der mit seinen Mitbürgern aussöhnen. Wirk- lich ist nichts gefälliger, als die Art womit die Petersburger Gefälligkeiten ausüben. Gleich weit entfernt von der trocknen Solidität der Engländer und von der leeren Theilnahme der ehemaligen Franzosen, kennen und leisten sie die Pflichten des geselligen Lebens, ohne etwas sehr verdienstliches dabey zu ahnden. Selten werden Reisende eine größere Bereitwilligkeit finden, sie mit den Merkwürdigkeiten, dem Genuß und den Freuden ihres Aufenthalts be- kannt zu machen, als hier. Nichts wird den Petersburgern saurer, als eine abschlägige Antwort geben zu müssen. Auf die sinnreichste Art entschuldigt man Fehler, Eigenheiten und Launen Anderer, um in gleichem Fall auf glei- che Nachsicht rechnen zu dürfen.
Geld- und Ehrsucht beherrschen auch hier einen sehr großen Theil der Menschen, aber als eigenthümliche Karakterzüge können diese Fehler nicht gelten, da sie überall in gro- ßen Städten zu Hause sind, wo der Genuß des Lebens so anziehend und so vervielfältigt ist, wo Armuth beschimpft und Reichthum adelt, wo der Ehrgeiz so großen Spielraum
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der mit ſeinen Mitbuͤrgern ausſoͤhnen. Wirk- lich iſt nichts gefaͤlliger, als die Art womit die Petersburger Gefaͤlligkeiten ausuͤben. Gleich weit entfernt von der trocknen Soliditaͤt der Englaͤnder und von der leeren Theilnahme der ehemaligen Franzoſen, kennen und leiſten ſie die Pflichten des geſelligen Lebens, ohne etwas ſehr verdienſtliches dabey zu ahnden. Selten werden Reiſende eine groͤßere Bereitwilligkeit finden, ſie mit den Merkwuͤrdigkeiten, dem Genuß und den Freuden ihres Aufenthalts be- kannt zu machen, als hier. Nichts wird den Petersburgern ſaurer, als eine abſchlaͤgige Antwort geben zu muͤſſen. Auf die ſinnreichſte Art entſchuldigt man Fehler, Eigenheiten und Launen Anderer, um in gleichem Fall auf glei- che Nachſicht rechnen zu duͤrfen.
Geld- und Ehrſucht beherrſchen auch hier einen ſehr großen Theil der Menſchen, aber als eigenthuͤmliche Karakterzuͤge koͤnnen dieſe Fehler nicht gelten, da ſie uͤberall in gro- ßen Staͤdten zu Hauſe ſind, wo der Genuß des Lebens ſo anziehend und ſo vervielfaͤltigt iſt, wo Armuth beſchimpft und Reichthum adelt, wo der Ehrgeiz ſo großen Spielraum
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der mit ſeinen Mitbuͤrgern ausſoͤhnen. Wirk-
lich iſt nichts gefaͤlliger, als die Art womit
die Petersburger Gefaͤlligkeiten ausuͤben. Gleich
weit entfernt von der trocknen Soliditaͤt der
Englaͤnder und von der leeren Theilnahme der
ehemaligen Franzoſen, kennen und leiſten ſie
die Pflichten des geſelligen Lebens, ohne etwas
ſehr verdienſtliches dabey zu ahnden. Selten
werden Reiſende eine groͤßere Bereitwilligkeit
finden, ſie mit den Merkwuͤrdigkeiten, dem
Genuß und den Freuden ihres Aufenthalts be-
kannt zu machen, als hier. Nichts wird den
Petersburgern ſaurer, als eine abſchlaͤgige
Antwort geben zu muͤſſen. Auf die ſinnreichſte
Art entſchuldigt man Fehler, Eigenheiten und
Launen Anderer, um in gleichem Fall auf glei-
che Nachſicht rechnen zu duͤrfen.
Geld- und Ehrſucht beherrſchen auch
hier einen ſehr großen Theil der Menſchen,
aber als eigenthuͤmliche Karakterzuͤge koͤnnen
dieſe Fehler nicht gelten, da ſie uͤberall in gro-
ßen Staͤdten zu Hauſe ſind, wo der Genuß
des Lebens ſo anziehend und ſo vervielfaͤltigt
iſt, wo Armuth beſchimpft und Reichthum
adelt, wo der Ehrgeiz ſo großen Spielraum
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Storch, Heinrich Friedrich von: Gemählde von St. Petersburg. Bd. 2. Riga, 1794, S. 515. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storch_petersburg02_1794/533>, abgerufen am 26.11.2024.
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