Storm, Theodor: Eine Malerarbeit. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 9. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 257–304. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.dem Schwanze sich die Bremsen wegpeitscht; ein alter Felsblock; ein Bienenstand mit einem Hund davor und dergleichen mehr; aber aus allem blickte in kleinen Zügen, was ich selber nie so ganz besessen, jenes instinctive Verständniß der Natur; es war Alles, so unbehülftich es auch war, dennoch, ich möchte sagen, über das Zufällige hinausgehoben. Du weißt, der Mensch ist nun einmal eine Canaille; und so begann sich denn auch in mir ein ganz lebenskräftiger Neid gegen diesen Bauernburschen zu regen. Da ich mich aber mit Naturdämonen schon hinlänglich behaftet fühlte, so entschloß ich mich kurz diesen neuen Kameraden sofort in der Geburt zu ersticken. Zum Glück hatte ich einige blanke Münzen bei mir, mit denen es mir bei den Knaben sofort gelang, ihnen einige der Blätter abzuhandeln. Nachdem mir beim Nachhausekommen auch der Schulmeister bestätigt hatte, daß die Bilder von der Hand seines jungen Schülers seien, verbarg ich für diesen Abend die eroberten Schätze in meinem Skizzenbuch. Am andern Morgen trat ich früh mit der Sonne meine gewöhnliche Wanderung an. Als ich an der Kirchhofsmauer entlang ging, sah ich jenseit derselben einen jungen Mann auf einem Grabe fitzen. Während ich durch das Kreuz der Kirchhofspforte trat, wandte er den Kopf zu mir, und ich sah nun zum ersten Mal in jenes blasse Antlitz mit den tiefliegenden Augen, welche das Wesen der Dinge einzusaugen scheinen; mit Einem dem Schwanze sich die Bremsen wegpeitscht; ein alter Felsblock; ein Bienenstand mit einem Hund davor und dergleichen mehr; aber aus allem blickte in kleinen Zügen, was ich selber nie so ganz besessen, jenes instinctive Verständniß der Natur; es war Alles, so unbehülftich es auch war, dennoch, ich möchte sagen, über das Zufällige hinausgehoben. Du weißt, der Mensch ist nun einmal eine Canaille; und so begann sich denn auch in mir ein ganz lebenskräftiger Neid gegen diesen Bauernburschen zu regen. Da ich mich aber mit Naturdämonen schon hinlänglich behaftet fühlte, so entschloß ich mich kurz diesen neuen Kameraden sofort in der Geburt zu ersticken. Zum Glück hatte ich einige blanke Münzen bei mir, mit denen es mir bei den Knaben sofort gelang, ihnen einige der Blätter abzuhandeln. Nachdem mir beim Nachhausekommen auch der Schulmeister bestätigt hatte, daß die Bilder von der Hand seines jungen Schülers seien, verbarg ich für diesen Abend die eroberten Schätze in meinem Skizzenbuch. Am andern Morgen trat ich früh mit der Sonne meine gewöhnliche Wanderung an. Als ich an der Kirchhofsmauer entlang ging, sah ich jenseit derselben einen jungen Mann auf einem Grabe fitzen. Während ich durch das Kreuz der Kirchhofspforte trat, wandte er den Kopf zu mir, und ich sah nun zum ersten Mal in jenes blasse Antlitz mit den tiefliegenden Augen, welche das Wesen der Dinge einzusaugen scheinen; mit Einem <TEI> <text> <body> <div n="3"> <p><pb facs="#f0044"/> dem Schwanze sich die Bremsen wegpeitscht; ein alter Felsblock; ein Bienenstand mit einem Hund davor und dergleichen mehr; aber aus allem blickte in kleinen Zügen, was ich selber nie so ganz besessen, jenes instinctive Verständniß der Natur; es war Alles, so unbehülftich es auch war, dennoch, ich möchte sagen, über das Zufällige hinausgehoben.</p><lb/> <p>Du weißt, der Mensch ist nun einmal eine Canaille; und so begann sich denn auch in mir ein ganz lebenskräftiger Neid gegen diesen Bauernburschen zu regen. Da ich mich aber mit Naturdämonen schon hinlänglich behaftet fühlte, so entschloß ich mich kurz diesen neuen Kameraden sofort in der Geburt zu ersticken.</p><lb/> <p>Zum Glück hatte ich einige blanke Münzen bei mir, mit denen es mir bei den Knaben sofort gelang, ihnen einige der Blätter abzuhandeln. Nachdem mir beim Nachhausekommen auch der Schulmeister bestätigt hatte, daß die Bilder von der Hand seines jungen Schülers seien, verbarg ich für diesen Abend die eroberten Schätze in meinem Skizzenbuch.</p><lb/> <p>Am andern Morgen trat ich früh mit der Sonne meine gewöhnliche Wanderung an. Als ich an der Kirchhofsmauer entlang ging, sah ich jenseit derselben einen jungen Mann auf einem Grabe fitzen. Während ich durch das Kreuz der Kirchhofspforte trat, wandte er den Kopf zu mir, und ich sah nun zum ersten Mal in jenes blasse Antlitz mit den tiefliegenden Augen, welche das Wesen der Dinge einzusaugen scheinen; mit Einem<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0044]
dem Schwanze sich die Bremsen wegpeitscht; ein alter Felsblock; ein Bienenstand mit einem Hund davor und dergleichen mehr; aber aus allem blickte in kleinen Zügen, was ich selber nie so ganz besessen, jenes instinctive Verständniß der Natur; es war Alles, so unbehülftich es auch war, dennoch, ich möchte sagen, über das Zufällige hinausgehoben.
Du weißt, der Mensch ist nun einmal eine Canaille; und so begann sich denn auch in mir ein ganz lebenskräftiger Neid gegen diesen Bauernburschen zu regen. Da ich mich aber mit Naturdämonen schon hinlänglich behaftet fühlte, so entschloß ich mich kurz diesen neuen Kameraden sofort in der Geburt zu ersticken.
Zum Glück hatte ich einige blanke Münzen bei mir, mit denen es mir bei den Knaben sofort gelang, ihnen einige der Blätter abzuhandeln. Nachdem mir beim Nachhausekommen auch der Schulmeister bestätigt hatte, daß die Bilder von der Hand seines jungen Schülers seien, verbarg ich für diesen Abend die eroberten Schätze in meinem Skizzenbuch.
Am andern Morgen trat ich früh mit der Sonne meine gewöhnliche Wanderung an. Als ich an der Kirchhofsmauer entlang ging, sah ich jenseit derselben einen jungen Mann auf einem Grabe fitzen. Während ich durch das Kreuz der Kirchhofspforte trat, wandte er den Kopf zu mir, und ich sah nun zum ersten Mal in jenes blasse Antlitz mit den tiefliegenden Augen, welche das Wesen der Dinge einzusaugen scheinen; mit Einem
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Zitationshilfe: | Storm, Theodor: Eine Malerarbeit. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 9. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 257–304. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storm_malerarbeit_1910/44>, abgerufen am 16.07.2024. |