Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Storm, Theodor: Aquis submersus. Berlin, 1877.

Bild:
<< vorherige Seite

schaft an den Wänden werfend, deren ich in
Katharinens Gegenwart sonst kaum gedacht hatte.

Da, unter dem Malen, fiel mein Auge auch
auf jenes alte Frauenbildniß, das mir zur Seite
hing und aus den weißen Schleiertüchern die
stechend grauen Augen auf mich gerichtet hielt.
Mich fröstelte, ich hätte nahezu den Stuhl ver¬
rücket.

Aber Katharinens süße Stimme drang mir
in das Ohr: "Ihr seid ja fast erbleichet; was
flog Euch über's Herz, Johannes?"

Ich zeigte mit dem Pinsel auf das Bild.
"Kennet ihr die, Katharine? Diese Augen haben
hier all' die Tage auf uns hingesehen."

"Die da? -- Vor der hab' ich schon als Kind
eine Furcht gehabt, und gar bei Tage bin ich
oft wie blind hier durchgelaufen. Es ist die
Gemahlin eines früheren Gerhardus; vor weit
über hundert Jahren hat sie hier gehauset."

"Sie gleicht nicht Euerer schönen Mutter,"
entgegnete ich; "dies Antlitz hat wol vermocht,
einer jeden Bitte nein zu sagen."

ſchaft an den Wänden werfend, deren ich in
Katharinens Gegenwart ſonſt kaum gedacht hatte.

Da, unter dem Malen, fiel mein Auge auch
auf jenes alte Frauenbildniß, das mir zur Seite
hing und aus den weißen Schleiertüchern die
ſtechend grauen Augen auf mich gerichtet hielt.
Mich fröſtelte, ich hätte nahezu den Stuhl ver¬
rücket.

Aber Katharinens ſüße Stimme drang mir
in das Ohr: „Ihr ſeid ja faſt erbleichet; was
flog Euch über's Herz, Johannes?“

Ich zeigte mit dem Pinſel auf das Bild.
„Kennet ihr die, Katharine? Dieſe Augen haben
hier all' die Tage auf uns hingeſehen.“

„Die da? — Vor der hab' ich ſchon als Kind
eine Furcht gehabt, und gar bei Tage bin ich
oft wie blind hier durchgelaufen. Es iſt die
Gemahlin eines früheren Gerhardus; vor weit
über hundert Jahren hat ſie hier gehauſet.“

„Sie gleicht nicht Euerer ſchönen Mutter,“
entgegnete ich; „dies Antlitz hat wol vermocht,
einer jeden Bitte nein zu ſagen.“

<TEI>
  <text>
    <body>
      <p><pb facs="#f0074" n="60"/>
&#x017F;chaft an den Wänden werfend, deren ich in<lb/>
Katharinens Gegenwart &#x017F;on&#x017F;t kaum gedacht hatte.</p><lb/>
      <p>Da, unter dem Malen, fiel mein Auge auch<lb/>
auf jenes alte Frauenbildniß, das mir zur Seite<lb/>
hing und aus den weißen Schleiertüchern die<lb/>
&#x017F;techend grauen Augen auf mich gerichtet hielt.<lb/>
Mich frö&#x017F;telte, ich hätte nahezu den Stuhl ver¬<lb/>
rücket.</p><lb/>
      <p>Aber Katharinens &#x017F;üße Stimme drang mir<lb/>
in das Ohr: &#x201E;Ihr &#x017F;eid ja fa&#x017F;t erbleichet; was<lb/>
flog Euch über's Herz, Johannes?&#x201C;</p><lb/>
      <p>Ich zeigte mit dem Pin&#x017F;el auf das Bild.<lb/>
&#x201E;Kennet ihr die, Katharine? Die&#x017F;e Augen haben<lb/>
hier all' die Tage auf uns hinge&#x017F;ehen.&#x201C;</p><lb/>
      <p>&#x201E;Die da? &#x2014; Vor der hab' ich &#x017F;chon als Kind<lb/>
eine Furcht gehabt, und gar bei Tage bin ich<lb/>
oft wie blind hier durchgelaufen. Es i&#x017F;t die<lb/>
Gemahlin eines früheren Gerhardus; vor weit<lb/>
über hundert Jahren hat &#x017F;ie hier gehau&#x017F;et.&#x201C;</p><lb/>
      <p>&#x201E;Sie gleicht nicht Euerer &#x017F;chönen Mutter,&#x201C;<lb/>
entgegnete ich; &#x201E;dies Antlitz hat wol vermocht,<lb/>
einer jeden Bitte nein zu &#x017F;agen.&#x201C;<lb/></p>
    </body>
  </text>
</TEI>
[60/0074] ſchaft an den Wänden werfend, deren ich in Katharinens Gegenwart ſonſt kaum gedacht hatte. Da, unter dem Malen, fiel mein Auge auch auf jenes alte Frauenbildniß, das mir zur Seite hing und aus den weißen Schleiertüchern die ſtechend grauen Augen auf mich gerichtet hielt. Mich fröſtelte, ich hätte nahezu den Stuhl ver¬ rücket. Aber Katharinens ſüße Stimme drang mir in das Ohr: „Ihr ſeid ja faſt erbleichet; was flog Euch über's Herz, Johannes?“ Ich zeigte mit dem Pinſel auf das Bild. „Kennet ihr die, Katharine? Dieſe Augen haben hier all' die Tage auf uns hingeſehen.“ „Die da? — Vor der hab' ich ſchon als Kind eine Furcht gehabt, und gar bei Tage bin ich oft wie blind hier durchgelaufen. Es iſt die Gemahlin eines früheren Gerhardus; vor weit über hundert Jahren hat ſie hier gehauſet.“ „Sie gleicht nicht Euerer ſchönen Mutter,“ entgegnete ich; „dies Antlitz hat wol vermocht, einer jeden Bitte nein zu ſagen.“

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/storm_aquis_1877
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/storm_aquis_1877/74
Zitationshilfe: Storm, Theodor: Aquis submersus. Berlin, 1877, S. 60. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storm_aquis_1877/74>, abgerufen am 27.11.2024.