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Storm, Theodor: Immensee. Berlin, 1852.

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Elisabeth rollte das Manuscript auf. Hier sind
Noten; sagte sie, das mußt du singen, Reinhardt.

Und dieser las nun zuerst einige Tyroler Schnader¬
hüpferl, indem er beim Lesen je zuweilen die lustige
Melodie mit halber Stimme anklingen ließ. Eine
allgemeine Heiterkeit bemächtigte sich der kleinen
Gesellschaft. Wer hat doch aber die schönen Lieder
gemacht? fragte Elisabeth.

Ei, sagte Erich, das hört man den Dingern schon
an; Schneidergesellen und Friseure, und derlei lufti¬
ges Gesindel.

Reinhardt sagte: Sie werden gar nicht gemacht; sie
wachsen, sie fallen aus der Luft, sie fliegen über Land
wie Mariengarn, hierhin und dorthin, und werden an
tausend Stellen zugleich gesungen. Unser eigenstes
Thun und Leiden finden wir in diesen Liedern; es ist,
als ob wir alle an ihnen mitgeholfen hätten.

Er nahm ein anderes Blatt: Ich stand auf hohen
Bergen....

Das kenne ich! rief Elisabeth. Stimme nur an,
Reinhardt; ich will dir helfen. Und nun sangen sie
jene Melodie, die so räthselhaft ist, daß man nicht
glauben kann, sie sei von Menschen erdacht worden;

Eliſabeth rollte das Manuſcript auf. Hier ſind
Noten; ſagte ſie, das mußt du ſingen, Reinhardt.

Und dieſer las nun zuerſt einige Tyroler Schnader¬
hüpferl, indem er beim Leſen je zuweilen die luſtige
Melodie mit halber Stimme anklingen ließ. Eine
allgemeine Heiterkeit bemächtigte ſich der kleinen
Geſellſchaft. Wer hat doch aber die ſchönen Lieder
gemacht? fragte Eliſabeth.

Ei, ſagte Erich, das hört man den Dingern ſchon
an; Schneidergeſellen und Friſeure, und derlei lufti¬
ges Geſindel.

Reinhardt ſagte: Sie werden gar nicht gemacht; ſie
wachſen, ſie fallen aus der Luft, ſie fliegen über Land
wie Mariengarn, hierhin und dorthin, und werden an
tauſend Stellen zugleich geſungen. Unſer eigenſtes
Thun und Leiden finden wir in dieſen Liedern; es iſt,
als ob wir alle an ihnen mitgeholfen hätten.

Er nahm ein anderes Blatt: Ich ſtand auf hohen
Bergen....

Das kenne ich! rief Eliſabeth. Stimme nur an,
Reinhardt; ich will dir helfen. Und nun ſangen ſie
jene Melodie, die ſo räthſelhaft iſt, daß man nicht
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[48/0054] Eliſabeth rollte das Manuſcript auf. Hier ſind Noten; ſagte ſie, das mußt du ſingen, Reinhardt. Und dieſer las nun zuerſt einige Tyroler Schnader¬ hüpferl, indem er beim Leſen je zuweilen die luſtige Melodie mit halber Stimme anklingen ließ. Eine allgemeine Heiterkeit bemächtigte ſich der kleinen Geſellſchaft. Wer hat doch aber die ſchönen Lieder gemacht? fragte Eliſabeth. Ei, ſagte Erich, das hört man den Dingern ſchon an; Schneidergeſellen und Friſeure, und derlei lufti¬ ges Geſindel. Reinhardt ſagte: Sie werden gar nicht gemacht; ſie wachſen, ſie fallen aus der Luft, ſie fliegen über Land wie Mariengarn, hierhin und dorthin, und werden an tauſend Stellen zugleich geſungen. Unſer eigenſtes Thun und Leiden finden wir in dieſen Liedern; es iſt, als ob wir alle an ihnen mitgeholfen hätten. Er nahm ein anderes Blatt: Ich ſtand auf hohen Bergen.... Das kenne ich! rief Eliſabeth. Stimme nur an, Reinhardt; ich will dir helfen. Und nun ſangen ſie jene Melodie, die ſo räthſelhaft iſt, daß man nicht glauben kann, ſie ſei von Menſchen erdacht worden;

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Zitationshilfe: Storm, Theodor: Immensee. Berlin, 1852, S. 48. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storm_immensee_1852/54>, abgerufen am 23.11.2024.