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Storm, Theodor: Ein Doppelgänger. Novelle. Berlin, 1887.

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deren Theilnahme damals den Verurtheilten in das Zuchthaus begleitet hatte. Jetzt folgte sein Blick dem hübschen jungen Paare.

Eine ältliche, unverheirathete Schwester der Hausfrau stand neben ihm. "Nun sehen Sie", flüsterte die Dame und zeigte mit dem Finger nach dem Paare, "vor zehn Monaten noch am Wollspinnen im Zuchthaus, und nun tanzt er mit dem Glück im Arm!"

Der Bürgermeister nickte: "Ja, ja - Sie haben Recht ... aber er selbst ist doch nicht glücklich und wird es nimmer werden."

Die alte Jungfer sah ihn an. "Das versteh' ich doch nicht ganz", sagte sie, "solche Leute fühlen anders, als unsereins. Aber freilich, Sie sind ein unverbesserlicher Junggesell!"

"Ich scherze nicht, liebes Fräulein", erwiderte der Bürgermeister; "es thut mir leid um diesen Menschen: das Glück in seinem Arm mag echt genug sein, ihm wird es nichts nützen; denn in seinem tiefsten Innern brütet er über ein Räthsel, zu dessen Lösung ihm weder sein Glück, wie Sie das junge Kind in seinen Armen zu nennen belieben,

deren Theilnahme damals den Verurtheilten in das Zuchthaus begleitet hatte. Jetzt folgte sein Blick dem hübschen jungen Paare.

Eine ältliche, unverheirathete Schwester der Hausfrau stand neben ihm. „Nun sehen Sie“, flüsterte die Dame und zeigte mit dem Finger nach dem Paare, „vor zehn Monaten noch am Wollspinnen im Zuchthaus, und nun tanzt er mit dem Glück im Arm!“

Der Bürgermeister nickte: „Ja, ja – Sie haben Recht ... aber er selbst ist doch nicht glücklich und wird es nimmer werden.“

Die alte Jungfer sah ihn an. „Das versteh’ ich doch nicht ganz“, sagte sie, „solche Leute fühlen anders, als unsereins. Aber freilich, Sie sind ein unverbesserlicher Junggesell!“

„Ich scherze nicht, liebes Fräulein“, erwiderte der Bürgermeister; „es thut mir leid um diesen Menschen: das Glück in seinem Arm mag echt genug sein, ihm wird es nichts nützen; denn in seinem tiefsten Innern brütet er über ein Räthsel, zu dessen Lösung ihm weder sein Glück, wie Sie das junge Kind in seinen Armen zu nennen belieben,

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[52/0052] deren Theilnahme damals den Verurtheilten in das Zuchthaus begleitet hatte. Jetzt folgte sein Blick dem hübschen jungen Paare. Eine ältliche, unverheirathete Schwester der Hausfrau stand neben ihm. „Nun sehen Sie“, flüsterte die Dame und zeigte mit dem Finger nach dem Paare, „vor zehn Monaten noch am Wollspinnen im Zuchthaus, und nun tanzt er mit dem Glück im Arm!“ Der Bürgermeister nickte: „Ja, ja – Sie haben Recht ... aber er selbst ist doch nicht glücklich und wird es nimmer werden.“ Die alte Jungfer sah ihn an. „Das versteh’ ich doch nicht ganz“, sagte sie, „solche Leute fühlen anders, als unsereins. Aber freilich, Sie sind ein unverbesserlicher Junggesell!“ „Ich scherze nicht, liebes Fräulein“, erwiderte der Bürgermeister; „es thut mir leid um diesen Menschen: das Glück in seinem Arm mag echt genug sein, ihm wird es nichts nützen; denn in seinem tiefsten Innern brütet er über ein Räthsel, zu dessen Lösung ihm weder sein Glück, wie Sie das junge Kind in seinen Armen zu nennen belieben,

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Zitationshilfe: Storm, Theodor: Ein Doppelgänger. Novelle. Berlin, 1887, S. 52. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storm_doppelgaenger_1887/52>, abgerufen am 21.11.2024.