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Storm, Theodor: Immensee. Berlin, 1852.

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Elisabeth mit ihrer etwas verdeckten Altstimme dem
Tenor secondirend.

Die Mutter saß inzwischen emsig an ihrer Näherei,
Erich hatte die Hände in einander gelegt und hörte
andächtig zu. Als das Lied zu Ende war, legte Rein¬
hardt das Blatt schweigend bei Seite. -- Vom Ufer
des Sees herauf kam durch die Abendstille das Geläute
der Heerdenglocken; sie horchten unwillkürlich; da hör¬
ten sie eine klare Knabenstimme singen:

Ich stand auf hohen Bergen,
Und sah ins tiefe Thal....
Reinhardt lächelte: Hört ihr es wohl? So geht's von
Mund zu Mund.

Es wird oft in dieser Gegend gesungen; sagte Eli¬
sabeth.

Ja, sagte Erich, es ist der Hirtenkaspar; er treibt
die Starken heim.

Sie horchten noch eine Weile, bis das Geläute oben
hinter den Wirthschaftsgebäuden verschwunden war.
Das sind Urtöne; sagte Reinhardt, sie schlafen in
Waldesgründen; Gott weiß, wer sie gefunden hat.

Er zog ein neues Blatt heraus.

Es war schon dunkler geworden; ein rother Abend¬

Storm, Immensee. 4

Eliſabeth mit ihrer etwas verdeckten Altſtimme dem
Tenor ſecondirend.

Die Mutter ſaß inzwiſchen emſig an ihrer Näherei,
Erich hatte die Hände in einander gelegt und hörte
andächtig zu. Als das Lied zu Ende war, legte Rein¬
hardt das Blatt ſchweigend bei Seite. — Vom Ufer
des Sees herauf kam durch die Abendſtille das Geläute
der Heerdenglocken; ſie horchten unwillkürlich; da hör¬
ten ſie eine klare Knabenſtimme ſingen:

Ich ſtand auf hohen Bergen,
Und ſah ins tiefe Thal....
Reinhardt lächelte: Hört ihr es wohl? So geht's von
Mund zu Mund.

Es wird oft in dieſer Gegend geſungen; ſagte Eli¬
ſabeth.

Ja, ſagte Erich, es iſt der Hirtenkaspar; er treibt
die Starken heim.

Sie horchten noch eine Weile, bis das Geläute oben
hinter den Wirthſchaftsgebäuden verſchwunden war.
Das ſind Urtöne; ſagte Reinhardt, ſie ſchlafen in
Waldesgründen; Gott weiß, wer ſie gefunden hat.

Er zog ein neues Blatt heraus.

Es war ſchon dunkler geworden; ein rother Abend¬

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[49/0055] Eliſabeth mit ihrer etwas verdeckten Altſtimme dem Tenor ſecondirend. Die Mutter ſaß inzwiſchen emſig an ihrer Näherei, Erich hatte die Hände in einander gelegt und hörte andächtig zu. Als das Lied zu Ende war, legte Rein¬ hardt das Blatt ſchweigend bei Seite. — Vom Ufer des Sees herauf kam durch die Abendſtille das Geläute der Heerdenglocken; ſie horchten unwillkürlich; da hör¬ ten ſie eine klare Knabenſtimme ſingen: Ich ſtand auf hohen Bergen, Und ſah ins tiefe Thal.... Reinhardt lächelte: Hört ihr es wohl? So geht's von Mund zu Mund. Es wird oft in dieſer Gegend geſungen; ſagte Eli¬ ſabeth. Ja, ſagte Erich, es iſt der Hirtenkaspar; er treibt die Starken heim. Sie horchten noch eine Weile, bis das Geläute oben hinter den Wirthſchaftsgebäuden verſchwunden war. Das ſind Urtöne; ſagte Reinhardt, ſie ſchlafen in Waldesgründen; Gott weiß, wer ſie gefunden hat. Er zog ein neues Blatt heraus. Es war ſchon dunkler geworden; ein rother Abend¬ Storm, Immenſee. 4

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Zitationshilfe: Storm, Theodor: Immensee. Berlin, 1852, S. 49. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storm_immensee_1852/55>, abgerufen am 27.11.2024.