtheile uͤber Gegenſtaͤnde und Formen der Religion, und nirgend erre- gen kuͤhne Grundſaͤtze weniger Senſation, als hier.
Eben ſo allgemein und von eben ſo großer Ausdehnung iſt die politiſche Duldung, die nirgend in Europa ihres Gleichen hat. Wem koͤnnte es unbekannt ſeyn, daß Auslaͤn- der von jeder Nation und von jeder Glaubens- parthey in Rußland zu allen Aemtern und Wuͤrden, ſelbſt zu den erſten und wichtigſten, befoͤrdert werden? Daß ihnen alle Kanaͤle des Erwerbs und der Induſtrie, eben ſo gut wie den Eingebornen offen ſtehn? Dieſe That- ſache beweiſ’t nicht bloß fuͤr das tolerante Syſtem der Regierung; ohne eine gleichge- ſtimmte Denkungsart des Publikums und vor- zuͤglich der Großen, wuͤrde ſie uͤberall viele Einſchraͤnkungen leiden. In keinem Lande iſt,
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tend zu machen ſucht. Ein gewiß ſehr großer
Theil der hieſigen Auslaͤnder lebt außer aller
kirchlichen Verbindung, aber Niemand wird
ſich zum Glaubensinquiſitor dieſer Indepen-
denten aufwerfen, und Niemand bekuͤmmert
ſich darum. Nur an wenigen Orten hoͤrt
man ſo freymuͤthige Urtheile uͤber Gegenſtaͤnde
und Formen der Religion, und nirgend erre-
gen kuͤhne Grundſaͤtze weniger Senſation, als
hier.
Eben ſo allgemein und von eben ſo großer
Ausdehnung iſt die politiſche Duldung,
die nirgend in Europa ihres Gleichen hat.
Wem koͤnnte es unbekannt ſeyn, daß Auslaͤn-
der von jeder Nation und von jeder Glaubens-
parthey in Rußland zu allen Aemtern und
Wuͤrden, ſelbſt zu den erſten und wichtigſten,
befoͤrdert werden? Daß ihnen alle Kanaͤle
des Erwerbs und der Induſtrie, eben ſo gut
wie den Eingebornen offen ſtehn? Dieſe That-
ſache beweiſ’t nicht bloß fuͤr das tolerante
Syſtem der Regierung; ohne eine gleichge-
ſtimmte Denkungsart des Publikums und vor-
zuͤglich der Großen, wuͤrde ſie uͤberall viele
Einſchraͤnkungen leiden. In keinem Lande iſt,
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Storch, Heinrich Friedrich von: Gemählde von St. Petersburg. Bd. 2. Riga, 1794, S. 509. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storch_petersburg02_1794/527>, abgerufen am 26.11.2024.
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