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Storch, Heinrich Friedrich von: Gemählde von St. Petersburg. Bd. 2. Riga, 1794.

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Klasse gehört, kann sicher seyn, daß ihn Niemand
wegen seiner Eigenheiten in Anspruch nehmen
wird. Die Mode ist hier nicht der strenge
Tyrann, unter dessen Szepter sich Jedermann
beugen muß, um die Geißel der Lächerlichkeit
zu vermeiden. Nichts ist hier gleichgültiger,
als das qu'en dira-t-on? welches ehemals
in Paris alle Menschen in einen gleichen Zu-
schnitt brachte.

Es wird vielleicht beym ersten Ueberblick
auffallend scheinen, wie sich diese gesellschaft-
liche Toleranz mit der Achtung für Stand
und Rang
verträgt, die ein so hervorstechen-
der Zug der Petersburger ist. Es verursacht
allerdings ein sonderbares Gefühl, ein in vie-
len Rücksichten so billiges und tolerantes Pu-
blikum in diesem Stück der härtesten Unduld-
samkeit beschuldigen zu müssen; aber freylich
läßt sich dieser moralische Widerspruch sehr
wohl durch die den Menschen überall so ge-
wöhnliche Inkonsequenz erklären. Es giebt
sicherlich keine Residenz in Europa, in welcher
der Geburtsrang und der Adel der Abstam-
mung weniger in Anschlag gebracht wird. Ich
wohne jetzt sechs Jahre in Petersburg und

lebe

Klaſſe gehoͤrt, kann ſicher ſeyn, daß ihn Niemand
wegen ſeiner Eigenheiten in Anſpruch nehmen
wird. Die Mode iſt hier nicht der ſtrenge
Tyrann, unter deſſen Szepter ſich Jedermann
beugen muß, um die Geißel der Laͤcherlichkeit
zu vermeiden. Nichts iſt hier gleichguͤltiger,
als das qu’en dira-t-on? welches ehemals
in Paris alle Menſchen in einen gleichen Zu-
ſchnitt brachte.

Es wird vielleicht beym erſten Ueberblick
auffallend ſcheinen, wie ſich dieſe geſellſchaft-
liche Toleranz mit der Achtung fuͤr Stand
und Rang
vertraͤgt, die ein ſo hervorſtechen-
der Zug der Petersburger iſt. Es verurſacht
allerdings ein ſonderbares Gefuͤhl, ein in vie-
len Ruͤckſichten ſo billiges und tolerantes Pu-
blikum in dieſem Stuͤck der haͤrteſten Unduld-
ſamkeit beſchuldigen zu muͤſſen; aber freylich
laͤßt ſich dieſer moraliſche Widerſpruch ſehr
wohl durch die den Menſchen uͤberall ſo ge-
woͤhnliche Inkonſequenz erklaͤren. Es giebt
ſicherlich keine Reſidenz in Europa, in welcher
der Geburtsrang und der Adel der Abſtam-
mung weniger in Anſchlag gebracht wird. Ich
wohne jetzt ſechs Jahre in Petersburg und

lebe
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[512/0530] Klaſſe gehoͤrt, kann ſicher ſeyn, daß ihn Niemand wegen ſeiner Eigenheiten in Anſpruch nehmen wird. Die Mode iſt hier nicht der ſtrenge Tyrann, unter deſſen Szepter ſich Jedermann beugen muß, um die Geißel der Laͤcherlichkeit zu vermeiden. Nichts iſt hier gleichguͤltiger, als das qu’en dira-t-on? welches ehemals in Paris alle Menſchen in einen gleichen Zu- ſchnitt brachte. Es wird vielleicht beym erſten Ueberblick auffallend ſcheinen, wie ſich dieſe geſellſchaft- liche Toleranz mit der Achtung fuͤr Stand und Rang vertraͤgt, die ein ſo hervorſtechen- der Zug der Petersburger iſt. Es verurſacht allerdings ein ſonderbares Gefuͤhl, ein in vie- len Ruͤckſichten ſo billiges und tolerantes Pu- blikum in dieſem Stuͤck der haͤrteſten Unduld- ſamkeit beſchuldigen zu muͤſſen; aber freylich laͤßt ſich dieſer moraliſche Widerſpruch ſehr wohl durch die den Menſchen uͤberall ſo ge- woͤhnliche Inkonſequenz erklaͤren. Es giebt ſicherlich keine Reſidenz in Europa, in welcher der Geburtsrang und der Adel der Abſtam- mung weniger in Anſchlag gebracht wird. Ich wohne jetzt ſechs Jahre in Petersburg und lebe

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Zitationshilfe: Storch, Heinrich Friedrich von: Gemählde von St. Petersburg. Bd. 2. Riga, 1794, S. 512. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storch_petersburg02_1794/530>, abgerufen am 26.11.2024.