Storm, Theodor: Ein Doppelgänger. Novelle. Berlin, 1887.kein Wort; aber dennoch hörte er es in seinen Ohren gellen: "Weh dir, du hast dein Glück zerschlagen!" Er fiel zu ihr nieder; er sprach, er wußte selbst nicht, was; er bat sie, er riß ihr die Hände vom Gesicht und küßte sie. Aber sein Weib antwortete ihm nicht; wie mit der List des Wahnsinnes blickte sie heimlich nach der offenen Stubenthür, und plötzlich war sie unter seinen Armen fort; er hörte, wie sie hinter sich die Hofthür zuschlug. Und als er dann sich wandte, sah er sein Kind aufrecht in dem Bettchen sitzen; es hatte mit beiden kleinen Fäusten sich das Betttuch in den Mund gestapft und sah mit großen Augen auf ihn hin; doch als er unwillkürlich näher kam, schlug es Kopf und Aermchen rückwärts, und die Kinderstimme gellte durch das kleine Haus, als ob sie untragbar Unglück auszuschreien habe. Er erschrak, aber er hatte keine Zeit; was kümmerte ihn jetzt das Kind! Er rannte aus der Hofthür durch den dunklen Garten. "Hanna!" rief er, und laut und immer lauter "Hanna!" Aber nur die Baumwipfel der vielen Gärten, die hier aneinander liegen kein Wort; aber dennoch hörte er es in seinen Ohren gellen: „Weh dir, du hast dein Glück zerschlagen!“ Er fiel zu ihr nieder; er sprach, er wußte selbst nicht, was; er bat sie, er riß ihr die Hände vom Gesicht und küßte sie. Aber sein Weib antwortete ihm nicht; wie mit der List des Wahnsinnes blickte sie heimlich nach der offenen Stubenthür, und plötzlich war sie unter seinen Armen fort; er hörte, wie sie hinter sich die Hofthür zuschlug. Und als er dann sich wandte, sah er sein Kind aufrecht in dem Bettchen sitzen; es hatte mit beiden kleinen Fäusten sich das Betttuch in den Mund gestapft und sah mit großen Augen auf ihn hin; doch als er unwillkürlich näher kam, schlug es Kopf und Aermchen rückwärts, und die Kinderstimme gellte durch das kleine Haus, als ob sie untragbar Unglück auszuschreien habe. Er erschrak, aber er hatte keine Zeit; was kümmerte ihn jetzt das Kind! Er rannte aus der Hofthür durch den dunklen Garten. „Hanna!“ rief er, und laut und immer lauter „Hanna!“ Aber nur die Baumwipfel der vielen Gärten, die hier aneinander liegen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0064" n="64"/> kein Wort; aber dennoch hörte er es in seinen Ohren gellen: „Weh dir, du hast dein Glück zerschlagen!“</p> <p>Er fiel zu ihr nieder; er sprach, er wußte selbst nicht, was; er bat sie, er riß ihr die Hände vom Gesicht und küßte sie. Aber sein Weib antwortete ihm nicht; wie mit der List des Wahnsinnes blickte sie heimlich nach der offenen Stubenthür, und plötzlich war sie unter seinen Armen fort; er hörte, wie sie hinter sich die Hofthür zuschlug.</p> <p>Und als er dann sich wandte, sah er sein Kind aufrecht in dem Bettchen sitzen; es hatte mit beiden kleinen Fäusten sich das Betttuch in den Mund gestapft und sah mit großen Augen auf ihn hin; doch als er unwillkürlich näher kam, schlug es Kopf und Aermchen rückwärts, und die Kinderstimme gellte durch das kleine Haus, als ob sie untragbar Unglück auszuschreien habe. Er erschrak, aber er hatte keine Zeit; was kümmerte ihn jetzt das Kind! Er rannte aus der Hofthür durch den dunklen Garten. „Hanna!“ rief er, und laut und immer lauter „Hanna!“ Aber nur die Baumwipfel der vielen Gärten, die hier aneinander liegen </p> </div> </body> </text> </TEI> [64/0064]
kein Wort; aber dennoch hörte er es in seinen Ohren gellen: „Weh dir, du hast dein Glück zerschlagen!“
Er fiel zu ihr nieder; er sprach, er wußte selbst nicht, was; er bat sie, er riß ihr die Hände vom Gesicht und küßte sie. Aber sein Weib antwortete ihm nicht; wie mit der List des Wahnsinnes blickte sie heimlich nach der offenen Stubenthür, und plötzlich war sie unter seinen Armen fort; er hörte, wie sie hinter sich die Hofthür zuschlug.
Und als er dann sich wandte, sah er sein Kind aufrecht in dem Bettchen sitzen; es hatte mit beiden kleinen Fäusten sich das Betttuch in den Mund gestapft und sah mit großen Augen auf ihn hin; doch als er unwillkürlich näher kam, schlug es Kopf und Aermchen rückwärts, und die Kinderstimme gellte durch das kleine Haus, als ob sie untragbar Unglück auszuschreien habe. Er erschrak, aber er hatte keine Zeit; was kümmerte ihn jetzt das Kind! Er rannte aus der Hofthür durch den dunklen Garten. „Hanna!“ rief er, und laut und immer lauter „Hanna!“ Aber nur die Baumwipfel der vielen Gärten, die hier aneinander liegen
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax.
(2012-11-15T13:54:31Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2012-11-15T13:54:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat.
(2012-11-15T13:54:31Z)
Weitere Informationen:Anmerkungen zur Transkription:
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |